Übernahme auf der Herzstation

Von Christina Holzinger
 Foto: red

Vanessa Eckert ist eine von 32 Schülern, die fast zwei Wochen die Herzstation des Klinikums Bayreuth leiteten. Ein Projekt, das sie nicht nur in Sachen Pflege und Medizin geschult hat. Es war eine Lektion fürs Leben.

 
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Vanessa Eckert: struppige braune Haare, eine Brille mit einem dünnen roten Metallgestell, blaugrüne Strähnen und einen tintenblauen Fleck in der Größe eines zwei-Euro-Stücks auf der linken Brusttasche. Während ihre Mitschüler aus der Frühschicht ihre Patienten der Spätschicht übergeben, steht sie fast schon schüchtern etwas abseits und ist trotzdem Mittelpunkt des Geschehens.

Ihr Blick wandert von den Monitoren, die Elektrokardiogramm-Messungen (EKG) der Patienten wiedergeben, zu den Mitschülern, die Tabletten für die Patienten zusammenstellen hin zu einem älteren Mann, der vor dem Stützpunkt in seinem Bett liegt. Praxisanleiter und Kollegen kommen immer wieder zu ihr und sie beantwortet mit ihrer ruhigen tiefen Stimme alle Fragen zu Zimmerbelegung und Dienstplan.

28 Jahre und "Stationsleiterin"

Als die 28-jährige „Stationsleiterin“ laut zu sprechen beginnt, wird es plötzlich still: „Wir machen jetzt einen kurzen Rundgang und einer von euch kümmert sich bitte um den Herrn da draußen.“ Ihre Mitschüler nicken.

Eckert verlässt den Stützpunkt mit der Stationsleiterin Conni Hersch und geht den Flur entlang. Das helle Gelb der Wände kann nur wenig von dem sterilen Krankenhausgeruch ablenken. An den einzelnen Türen hängen Bilder von Tieren, die neben der Zimmernummer eine weitere Orientierungshilfe für die Patienten bilden. Eckert klopft an der Türe eines der begehrten Einzelzimmer, grüßt einen weißhaarigen Mann, der sofort aus dem Bett springt und sich neben das Fenster stellt. Seine nach hinten gekämmten Haare leuchten im hellen Sonnenlicht wie frisch gefallener Schnee.

Individuelle Zusprache

Die „Stationsleiterin“ schaut durch das Fenster und lässt ihren Blick über den Spielplatz, den Wald und die angrenzende Grünfläche schweifen. „Das hier ist wegen der Aussicht eines unserer schönsten Zimmer, denn von hier aus kann man auch viele Tiere sehen“, sagt Hersch und der ältere Herr ergänzt: „Ich habe hier neulich einen Fasan gesehen, das war vielleicht ein prächtiges großes Tier.“ Während er mit der Hand die Größe des Vogels zeigt, lächelt er und zeigt zwei Reihen schwarzgräulich verfärbter Zahnstümpfe.

Eckert zwinkert Hersch zu und meint: „Wenn das so weiter geht, können wir ja mit dem Hasen und den Vögeln die hier immer rum laufen einen Streichelzoo für unsere Patienten eröffnen, was sich sicherlich positiv auf ihre Gesundheit auswirken wird.“

Obwohl sie erst den zweiten Tag auf der Station ist, kennt Eckert jeden Patienten persönlich und seine Krankengeschichte . „Wir haben zum Beispiel einen Patienten, der heute Vater geworden ist und haben sogar noch vor ihm von seinem Nachwuchs erfahren, da er zu dem Zeitpunkt noch nicht ansprechbar war“, sagt sie und lächelt.

Leben und Tod nah beieinander

Doch auch mit vielen traurigen Schicksalen muss sie zurechtkommen, denn bei den Patienten liegt Leben und Tod oft so nah beieinander, dass es ihr schwerfällt, die Schicksale nicht zu nah an sich heranzulassen. Häufig spricht sie nach Dienstende mit ihren Mitschülern, um Trost zu holen – und zu spenden. Gerade bei Langzeitpatienten denken sie gemeinsam an den langen Leidensweg des Patienten und wollen ihm einen würdevollen Tod ermöglichen. Und im Umgang mit Trauer und Verlust können die Schüler sehr viel von den Praxisanleitern wie Conni Hersch lernen.

20 Jahre arbeitet Hersch auf der Intensivstation, viele Sterbende hat sie begleitet. Noch heute werden ihre Augen feucht, wenn sie von dem Tod ihrer Patienten erzählt. Besonders schwierig, wenn junge Menschen oder Unfallopfer sterben. „Ganz häufig saß ich mit den Angehörigen da und habe mit ihnen geweint.“ Jeder Mensch geht anders mit dem Tod um: Während manche Menschen noch beim Verstorbenen bleiben und viel weinen, wollen andere in der Abgeschiedenheit des eigenen Zuhauses alleine trauern und den Verstorbenen nicht mehr berühren.

Umgang mit Patienten als Lebenseinstellung

Für Hersch ist der Umgang mit Patienten und Angehörigen eine Lebenseinstellung: „Wenn ich Menschen mag, dann mag ich sie, egal ob sie gesund oder krank sind und wenn ich keine Menschen mag, dann bin ich vielleicht falsch in dem Beruf.“

Eigentlich wollte Vanessa Eckert nie im Krankenhaus arbeiten, sondern Geschichtslehrerin werden. Gerade erst nach Bayreuth gezogen, musste sie auf der Fachoberschule ein Praktikumsplatz suchen. „Mir wurden drei Praktika vorgeschlagen und da das Klinikum das einzige war, das ich kannte, nahm ich das.“ Nur widerwillig trat sie ihr Praktikum an, in der Erwartung, nur Betten von einem Zimmer in ein anderes schieben zu müssen.

Mehr als Hilfsarbeiten

Nach den sechs Wochen merkte sie, dass der Beruf aus weit mehr als Hilfsarbeiten besteht. „Nach meinem Fachabitur kam dann auch mein Opa auf die Intensivstation, ich habe verschiedene Untersuchungsergebnisse von ihm gesehen und es hat mich so genervt, dass ich das alles nicht verstanden habe, dass ich innerhalb einer Woche beschlossen habe, dass Geschichte vollkommen überschätzt wird.“ Zwei Monate später begann für sie ihr zweites Praktikum auf der Herzstation und seither ist sie ein unverzichtbarer Teil der Abteilung geworden.

Während der zwei Wochen auf der Pilotstation ist die sonst schüchterne 28-Jährige als Stationsleiterin für vieles zuständig: Stützpunkt und EKG-Monitore überwachen, Patienten aufnehmen und versorgen, Tests und Untersuchungen anmelden, mit Ärzten und dem Labor telefonieren und Anrufe entgegennehmen. „Um sieben Uhr ist das Telefon noch ein guter Freund“, sagt Eckert.

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