Studiobühne meistert die Hamletmaschine

Von Henrik Vorbröker
Foto: Studiobühne Bayreuth Foto: red

Der Bühnenraum: ein Käfig. Schwarzer Stahl, wohin man sieht, nur ein grüner Boden durchbricht die Tristesse. Die Studiobühne Bayreuth kerkert sich dieser Tage ein – bühnenbildnerisch. Inhaltlich wagt sie den Aufbruch. Den Aufbruch in die Welt eines radikalen Freigeistes und hochkomplexen Dramatikers. Mit Heiner Müllers „Hamletmaschine“ feierte das Ensemble um Regisseur Dominik Kern am vergangenen Samstag eine Premiere, die den Zuschauer forderte und ihn gleichzeitig an die Hand nahm.

 
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Heiner Müller sagte einmal: „Je planbarer, verständlicher ein Text ist, desto weniger erzählt er über die Gegenwart, und je schwieriger, je dichter ein Text ist, desto mehr Informationen enthält er. Die muss man jedoch herausholen, selbst finden, nur dadurch wird es Erfahrung.“

Doch geht die Gleichung wirklich auf, wenn man sie einmal ganzheitlich umdreht? Erzählt demnach ein Text, je unverständlicher, je „unplanbarer“ geschrieben, dem Zuschauer vorgesetzt, wirklich mehr über die Gegenwart? Oder bleibt die Unzugänglichkeit letztlich Selbstzweck und die Verwirrung des Publikums ein selbstvollführter Ritterschlag an die eigene, ach so gefeierte intellektuelle Kraft? Ja, man wird als geneigter Fernsehzuschauer der traditionell linearen Handlungsstränge gerne ein bisschen wütend bei der Lektüre eines Müller-Textes, nicht zuletzt über die eigene, vorprogrammierte Kapitulation gegenüber solchen Werken.

Wie ein Faustschlag in die Magengrube

Viel zu vertrackt die Allegorien, scheinbar bezugslose Aneinanderreihungen von zum Teil vor Abscheulichkeit strotzender Monologe. Gleichzeitig sind sie aber in ihrer Prägnanz von einer solchen Wucht, dass sie einen völlig überraschend treffen können. Wie ein Faustschlag in die Magengrube, von dem man nicht weiß, aus welcher Richtung er gekommen ist und nachdem einem nichts bleibt, als sich verwirrt keuchend umzusehen und, wenn man kann, wieder aufzurappeln.

Hilfestellung beim „Aufrappeln“ kann dabei nur vom inszenierenden Ensemble kommen. Genau das scheint Regisseur Dominik Kern gewusst zu haben und so gibt er dem Publikum ein machtvolles Instrument an die Hand: vier rote Buzzer, denen aus TV-Gameshows ähnlich, verteilt er im Zuschauer- und Bühnenraum und lässt somit das Publikum über die Länge der einkalkulierten Unterbrechungen des Stückes entscheiden. Unter mahnenden Fabriksirenen leuchtet ein Rotlicht auf. Jetzt liegt es am Zuschauer, wann er die Hamletmaschine durch Betätigung des Buzzers wieder anwirft. Dadurch wird er selbst zum Rädchen in ihrem Getriebe und zum Mitverursacher der ganzen Unternehmung. Genial, „die Verantwortung aus der Hand gegeben“, möchte man Kern vorschnell unterstellen, doch so einfach macht er es sich nicht.

Müller, was willst du eigentlich?

Vielmehr lässt er sein Ensemble bewusst am Text verzweifeln, lässt Jürgen Fickentscher, der den Fiasko-Moment der Clownerie perfekt beherrscht, immer und immer wieder verzweifelt gegen die unsichtbare Glaswand rennen, ganz so, als wolle er fragen „Müller, was willst du eigentlich?“

Es ist der Exzess, das Ausufernde und vor allem die Eskalation der Darsteller, die dem Zuschauer eines unmissverständlich klarmachen soll: Auch die Protagonisten müssen sich an einem Müller-Text abarbeiten, und plötzlich ist der Zuschauer nicht mehr allein: zerlegt ein ums andere Mal gemeinsam mit Gabriela Paule und Claudia Iberle Textfragmente des Lyrikers oder vereinfacht in Robotisch seine noch so verklausuliertesten Querverweise und kommt dabei dem Autor selbst immer näher.

Zeitlose Systemkritik

Denn auch das Bühnenbild als drehbarer Groß-Käfig, eine eindrucksvolle Arbeit aus der Werkstatt von Michel Bövers und Jürgen Goldfuß, schickt es bereits voraus: Es ist das Eingesperrtsein in Systeme, in starre Konstrukte, die ein Ausbrechen unmöglich machen und welche Heiner Müller selbst doch als mundtot gemachten DDR-Künstler zeitlebens begleiteten. Und so illustriert Michael Bachmanns Konzeption des Drehkäfigs vortrefflich jene Versuche des Ausbruchs, welche trotz, oder vielleicht gerade durch ihr dauerhaftes Kreisen um sich selbst, immer wieder misslingen müssen.

Was bleibt, ist die Flucht zu sich selbst, vielmehr in sich selbst hinein. „Ich will in meinen Adern wohnen, im Mark meiner Knochen, im Labyrinth meines Schädels.“ Zeitlos bleibt die Kritik an Systemen ohnehin, auch und vor allem dann, wenn sie auf die heutige Medienlandschaft übertragen wird. Oliver Hepp begeistert hinter Lupenglas als eintönig-unverständlich artikulierender Nachrichtensprecher das Publikum zu Lachern, ohne dabei jedoch an Tragweite einzubüßen, und so gelingt es der Studiobühne sogar mit Humor, einen Heiner Müller in all seiner Bitterkeit und Angstaffinität abzubilden. Bravo.

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