Symposium: "Es gibt nichts Ewiges ..."

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Prof. Dr. Stephan Mösch. Foto: Archiv/red Foto: red

Das Richard-Wagner-Museum Bayreuth veranstaltet von Donnerstag bis Samstag ein von Museumsdirektor Sven Friedrich und Prof. Stephan Mösch geleitetes wissenschaftliches Symposium zu Wieland Wagner unter dem Titel „Es gibt nichts Ewiges ...“. Im Interview spricht Stephan Mösch über die Wandlungen des Regisseur.

 
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Herr Mösch, nach welchen Kriterien haben Sie mit Sven Friedrich das Programm zusammengestellt?

Stephan Mösch: Wieland hat ein Jahr vor seinem Tod gesagt: „Ich breche rechtzeitig aus, um weiterleben zu können.“ Dieses letzte Ausbrechen war ihm nicht vergönnt. Trotzdem: Er hat sich immer wieder radikal von Dingen gelöst, die vorher wichtig für ihn waren. Das macht ihn für die Forschung so spannend. Wir versuchen, das unter den Aspekten von Ästhetik und Zeitgeschichte in den Griff zu bekommen. Dazu kommt seine Wirkung. Gerade heute, nachdem das sogenannte „Regietheater“ zur Geschichte gehört, ist sein Ansatz wieder spannend für junge Regisseure. Tobias Kratzer und Stefan Herheim haben sich nicht zufällig auf ihn bezogen.

Ist die Tendenz zur Entrümpelung der Bühne und die Auseinandersetzung mit der Archetypenlehre C.G. Jungs allein mit dem Namen Wieland Wagner verbunden? Oder wurde diese Ästhetik auch von anderen Regisseuren realisiert?

Mösch: Heinz Tietjen, zu dem Wieland privat und beruflich immer ein gespanntes Verhältnis hatte, schrieb nach dem Krieg: Er und der Bühnenbildner Emil Preetorius seien die ersten Entrümpler gewesen. In gewissem Sinn hatte er damit recht. Wieland hat – auch was die Technik betrifft – viel von Preetorius gelernt. So wie natürlich von Craig und Jung. Neu war, wie er Appias Ideen nicht nur auf den Raum, sondern auch auf die Figuren bezog. Neu war auch, wie er die Tiefenpsychologie auf Wagner anwandte. Der Stil von „Neu-Bayreuth“ ist ein Mix und hat viele Wurzeln. Das mindert nicht seine revolutionäre Kraft.

Hat Wieland Wagner den ästhetischen Wandel nach den Kriegsjahren aus tiefer Überzeugung vollzogen oder folgte er einer Notwendigkeit, da ohne diesen Wandel die Fortführung der Festspiele gefährdet gewesen wäre?

Mösch: Beides. Im Hauptstaatsarchiv in München liegt ein Typoskript von Wieland mit dem Titel „Die Musik“, vom Archiv auf 1948 datiert. Da merkt man, wie er sich erst allmählich an sein späteres Wagner-Bild herantastet. Oft paraphrasiert er seinen Großvater, exzerpiert ihn quasi. Es war auch bei ihm selbst ein Bewusstseinswandel – und sicher ein Bedürfnis. Die Rede vom ästhetischen „Bruch“ war dann nötig, um Bayreuth nach dem Krieg geschichtsphilosophisch überhaupt wieder etablieren zu können. Eine Art Vorwärtsverteidigung. Aus heutiger Sicht ist diese kämpferische Rhetorik der Nachkriegszeit bemerkenswert. Wieland schrieb von „Impotenz“, wenn es um die alte Wagner-Bühne ging. Bundespräsident Heuss meinte, Nürnberg müsse „gereinigt“ werden. Es hat eben auch in dieser Hinsicht keine „Stunde null“ gegeben.

Der Titel Ihres Vortrags am Freitag um 10 Uhr lautet „Der Flieder war’s“. Worum geht es?

Mösch: Die „Meistersinger“ sind ein gutes Beispiel, um Wielands Größe, aber auch seine Wandlungen zu zeigen. Seine Inszenierungen von 1956 und 1963 könnten nicht gegensätzlicher sein. Einmal hat er das Stück in Ideenräumen sakral hochstilisiert, dann als derbes Rüpelspiel gezeigt. Der Schluss der Prügelfuge war 1963 so radikal, dass Wieland ihn sofort nach der Premiere änderte. Da stieg der Nachtwächter über eine Art Leichenfeld. Man muss sich das vorstellen: In sich verkeilte, bleiche Körper und darüber der gespenstische Ruf nach Ruhe und Ordnung. Wieland hat die „Schwabinger Krawalle“ von 1962 mitgedacht, bei denen sich schon die Revolten von ’68 ankündigten. Man kann aber auch ganz andere Assoziationen haben. Nachtwächter seien „Zeitgenossen, die von nichts etwas mitbekommen“, schrieb Wieland. Vielleicht hat er mit diesem Bild sein Schweigen ein Stück weit gebrochen.

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