Das deutsche Fernsehpublikum hat für Freispruch plädiert: 86,9 Prozent der TV-Zuschauer entschieden am Montagabend nach dem TV-Film „Terror - Ihr Urteil“ (ARD), dass der Bundeswehrsoldat, der eine Passagiermaschine mit 164 Menschen an Bord abschoss, um 70.000 Leute in einem Fußballstadion zu retten, unschuldig ist. Nur 13,1 Prozent hielten ihn für schuldig.

6,88 Millionen Zuschauer, das entspricht einem Marktanteil von 20,2 Prozent, verfolgten laut ARD „Terror - Ihr Urteil" im Ersten. 6,31 Millionen, ein Marktanteil von 22,5 Prozent, sahen danach die kontroverse Diskussion bei „Hart aber fair". In der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen waren 2,47 Millionen (Marktanteil von 20,2 Porzent) beim Film dabei, 1,82 Millionen in der Altergruppe (Marktanteil von 17,9 Prozent) sahen anschließend "Hart aber fair". Auf Twitter standen die Hashtags #TerrorIhrUrteil und #terror den ganzen Abend über in den deutschen Top 5.

Technische Probleme online und mit den Telefonleitungen

Allerdings hatte das Erste mit erheblichen technischen Problemen während der Abstimmung zu kämpfen, denn die Internetseite war entweder übgerlastet oder funktionierte über Android-Smartphones nicht, weil sich die Sicherheitsfrage über die Abstimmung legte und dann gar nichts mehr ging. Auch die beiden zur Verfügung gestellten Telefonleitungen waren meist besetzt, oder es kam einfach die Ansage: „Ihr derzeit gewünschter Gesprächspartner ist derzeit nicht erreichbar.“

Probleme "ändern nichts am Ergebnis"

Auch dauerte die Abstimmungsphase nur wenige Minuten, und offensichtlich zählte die ARD die IP-Adresse, so dass mit mehreren Geräten von mehreren Leuten in einem Haushalt gar nicht abgestimmt werden konnte. Vor allem auf Twitter machten Zuschauer ihrem Unmut darüber Luft. Auch wurden die technischen Probleme weder von der ARD auf Twitter kommentiert oder erklärt, noch wurden sie bei der nachfolgenden "Hart aber fair"-Sendung thematisiert. Denn sie könnten das sehr eindeutige Ergebnis verzerrt haben. Laut Christine Strobl, Geschäftsführerin der ARD-Degeto und damit Koproduzentin des Films, hat die Tatsache, dass viele Zuschauer nicht abstimmen konnten, aber keinen Einfluss aufs Ergebnis: "Über 600.000 Zuschauer haben per Telefon und online ihre Stimme abgegeben. Wir haben mit externen Dienstleistern, die die modernste Infrastruktur zur Verfügung gestellt haben, zusammen gearbeitet. Offenbar stößt aber selbst modernste Technik bei einer so großen Beteiligung an ihre Grenzen. Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass jeder Zuschauer an diesem Abend per Telefon oder online durchgekommen wäre. Das ändert aber nichts an der Validität des Ergebnisses. Wir wollten mit dem innovativen Ansatz des Fernsehereignisses zeigen, wozu lineares Fernsehen im Stande ist."

Bei der zeitgleichen Ausstrahlung in Österreich kam ein identisches Urteil zustande: 86,9 Prozent plädierten für Freispruch, in der Schweiz waren es 84 Prozent.

Vorlage ist eine Geschichte von Ferdinand von Schirach

Das TV-Spiel mit Martina Gedeck, Burghart Klaußner, Florian David Fitz und Lars Eidinger entstand auf der Basis einer Geschichte des Autors Ferdinand von Schirach, die als Theaterstück bereits mehr als 400 Mal bundesweit aufgeführt wurde. Auch in den meisten Aufführungen stimmte bisher ein Großteil des Publikums für Freispruch, das Abstimmungsverhältnis dort ist etwa 60:40 Prozent für Freispruch.

Diskussion bei "Hart aber fair"

In einer „Hart aber fair“-Sondersendung direkt nach der Ausstrahlung des Films lieferten sich der frühere Innenminister Gerhart Baum (FDP) und der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) eine heftige Kontroverse. Für Baum war der Pilot juristisch ein Mörder. Baum betonte den ewigen Grundsatz des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Leben dürfe nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Im übrigen sei der Ausgang einer Flugzeugentführung bis zuletzt nicht entschieden. Baum verwies auf ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2006, an das sich alle zu halten hätten.

Dagegen betonte Jung, die einzig entscheidende Frage sei, ob das Leben der 70.000 Menschen im Stadion noch zu retten sei. Auch diese hätten eine Menschenwürde. Das Leben der Passagiere in der entführten Maschine sei ohnehin nicht mehr zu retten gewesen. Hier gebe es einen Fall von übergesetzlichem Notstand.

Verfassung oder Moral?

Thomas Wassmann, Waffensystemoffizier der Luftwaffe, gab zu Bedenken, dass in den heutigen Zeiten des Terrorismus die Welt eine andere sei als bei der Einführung des Grundgesetzes nach dem Zweiten Weltkrieg. Es stelle sich die Frage, ob das Grundgesetz nicht geändert werden müsse. Die evangelische Theologin Petra Bahr erinnerte an die NS-Widerstandskämpfer gegen Hitler, die bereit waren, schuldig zu werden und das Leben einiger Menschen zu opfern, um das Leben vieler zu retten.

Von Schirach: "kann nur den tragischen, schuldigen Helden geben"

Ist der Kampfpilot schuldig oder ein Held? Autor Ferdinand von Schirach findet: sowohl als auch. Der Soldat habe mit seiner Entscheidung zwar viele Leben gerettet, es gebe "aber nur den tragischen, den schuldigen Helden, nie den glücklichen", sagte von Schirach in einem Interview der "Bild"-Zeitung. "In unserem Fall hieße das: Abschuss und anschließend lebenslänglich ins Gefängnis."

Mit Material von dpa.

 

"Terror - Ihr Urteil" auf Twitter: