"Vielfalt macht Oberfranken aus"

Von Michael Weiser

Es scheint paradox: Es gibt zwar kein Land namens Franken, aber mehr als genug Gründe, fränkische Landesgeschichte zu erforschen. Das macht Martin Ott seit vergangenem Herbst in Thurnau. Wir sprachen mit ihm über Oberfrankens kleinsten gemeinsamen Nenner, Klischees und den Unterschied zwischen Zerrissenheit und Vielfalt.

 
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Das erste Semester haben Sie hinter sich. Haben Sie Oberfranken schon entdeckt?

Martin Ott: Ich bin tatsächlich viel in der Region unterwegs, natürlich auch, um mir ein Bild zu machen. Oberfranken hat viele Reize und zieht aus diesem Grunde Besucher an - und das nicht erst seit der Romantik. Und: Wir haben eine Region, die auf den ersten Blick sehr vielgestaltig ist, die sich im Spätmittelter in viele verschiedene Territorien aufgespalten hat und in der Frühen Neuzeit in zwei große konfessionelle Blöcke. Erst im 19. Jahrhundert wird daraus der Mainkreis, dann der Obermainkreis, schließlich der gemeinsame Raum namens Oberfranken, mit einer eigenen Identität. Was für uns interessant ist: Es gibt viele Fragen aus jener Zeit, die man auch heute noch stellen kann.

Jahrzehntelang am Rand der Welt

Zum Beispiel?  

Ott: Zum Beispiel, dass man sich nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit am „Rand der Welt“ wiederfand und dann auf einmal wieder ins Zentrum rückte, als der Eiserne Vorhang gefallen ist. Das betrifft Oberfranken insgesamt. Was ebenfalls für ganz Oberfranken gilt, ist das Tempo und das Ausmaß, in dem sich Gewerbelandschaften verändern. Einmal im Spätmittelalter, dann wieder im 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung, und dann auch in den jüngsten Jahrzehnten.Dann gibt es auch immer wieder die Erkenntnis, wie man mit diesen Erfahrungen umgeht, wie man diese Herausforderungen in der Geschichte immer wieder angenommen hat, vor allem an der östlichen Grenze Oberfrankens.

Veränderungen sind für die Region nichts Neues

Wo man gut sehen kann, was mit „demographischer Wandel“ gemeint ist. Wo man Kommunen sieht, die sich bereits in einer Abwärtsspirale zu befinden scheinen.

Ott: Wenn man beim Strukturwandel von einer Abwärtsspirale spricht, würde man es sich zu einfach machen. Dann wird man auch weiten Teilen der Region nicht gerecht.

Jedenfalls sind die Fachleute für die Vergangenheit besonders gefragt: die Historiker. Die sollen dann auf einmal Prognosen wagen. Wie sehen Sie die Zukunft der Region?

Ott: In der Tat, Historiker beschäftigen sich nicht mit der Zukunft, sie beschäftigen sich mit der Vergangenheit. Mit der Zukunft beschäftigen sich die Leute, die vielleicht unsere Publikationen lesen oder uns zuhören. Mit unseren Methoden kommt man der Zukunft nicht auf die Schliche.

Also gut, was kann man aus Ihren Publikationen ableiten?

Ott: Was man daraus vielleicht herauslesen kann, ist, dass solche Veränderungen für die Region gar nichts so Neues sind. Veränderung finde ich für die Region charakteristisch, und wenn man daraus Optimismus ableiten möchte: Oberfranken ist mit diesen Herausforderungen eben auch immer fertig geworden.

Oberfranken ist eine zentrale Region

Diese Gegend war in der Neuzeit auch Labor. Die Preußen richten sich in Ansbach-Bayreuth ein, und da war ein gewisser Hardenberg, der in Bayreuth so etwas wie das erste moderne Kabinett mit Ressorttrennung einsetzte.

Ott: Das ist eine der spannenden Geschichten der Region. Auf der anderen Seite kommt es darauf an, wofür man sich interessiert. Im 18. Jahrhundert konzentrierte man sich einmal sehr auf Kunst und Kultur, dann wieder auf die Entwicklung der Wirtschaft, dann auf den Aufbau staatlicher Strukturen. Manchmal geht man in der Entwicklung voran. Oft sind es Entwicklungen, an denen Oberfranken wie andere mitteleuropäische Regionen partizipiert, die es aber nicht prägt.

Auch welchen Nenner bringen Sie Oberfranken noch?

Ott: Es ist schwer, mit solchen Fragen umzugehen, ohne in Klischees zu verfallen. Es gibt viele Dinge, die man mit Oberfranken im Ganzen in Verbindung bringt. Da muss man nur ans Bier erinnern. Das erschließt sich auch den Besuchern, die sich mit der Genussregion konfrontiert sehen. Oder nehmen Sie Basketball. Wenn man die Gemeinsamkeiten wiederum als Historiker sucht: Es ist eine Region, die immer Einflüssen von außen ausgesetzt war – wenn man die Zeit der deutschen Teilung einmal abzieht, in denen der Erfahrungshorizont gezwungenermaßen eher der der Randständigkeit war. Oberfranken ist aber eigentlich eine sehr zentrale  Region zwischen den großen süddeutschen Zentren und Berlin, und Einflüsse von außen hat die Region immer wieder aufgenommen und auf ihre eigene Art weiterverarbeitet. Diese Region ist aber auch eine Kontaktzone zwischen großen kulturellen Räumen, wie dem protestantischen und dem katholischen Raum, die im heutigen Oberfranken doch sehr eng verzahnt sind.

Noch immer sind Straßen unterbrochen

Kontakte zu Nachbarn hingegen scheint der Eiserne Vorhang bis zum heutigen Tag zu stören.

Ott: Da sind wir gerade dran. Das ist sogar das Thema meines aktuellen Hauptseminars.

Bei den Bayerischen Theatertagen in Hof trat  eine Gruppe aus Cheb auf, mit einem Stück in tschechischer Sprache. Das Stück war schlecht besucht. Vielleicht weil man sich nach der langen Trennung zu wenig kennt und schätzt?

Ott: An der Uni stammen doch einige Studierende aus Sachsen oder Thüringen, also aus dem Land hinter dem Eisernen Vorhang. Hier ist die Uni Bayreuth auch eines der Instrumente, solche Teilungen zu überwinden. Die Frage, wie das an der tschechischen Grenze aussieht, ob man dort den Eisernen Vorhang noch immer spüren kann, werden wir diskutieren. Es gibt immer noch Straßen, die unterbrochen sind.  Das kulturelle Miteinander, wie es damit steht – dazu ist mein Erfahrungshorizont noch nicht weit genug. Das war einmal ein gewachsener wirtschaftlicher Raum, und es ist beeindruckend, wie sich in einigen Ecken Oberfranken Industrien gegen die Trennung durch den Eisernen Vorhang gestemmt haben. Kleintettau zum Beispiel, das sich auch ohne zwei Drittel seines Hinterlandes erfolgreich auf dem Weltmarkt behaupten konnte. Wir finden das spannend, das Thema Grenze interessiert mich auch persönlich, ich habe sowohl in Bayreuth als auch in Bamberg Lehrveranstaltungen zu diesem Thema. Es geht auch um Grenzen in der Region.

Sie sitzen selber an einer, an der Grenze zwischen Bamberg und Bayreuth.

Ott (lacht): Ja, ja.

Thurnau ist typisch Oberfranken

Auf dass Sie weder ganz der Uni in Bayreuth noch der in Bamberg gehören.

Ott: Das ist ja auch historisch so, wir gehören weder Bamberg noch Bayreuth. Das ist das besondere an Thurnau. Wo wir sitzen, ist sehr bezeichnend für Oberfranken, und nicht nur für Oberfranken. Diese Vielzahl von kleinen Herrschaften, die das Land über weite Strecken des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ausgemacht hat.

Mit kleinsten Städten, so wie Kupferberg.

Ott: Ja, genau. Diese territoriale Kleinteiligkeit überhaupt in manchen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation hat man früher sehr abschätzig beurteilt und etwa als „Flickerlteppich“ bezeichnet. Dabei ist das im Grunde Vielfalt. Diese Vielfalt macht Franken und gerade Oberfranken aus, und deswegen konnten übrigens auch Juden in Franken gut siedeln, während sie in größeren Territorien oft nicht mehr leben durften.

Es ist schön in Thurnau. Aber auch ganz schön abgelegen.

Ott: Kommt darauf an. Wenn man motorisiert ist, dann gelangt man sehr schnell in die Zentren. Sieht ja fast so aus, als habe man die Autobahn zwischen Bayreuth und Bamberg mit Absicht so nahe an Thurnau gelegt, damit wir besser zu unserem Lehrstuhl kommen.

Sehr weitblickend…

Ott: Genau. Dafür ist uns die Eisenbahn abhandengekommen. Die hätten wir natürlich gerne. Vor einigen Jahrzehnten hätten wir mit der Eisenbahn bis direkt vor die Universität in Bayreuth fahren können. Jetzt muss man auf der Eisenbahnstrecke radeln. Auch Kulmbach hätte man vor zwei Jahrzehnten mit der Bahn gut erreicht. Ich habe den Eindruck, dass das gar nicht mehr alle so auf dem Schirm haben. Der Rückbau der Infrastruktur gehört aber nicht nur zu dieser Region.

"Die Messlatte liegt hoch"

Was heißt das für Ihre Arbeit?  

Ott: Wir sind angehalten, an drei Standorten zu arbeiten. Thurnau ist der eine, dann aber auch an den Universitäten in Bayreuth und jetzt auch in Bamberg. Selbstverständlich bieten wir das Gros unserer Lehrveranstaltungen dort an, wo die Studierenden sind. Was wir hier in Thurnau anbieten, sind vor allem Blockveranstaltungen. Da kommen die Teilnehmer dann eben mal für zwei Tage nach Thurnau.

Wie ist das Echo auf Ihre Arbeit?

Ott: Nicht gering. Ich bin geradezu überrascht davon, dass unsere Arbeit sich auch in den Medien niederschlägt. Wir fangen ja erst an. Für mich ist es schön zu sehen, dass die Arbeit der Landesgeschichte in der Region und überregional so stark wahrgenommen wird. Wir haben damit auch eine große Verantwortung. Die Messlatte liegt für uns hoch.

 

 

 

  

 

 

 

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