Bezirkstagspräsident Günther Denzler vermisst an dem vom Kabinett in Berlin am Dienstag verabschiedeten Entwurf „eine seriöse Kostenabschätzung“.
Mit dem neuen Teilhabegesetz sollen Menschen mit Behinderung mehr vom eigenen Geld behalten können. Der Ansatz sei richtig, Menschen mit Behinderung aus dem bisherigen Fürsorgesystem herauszuführen, sagt der oberfränkische Bezirkstagspräsident Günther Denzler; dennoch übt er scharfe Kritik.
Bezirkstagspräsident Günther Denzler vermisst an dem vom Kabinett in Berlin am Dienstag verabschiedeten Entwurf „eine seriöse Kostenabschätzung“.
Oberfranken und die anderen bayerischen Bezirke verlangen eine Nachbesserung. Denzler betont: "Wir kritisieren, dass der Bund kein Bundesteilhabegeld einführen will. Gerade dadurch würden die Kommunen spürbar entlastet und gleichzeitig Verbesserungen für die Menschen mit Behinderungen geschaffen."
Der Bezirkstagspräsident rügt: "Es kann nicht sein, dass sich der Bund hier aus der Verantwortung stiehlt."
Ohne eine gesetzliche Regelung zu einer verbindlichen Mitfinanzierung der Eingliederungshilfe durch den Bund "können wir ein solches Gesetz nicht mittragen", so Denzler: "Die Ziele der Reform werden so verfehlt."
Die geforderte Aufteilung der Kosten zwischen Bund, Land und Kommunen sei im Entwurf nicht mehr enthalten. "Die vom Bund zugesagte Entlastung der Kommunen als Kostenträger der Eingliederungshilfe in Bayern muss eingehalten werden."
Die bayerischen Bezirks fordern eine Kostenaufteilung zu je einem Drittel zwischen Bund, Ländern und Kommunen seit mehr als einem Jahrzehnt.
Laut Teilhabe-Gesetzesentwurf sollen ab nächstem Jahr zunächst die Freibeträge für Erwerbseinkommen um bis zu 260 Euro monatlich und für Barvermögen von derzeit 2600 Euro auf 27 600 Euro angehoben werden. Ab 2020 soll der Freibetrag auf 50 000 Euro steigen. Zudem soll das Einkommen und Vermögen des Partners nicht mehr angerechnet werden.
Ferner sollen Leistungen stärker gebündelt werden. Nur ein einziger Reha-Antrag soll künftig notwendig sein, Leistungen vom Sozialamt oder der Pflegekasse zu erhalten. Betroffene sollen damit auch vor Doppel-Begutachtungen verschont bleiben.
Arbeitgeber, die Behinderte einstellen, sollen bis zu 75 Prozent Lohnkostenzuschuss erhalten. Bis heute beschäftigten rund 39 000 Unternehmen "nicht einen einzigen Behinderten", kritisiert
Sozialverbände werfen Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) vor, den Kreis der Leistungsberechtigten einzuschränken. Der Vorlage zufolge müssen Betroffene nachweisen, dass sie in fünf von neun Lebensbereichen dauerhafte Unterstützung benötigen. Linken-Chefin Katja Kipping erklärte, die gesellschaftliche Teilhabe der rund 7,5 Millionen Menschen mit Behinderungen in Deutschland bleibe "eine Frage des Geldbeutels".
Die Grünen-Sprecherin für Behindertenpolitik, Corinna Rüffer, erklärte, finanziell entlastet würden vor allem Menschen, die nur Eingliederungshilfe beziehen und weder blind noch schwerstpflegebedürftig seien.
Es gibt Protestaktionen von Rollstuhlfahrern - unter dem Hashtag #nichtmeingesetz formierte sich breiter Widerstand. Der Interessenverband Selbstbestimmt Leben (ISL) warnt, viele Menschen mit einem hohen sogenannten Assistenzbedarf hätten "Angst, ins Heim abgeschoben zu werden".
Nahles versucht, die Kritik an der Reform zu entkräften. Es sei Ziel, dass es niemandem schlechter gehe - ob zu Hause, in einer Wohngruppe oder im Heim. Aufgrund begrenzter Mittel könnten aber nicht alle Forderungen umgesetzt werden.
Ohnehin sei das Teilhabegesetz als "Einstieg" in ein neues System zur Unterstützung behinderter Menschen zu sehen, gegebenenfalls könne auch später nachgesteuert werden. Vor Inkrafttreten des Gesetzes sind nun zunächst Bundestag und Bundesrat am Zuge.