Vanessas tragischer Tod landet vor Gericht

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Die Mutter der ertrunkenen Achtjährigen, Ruslana Koska, macht den Aufsichtspersonen des Schwimmbads schwere Vorwürfe. Foto: Tobias Köpplinger Foto: red

Der tragische Tod eines achtjährigen Mädchens wird nach fast vier Jahren vom Amtsgericht Kulmbach untersucht. Warum musste das Kind bei dem Freibadbesuch im Sommer 2014 sterben?

 
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Der Medienrummel ist groß am Donnerstagvormittag, als der Prozess am Kulmbacher Amtsgericht beginnt. Rundfunk, Fernsehen, Boulevardmagazine und Zeitungen haben Kameraleute, Fotografen und Reporter geschickt. Die Medienvertreter bekommen eigens Platzkarten, weil der Amtsgerichtssaal nur über ein begrenztes Sitzplatzangebot verfügt. Die inzwischen getrennten Eltern des ertrunkenen Mädchens, Ruslana und Roland Koska, sitzen nicht nebeneinander, sondern zwischen einem Dolmetscher und den Anwälten Gert Lowack und Andreas Angerer. Die Mutter senkt den roten Pagenkopf und kämpft mit den Tränen.

Im Klinikum gestorben

Die beiden Angeklagten sind der 63-jährige damalige Bademeister und die 52-jährige Betreuerin der Kindergruppe, die am 22. Juli 2014 die Turnstunde ausfallen ließ, um ins benachbarte Schwimmbad zu gehen. Die zwölf Mädchen der Kinderturngruppe des Sportvereins waren in Begleitung von zwei Übungsleiterinnen.

Gegen 18.20 Uhr wurde Vanessa aber am Boden des Schwimmerbeckens in 2,20 Metern Tiefe gefunden. Laut Staatsanwalt Daniel Götz wurde sie aus dem Wasser gezogen, reanimiert und ins Klinikum Bayreuth gebracht. Dort sei das Kind in ein künstliches Koma versetzt worden. Am 28. Juli sei bei der Achtjährigen der Hirntod eingetreten.

Der damalige Bademeister ist sehr nervös, faltet die Hände, knetet die Finger. Sein Anwalt Oliver Heinekamp liest in seinem Namen eine achtseitige Erklärung vor.

Der Angeklagte beschreibt seine Tätigkeit und den Tag des Unglücks. Seit 1982 habe er für die Gemeinde gearbeitet. Von Montag bis Freitag sei er von morgens bis abends für den ganzen Betrieb verantwortlich gewesen, am Wochenende habe die Wasserwacht übernommen. Er selbst habe Erste-Hilfe-Kenntnisse besessen und das DLR-Rettungsschwimmerabzeichen in Bronze. Das silberne habe er in den 90er Jahren nachgeholt.

Allein für ganzes Freibad verantwortlich

Der Angeklagte spricht sehr leise und bezeichnet sich selbst als "Mädchen für alles". Von der Reinigung der Toiletten, dem Kassendienst und der Aufsicht über das Schwimmbecken und das Gelände bis zur Überwachung der Technik und der Wasserqualität sei er für alles zuständig gewesen. Nur an schönen Tagen habe ihn eine Kassiererin unterstützt. Er habe sich regelmäßig um das Becken herum bewegt und sich bemüht, alles im Auge zu behalten, beteuert der 63-Jährige. Ab 18.30 Uhr habe er sich in der Regel um Aufräumarbeiten gekümmert.

An jenem „Unglückstag“ habe er das Bad erst mittags geöffnet, weil das Wetter zuvor zu schlecht gewesen sei. Mit der Kindergruppe, den Übungsleiterinnen und einigen Müttern hätten sich 23 Badegäste im Freibad aufgehalten. Er habe Geschrei am Sprungturm wahrgenommen, sei aber nicht eingeschritten und sei zu zwei Bänken gegangen, um einen Katalog aufzuräumen.

Als er die Mütter am Beckenrand gesehen habe, dachte er zunächst, ein Kind sei gestürzt. „Dann sah ich eine Frau auf mich zu rennen.“ Er habe einen Notruf abgesetzt, die Betreuerin bei der Herzdruckmassage abgelöst und einen Defibrilator geholt. „Der funktionierte aber nicht, weil die Pads auf dem nassen Körper nicht gehalten haben.“ Dann seien die Helfer vor Ort eingetroffen, Krankenwagen und Rettungshubschrauber.

„Habe nicht Zeitung gelesen“

Auf Nachfrage sagt er, er habe gedacht, Vanessa könne schwimmen. Er habe beobachtet, wie sie Schwimmbewegungen gemacht habe. Das sei aber nicht im Tiefen gewesen. In über 30 Jahren hätten sich sonst keine derartigen Unfälle im Freibad unter seiner Aufsicht ereignet.

Als er versucht habe, danach mit den Eltern ins Gespräch zu kommen, habe er nur den Vater erreicht. Die Mutter habe den Hörer aufgeknallt. Zu einem Gespräch mit Vertretern der Gemeinde seien die Eltern nicht gekommen.

Ein anderes Gespräch zwischen ihm, der Mutter und dem Pfarrer habe er ohne Anwalt nicht führen wollen. Denn da habe es bereits die ersten Medienberichte gegeben, die er als „Hexenjagd“ und „Diffamierung“ empfunden habe. „Das ich Zeitung gelesen haben soll, stimmt einfach nicht.“

Nach dem Unglück habe er sich in psychologische Behandlung begeben. Er habe selbst eine Tochter im Alter von 22 Jahren verloren. Allerdings hatte er vor dem Prozess auf Anraten seines Anwalts nie mit Medienvertretern gesprochen.

Fehlte die nötige Aufmerksamkeit?

Der angeklagten Betreuerin wirft die Anklage vor, sich nicht ausreichend über die Schwimmfähigkeit des Kindes informiert zu haben. Dennoch habe sie zugelassen, dass sich das Kind im Schwimmerbereich aufgehalten habe. Außerdem habe sie ihren Beobachterposten ein bis zwei Minuten verlassen, um Geld für Eis zu holen.

Dabei habe sie sich vom Becken abgewandt und sei zu einer neun Meter entfernten Bank gegangen. Bei "gebotener und möglicher Aufmerksamkeit" hätte sie das Untergehen des Kindes bemerken müssen, lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Dann hätte das Kind gerettet werden können, bevor es bewusstlos wurde und keine Luft mehr bekam.

Die Übungsleiterin trägt selbst eine schriftlich vorbereitete Aussage vor. Sie wirkt gefasst, spricht zuerst laut mit fester Stimme. Doch am Ende bricht sie in Tränen aus, so dass der Prozess für einige Minuten unterbrochen wird. Seit sie 19 Jahre alt gewesen sei, habe sie die Kinderturngruppe des TSV betreut, berichtet die 52-Jährige, selbst zweifache Mutter. Zwischen den Pfingstferien und den Sommerferien seien Besuche im Freibad Tradition gewesen. Die Eltern seien informiert worden, dass Nichtschwimmer mitkommen dürfen, wenn sie Schwimmhilfen mitbrächten.

Keine Bescheinigung verlangt

Eine schriftliche Bestätigung der Schwimmfähigkeit wurde nicht eingeholt. Schwimmzüge mussten nicht vorgeführt werden, räumte sie ein. Auch wurden die Schwimmflügel nicht vorgezeigt. Bei anderen Nichtschwimmern seien Mütter dabei gewesen. Vanessas Mutter habe sie nie zuvor gesehen, sagte die Übungsleiterin. Immer habe der Vater das Mädchen gebracht und abgeholt.

Sie habe die Eltern der Kinder darauf hingewiesen, dass im Sommer Freibadbesuche gemacht würden. Schriftlich habe sie keine Bescheinigungen eingeholt, „Turnen ist ja keine Pflicht“. Die Betreuerinnen seien jederzeit für die Eltern ansprechbar gewesen. Diese hätten auch eine Verantwortung. Sie hätte aber nie etwas über die Schwimmfähigkeiten von Vanessa gesagt. Das Mädchen selbst habe erzählt, sie besitze jetzt auch das Seepferdchen.

Weil das Schwimmbecken L-förmig sei, könne man es nicht auf einen Blick erfassen. Daher sei die andere Betreuerin im Wasser geblieben. Sie hingegen sei draußen geblieben, habe den Standort immer wieder gewechselt und die Kinder durchgezählt. Vanessa habe im Nichtschwimmerbereich Tauchübungen gemacht.

Später habe sie das Mädchen an der Grenze zum Schwimmerbereich gesehen, wie sie mit ihrer Schwimmbrille hantierte. Die Betreuerin sagt, sie habe sich kurz abgewandt, weil sie aus ihrer Tasche Geld holen wollte, damit eine Mutter Eis holen gehen konnte. Erst dann sei sie auf die Aufregung am Beckenrand aufmerksam geworden.

Sie sei hingelaufen und habe das Kind am Boden treiben sehen. Sofort habe sie geholfen, das Kind zu bergen und sich mit anderen bei der Herzdruckmassage abgewechselt. Wann Vanessa untergegangen sei, wisse sie nicht, so die Übungsleiterin.

Der Anwalt der Mutter hielt ihr vor, sich nicht bei Vanessa nach Schwimmflügeln erkundigt zu haben. Auch habe sie das Mädchen nicht näher zum Seepferdchen befragt. Einer Lehrerin soll sie dies ebenfalls erzählt haben, was aber nicht der Wahrheit entsprach.

Vanessa konnte nicht schwimmen

Mutter und Vater sind zwar Nebenkläger, sagten aber auch als Zeugen aus. Die 41-jährige Ukrainerin beantwortet die Fragen von Richterin Tettmann auf Russisch. Sie sagte, ihre Tochter habe nicht schwimmen können und hätte Angst vorm Tauchen gehabt. „Was ein Kind behauptet und was es wirklich kann, sind zwei verschiedene Sachen.“

Mit den Frauen vom TSV habe sie nicht gesprochen, weil ihr Deutsch noch so schlecht gewesen. Sie habe darauf vertraut, dass ihr Mann das regle. „Warum lassen Sie ein Kind, das Angst vor Wasser hat, ins Schwimmbad?“, hakt Staatsanwalt Götz nach. Darauf erwidert die Mutter, sie sei fest davon ausgegangen, dass Vanessa nur im Nichtschwimmerbereich spielen werde.

Auch ihr früherer Mann bestätigt, die Tochter habe nicht schwimmen können.  „Ich kann auch nicht schwimmen“, sagt der 55-Jährige, der im Gegensatz zu seiner Ex-Frau noch nie öffentlich in Erscheinung getreten ist.

Allerdings habe er sich nach einem Schwimmkurs für das Mädchen erkundigt. Doch der sei nur in Kulmbach angeboten worden. Es habe private Freibadbesuche in Himmelkron mit dem Mädchen gegeben.

Wo sich das Kind dabei aufgehalten hat, darüber machten er und seine damalige Frau unterschiedliche Angaben. Der Vater und die Mutter erinnern sich nicht,  ob sie mit Vanessa über das Schwimmen und die damit verbundenen Gefahren gesprochen haben. Der Vater sagt: „Ich dachte, sie ist in guten Händen.“

 

Wir berichten weiter von dem Prozess. Der nächste Verhandlungstag ist am 22. Februar.

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