Anschließend, als alle von einem Gefühl der Dankbarkeit erfüllt waren, verkündete Adenauer unvermittelt, „aus Parteikreisen“ sei der Wunsch an ihn herangetragen worden, sich als Kanzler zur Verfügung zu stellen. Welche Parteikreise das gewesen sein sollten, blieb sein Geheimnis. Doch ehe man groß darüber nachdenken konnte, erklärte er schon: „Ich bin trotz meiner Jahre grundsätzlich hierzu bereit.“
Angesichts seines Alters könne er allerdings höchstens ein bis zwei Jahre im Amt bleiben. Es wurden dann 14 Jahre daraus. Ebenso kennzeichnend für den Katholiken Adenauer war sein unerschütterlicher Glaube daran, dass er – und nur er allein – recht hatte. Dies konnte in Sturheit und Arroganz, ja sogar in Skrupellosigkeit ausarten. Bei der Bekämpfung seiner politischen Gegner schreckte Adenauer vor kaum einem Mittel zurück. Nach neuen „Spiegel“-Recherchen ließ er sogar SPD-Chef Willy Brandt bespitzeln.
Politischer Revolutionär
Sein übersteigertes Selbstbild konnte sich aber auch in bewundernswerter Standhaftigkeit äußern. So zog sich Adenauer 1933 den Hass der Nazis zu, indem er sich als Kölner Oberbürgermeister noch zweieinhalb Wochen nach Hitlers Machtübernahme weigerte, den Führer am Flughafen zu empfangen und zu seinen Ehren die städtischen Gebäude zu beflaggen. Nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 wurde der überzeugte Republikaner verhaftet.
Nach dem Krieg legte Adenauer erst richtig los. Er wurde zum Glücksfall für die junge Bundesrepublik. Historiker wie die Adenauer-Biografin Marie-Luise Recker betonen: Durch sein Image als „Macher“ habe er der Demokratie erstmals breite Akzeptanz bei den Deutschen verschafft.
In der Außenpolitik brach Adenauer grundlegend mit der nationalistischen deutschen Tradition und band erstmals einen deutschen Staat in ein Bündnissystem westlicher Demokratien ein. Damit lenkte er die deutsche Geschichte auf Dauer in eine andere Richtung. Für den Politikwissenschaftler Christian Hacke ist Adenauer aus diesem Grund ein „politischer Revolutionär“.