Vielen Oberfranken droht Grundsicherung

Von Peter Rauscher
Wird die Rente in einigen Jahren noch reichen? Die Gewerkschaft Verdi hat starke Zweifel. Foto: Patrick Pleul/dpa Foto: red

Deutschlands Rentnern drohen in den nächsten Jahren bekanntermaßen empfindliche Kaufkraftverluste. In Oberfranken könnten besonders viele Ruheständler unter die Grundsicherungsschwelle fallen, warnt die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.

 
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Es seien „schreckliche Zahlen“, die das Eduard-Pestel-Institut für Systemforschung im Auftrag der Gewerkschaft für Oberfranken errechnet habe, sagte der stellvertretende Verdi-Landesbezirksleiter Norbert Flach bei einem Pressegespräch am Freitag in Bayreuth. Im Jahr 2030 drohe in Oberfranken etwa jeder dritte Rentenversicherte, trotz 45 Beitragsjahren unter die Schwelle der Grundsicherung (Wert für Bayern 2015: 789 Euro im Monat) zu fallen. Bei 40 Beitragsjahren wären es rund 45 Prozent, bei 30 Versicherungsjahren sogar knapp 70 Prozent.

Lebensstandard nicht mehr gesichert

Das Pestel-Institut geht bei diesen Zahlen, die es aus Daten des Mikrozensus 2015 errechnet hat, davon aus, dass das Rentenniveau wie vorgesehen von jetzt 47,9 Prozent auf 43 Prozent im Jahr 2030 sinke, ohne dass der Staat gegensteuere. Fazit der Forscher: Auch wenn ein Teil dieser Versicherten zusammen mit den Einkünften des Partners ein Einkommensniveau oberhalb der Grundsicherung erreichen werde, „so kann von einer den Lebensstandard sichernden Altersversorgung nicht mehr gesprochen werden“. Norbert Flach: „Es ist ein Unding, dass viele nach lebenslanger Arbeit auf staatliche Unterstützung angewiesen sein sollen.“

Wenige mit guter Rente

Selbst die wenigen Menschen mit relativ guter Rente würden im preisgünstigen Oberfranken keine Riesensprünge machen können, sagt Norbert Flach. Nur noch rund 17 Prozent der Rentner mit 45 Beitragsjahren würden in Oberfranken im Jahr 2030 auf mehr als 1500 Euro Bruttorente kommen. Das eher mittelständisch und ländlich geprägte Oberfranken steht nach den Pestel-Zahlen bei den Einkommen etwas schlechter da als der Bundesdurchschnitt. Entsprechend seien auch die Rentenerwartungen im Schnitt etwas niedriger.

Verdi wolle einen weiteren Sinkflug des Rentenniveaus – das ist die Rentenhöhe im Verhältnis zu den Einkommen – verhindern, weil das zu noch mehr Altersarmut führe, sagt Flach. Wer 3500 Euro im Schnitt brutto verdient habe, erhielt dafür nach 40 Beitragsjahren 2004 im Schnitt 1396 Euro Rente. Jetzt seien es noch 1262 Euro, im Jahr 2030 würden es noch 1133 Euro sein.

Beiträge sollen steigen

Verdi fordert deshalb bewusst im Vorfeld der Bundestagswahl eine Stärkung der gesetzlichen Rente. Ein höheres Rentenniveau als 43 Prozent wäre möglich, wenn die Beiträge „moderat“ auf 23 bis 24 Prozent erhöht würden, der Bundeszuschuss erhöht werde und mittelfristig Freiberufler und Selbstständige in die Rentenversicherungspflicht einbezogen würden, sagt Flach. Dringend nötig sei der Ausbau der betrieblichen Rente. Die Vorschläge von Arbeitsministerin Andrea Nahles, die Kapitalgarantie bei der Betriebsrente aufzugeben, nennt er eine „Katastrophe“.

Info: Verdi veranstaltet am Samstag, 24. Juni, von 10 bis 14 Uhr einen Aktionstag zum Thema „Gute Löhne – Gute Rente“ mit Info-Stand vor der Spitalkirche in Bayreuth.

Kommentar: Zeitalter der Senioren

Ist Oberfranken nun ein „Rentnerparadies“, wie die Versicherungswirtschaft unter Hinweis auf niedrige Wohn- und Lebenshaltungskosten schon einmal verbreitete? Oder doch bald eher ein Armenhaus der Alten, wie das die Verdi-Zahlen nahelegen? Die Wahrheit dürfte wie so oft dazwischen liegen.

Ja, man kann hier preisgünstiger leben und auch besser als in mancher Großstadt. Aber ebenso stimmt es, dass das Auskommen mit der gesetzlichen Rente immer schwieriger werden wird, je mehr das Niveau sinkt – zumal sich private Vorsorge als Ausgleich oft nicht mehr zu lohnen scheint. Verdi hat also recht, das Thema in den Wahlkampf zu tragen.

Jenseits der gesetzlichen Rente gäbe es aber noch viel mehr zu tun, um Oberfranken bereit zu machen für das kommende Zeitalter der Senioren – ob nun gut betucht oder nicht. Macht die Region barrierefrei, wie das CSU-Kreistagsfraktionschef Günter Dörfler gerade gefordert hat; beseitigt Hindernisse für Senioren und Behinderte an Bahnsteigen; baut den öffentlichen Nahverkehr aus; beteiligt die alten Menschen am öffentlichen Leben; baut ehrenamtliche Hilfe auf; holt einsame Alte aus ihren vier Wänden; sorgt für warmes Essen. Alles das kostet viel weniger als zehn Euro mehr Rente für alle – und bringt doch so viel mehr. Eine Region, die das leisten kann, wird zwar nicht das Paradies, aber – frei nach Horst Seehofer – vielleicht die Vorstufe dazu.

Peter Rauscher

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