Teufelskreis Obdachlosigkeit

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Negeleinstraße 16, Obdachlosenunterkunft Foto: red

Ist die ehemalige Obdachlosenunterkunft in der Negeleinstraße 16 in Kulmbach schuld daran, dass ein jetzt 64 Jahre alter Bewohner flächendeckende eitrige Geschwüre an beiden Unterschenkeln erleiden musste? Der Hartz-IV-Empfänger, der zwischen Mai 2014 und April 2015 wohnungslos gewesen ist, sieht das so. Seit Monaten schon betreibt er vor dem Bayreuther Landgericht eine Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Rund 8000 Euro will er von der Stadt.

 
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Ob der Mann am Ende vor Gericht recht bekommt, steht noch in den Sternen. Das Verfahren wird wohl noch Monate dauern. Vorsitzender Richter Georg Meyer ordnete am Dienstag erst einmal weitere Zeugenvernehmungen und die Beschaffung von Unterlagen an. Doch wenn auch über die Klage des Mannes noch nicht entschieden ist: Ein Beleg dafür, dass die Stadt Kulmbach mit ihrem jüngst beschlossenen Betreuungskonzept für obdachlose Menschen in die richtige Richtung marschiert, ist das Verfahren allemal schon jetzt.

Der Kläger ist schon seit langer Zeit ohne Arbeit und krank. Sehr krank. Er leidet unter einer mittelgradigen Diabetes und, wie sein Arzt bestätigt, unter einer massiven Herzschwäche. Im Mai 2014 verlor der Kulmbacher seine Mietwohnung. Er wurde durch den Gerichtsvollzieher zwangsgeräumt. Es sei immer wieder zu beunruhigenden Zwischenfällen mit Nachbarn gekommen, lautete damals die Begründung.

Total heruntergekommen

Sei es wie es ist. Eine Ersatzwohnung fand sich nicht rechtzeitig. Es blieb keine Alternative. Die Einweisung in eine Obdachlosenunterkunft war unvermeidbar. Im Fall des heute 64-Jährigen war es die Negeleinstraße 16. Heruntergekommen ist das Haus. Der Wohnstandard dort nach heutigem Ermessen nicht vorstellbar: Die Toilette auf dem Flur beschrieb der als Zeuge vernommene Hausarzt sarkastisch als "sehr beeindruckend". Spinnweben hingen überall, die Fußböden waren dreckig, im Flur war der Fußboden voller Vogelkot. Ein Singvogelpaar hatte sein Nest auf einem alten Besen gebaut, der dort ganz offensichtlich schon lang ungenutzt an der Wand lehnte.

Ein Bad oder eine Dusche gab es gar nicht. Wasser, ebenfalls vom Flur zu holen, musste über einen Boiler erwärmt werden. Der behandelnde Arzt sieht all das kritisch. Bei Zuckerkranken können schon banale Verletzungen zu Geschwüren führen, weil durch die schlechte Durchblutung die Selbstheilung des Körpers gestört ist. Ein Zuckerkranker brauche die Möglichkeit, seine Füße in einem sauberen Rahmen mit warmem Wasser waschen zu können.

Dienstpflichten verletzt?

Der schlechte hygienische Zustand in dem Obdachlosenquartier sei in dem Zusammenhang kritisch zu sehen. Vor Gericht wird nun darüber gestritten, ob die Stadt Kulmbach ihre Dienstpflichten verletzt hat, als sie den Mann in diese Unterkunft eingewiesen hat.

Die rechtliche Würdigung wird wohl nicht ganz einfach werden. Das Gesetz verpflichtet eine Kommune, einem Menschen in Not ein Dach über dem Kopf bieten zu müssen. Wie das beschaffen sein muss, ist ebenfalls geregelt: Mindestens zehn Quadratmeter muss das Quartier haben, einen Stuhl, einen Tisch, ein Bett. Eine Gemeinschaftstoilette ist ebenso erlaubt wie die Wasserentnahme auf dem Flur.

Eine Obdachlosenunterkunft ist nicht als Wohnung auf Dauer zu sehen. Das Problem: Weil sie aus unterschiedlichen Gründen in eine "normale" Wohnumgebung kaum zu vermitteln sind, hausen die Betroffenen oft jahrelang, manche bis an ihr Lebensende, in diesen Notunterkünften.

Nur das Dach über dem Kopf ist Sache der Stadt

Über die reine Überlassung der Unterkunft hinaus ist die Stadt für alle weiteren Dinge nicht zuständig. Nur das Dach über dem Kopf ist Sache der Stadt, sagt Juristin Diana Edelmann. Werden, beispielsweise durch die nötige Versorgung von Wunden, Hilfsmittel gebraucht, ist dafür die Sozialhilfe beim Landratsamt zuständig. Unter Umständen kommt auch der Bezirk für Hilfen in Frage. Wegen des Lebensunterhalts muss sich ein Betroffener an das Jobcenter wenden.

Überall sind Termine zu vereinbaren und einzuhalten, sind Anträge auszufüllen, Nachweise zu erbringen. Man muss nicht Experte sein, um zu sehen, dass das diese Menschen oft regelrecht weit überfordert. Es ist auch für gut gebildete und gesunde Menschen nicht ganz einfach, die Unterschiede zwischen einer reinen Verwaltungssache, der Sozialhilfe und der sozialen oder medizinischen Betreuung zu begreifen.

Ein Teufelskreis startet, der oft genug in Verwahrlosung endet. Nicht selten sind die Unterkünfte voller Müll, die Bewohner oft genug betrunken. Vielen ist zudem ein tiefes Misstrauen regelrecht eingepflanzt. Der Richter? Der will den Hartz-IV-Empfänger nur abwimmeln. Vermieter? Die wollen sich nur bereichern. Ein Krankenhaus? Da kümmert sich eh keiner. Die Stadt? Die weist einen Betroffenen womöglich gar absichtlich in eine so armselige Unterkunft ein, um ihn dauerhaft loszuwerden.

Abwärtsspirale

So kommt die Spirale in Bewegung, die immer weiter abwärts führt. "Menschen, wie wir sie oft in unseren Unterkünften haben, gehen nicht zu Ämtern. Man muss zu diesen Menschen gehen. Aufsuchende Sozialarbeit ist das Stichwort", sagt Diana Edelmann.

Genau das soll noch in diesem Jahr in der Stadt Kulmbach in die Tat umgesetzt werden. Soziale Betreuung soll den Menschen am äußersten Rand der Gesellschaft helfen, wenigstens wieder etwas besser Fuß zu fassen. Das fängt schon bei der Frage an, diese Menschen überhaupt wieder "mietfähig" zu machen, wie Diana Edelmann das nennt. Denn das ist die Grundvoraussetzung, überhaupt daran zu denken, die Obdachlosenunterkunft jemals wieder verlassen zu können.

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