Vanessas Vater quält die Erinnerung

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Roland Koska trauert noch immer um seine tote Tochter. Foto: Melitta Burger Foto: red

Die Schaukel und die Rutsche im zu hohen Gras im Garten strahlen ebenso wie der gemauerte Barbecue-Grill aus, dass sie schon lange nicht mehr genutzt wurden. Der Grill hat schon Moos angesetzt. Roland Koska schaut aus dem Fenster seines blitzblank aufgeräumten Wohnzimmers. Fotos von Vanessa sind der zentrale Schmuck an der Wand über der Couch. „Ich geh da kaum mehr raus, seit meine Tochter nicht mehr da ist.“  

 
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Roland Koska trauert seit mehr als vier Jahren um seine Tochter, die im Alter von acht Jahren im Himmelkroner Freibad ertrunken ist. Die Zeit konnte die Wunden nicht heilen, nicht die Psychotherapie und auch nicht der Prozess vor dem Kulmbacher Amtsgericht. Die Schlagzeilen, der Trubel um das weit über die Region hinaus beachtete Verfahren haben, so scheint es, die Wunden wieder aufgerissen. Dass nun der „Fall Vanessa“ in Bezug auf die Jugendarbeit in Vereinen immer wieder öffentlich diskutiert wird, macht es dem 55-Jährigen noch schwerer.

Offenen Brief verfasst

Jetzt hat sich Roland Koska in einem offenen Brief Luft gemacht. Er räumt ein, dass er sich dabei helfen ließ. „Allein hätte ich das nicht hingekriegt.“ Roland Koska fühlt sich an die Wand gedrückt. Besonders die Stellungnahmen verschiedener Verantwortlicher des TSV Himmelkron nach dem Schuldspruch gegen die ehrenamtliche Betreuerin der Kinderturngruppe, mit der Vanessa ins Schwimmbad gegangen war, machen dem Vater zu schaffen. Er könne verstehen, dass Bürgermeister und TSV-Vorsitzender Gerhard Schneider die Übungsleiterin in Schutz nehmen wolle. Diese Schutzversuche, sagt Roland Koska, setzen aber an der falschen Stelle an.

Auch er selbst habe Fehler gemacht. Das hat der Vater schon im Gerichtssaal öffentlich eingeräumt. Warum hat er seiner Tochter, die nicht schwimmen konnte, keine Schwimmflügel mitgegeben an diesem Tag, der mit dem Tod seines einzigen Kindes geendet ist? Warum hat er nicht deutlich gesagt, dass Vanessa nicht schwimmen kann? Roland Koska fragt sich aber auch: Warum wurde seitens des TSV die Schwimmfähigkeit der Kinder nicht schriftlich bei den Eltern abgefragt?

Verein lasse Betreuer im Stich

Die Betreuerin des TSV, die jetzt wegen des Todes des Kindes verurteilt wurde, kennt Roland Koska seit seiner Kindheit. Ihr selbst, sagt er, macht er keine Vorwürfe. „Sie hat einen Superjob gemacht, aber halt auch einen Fehler.“ Einen Fehler, den er nicht ihr persönlich ankreidet. Es gehe ihm nicht darum, die Frau zu bestrafen. „Sie ist doch auch ein Opfer.“ Die ehrenamtlichen Betreuer, meint Koska, würden im Stich gelassen. Von ihrem eigenen Verein. Es gehe ihm nicht um Rache, macht Koska deutlich. Auch nicht um die Bestrafung irgendwelcher Personen. Was er will: „Es muss mehr auf die Sicherheit geachtet werden. Die Zeiten ändern sich doch.“

Unzureichend ausgebildet seien die Übungsleiter, an Fortbildungsmaßnahmen hätten sie teilweise nicht teilgenommen. Erste-Hilfe-Schulungen dauerten gerade mal zwei Stunden. „Was will man denn da machen, wenn etwas passiert? Die Betreuer wurden mit ihrer Verantwortung alleine gelassen und sind schlichtweg überfordert. Das gilt vor allem für jene Kräfte, die mit Kindern zu tun haben.“ Jetzt, nach dem Unglück, redeten sich alle heraus, erklärten, sie hätten alles Menschenmögliche getan. Das sei eine Ausrede, die er nicht akzeptieren könne. Es sei ihm bewusst, dass Vanessa auch mit größeren Sicherheitsvorkehrungen hätte ertrinken können. „Man kann nicht überall sein. Fünf Prozent sind immer nicht abgedeckt. Das weiß ich.“

TSV habe ihm Vorwürfe gemacht

Dass nun aber ausgerechnet von Verantwortlichen des TSV Himmelkron ganz offen Schuldzuweisungen gegen ihn, den Vater, ausgesprochen werden, nagt an ihm. „Ich kreide mir das ja selbst an. Es ist wichtig, Fehler einzugestehen. Das habe er während seiner langen Psychotherapie erkannt. Dass Fehler auch auf der anderen Seite gemacht wurden, das hätte Roland Koska gerne gehört. Stattdessen empfindet er sich immer neuen Vorhaltungen ausgesetzt: Abgeurteilt. „Welches Urteil soll ich denn kriegen? Reicht es nicht, dass ich Vanessa verloren habe?“

Umzug soll Leid lindern

Der 55-Jährige blickt zum Kühlschrank. Mit Magneten ist dort ein Bild angepinnt, das Vanessa kurz vor ihrem Tod gemalt hat. Mit kindlicher Schrift ist zu lesen: „Papa, ich wünsche dir, dass du gesund bist und froh.“ Immer wieder lese er diesen letzten Brief seines Kindes. Er sieht die Botschaft als Auftrag. Einen Auftrag, den er noch nicht abgearbeitet hat. „Ich war immer ein lustiger Kerl.“ Diesen Eindruck habe er auch nach dem Tod von Vanessa erwecken wollen. „Ich weine immer noch, aber ich zeige es nicht. Ich muss doch meine Probleme nicht den anderen aufhängen.“ Dennoch schmerze es ihn zu hören, dass über ihn gesprochen werde, dass er gar nicht wirklich trauere. „Woher wollen denn die Leute wissen, wie es mir geht?“ Gut geht es ihm noch längst nicht. Das sieht man. „Abschließen“, sagt Roland Koska, „kann ich mit dem Thema erst, wenn ich hier nicht mehr wohne.“ Er will sein Haus verkaufen, Himmelkron verlassen und an einem anderen Ort neu anfangen. „Hier ist doch alles voller Erinnerungen.“

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