Über die Premiere „Der Gott des Gemetzels“ an der Studiobühne Studiobühne: Der Nerv liegt blank

Von Florian Zinnecker
Birgit Franz, Sigrid Kern und Frank Ambrosius in "Der Gott des Gemetzels" an der Studiobühne Bayreuth (Regie: Roman Moebus). Foto: red Foto: red

Ein unerträgliches Stück. Schon die ersten Minuten sind kaum auszuhalten. "Der Gott des Gemetzels" dauert eineinhalb Stunden. Und am liebsten möchte man aufstehen und gehen. Gar nicht so leicht für ein Theater dieses Kalibers, das zu schaffen. Denn am Ende wird es sich gelohnt haben, nicht gegangen zu sein.

 
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Die Handlung in einem Satz: Vier Erwachsene verlieren die Fassung, nacheinander, manche wiederholt – nein, man muss es anders sagen: Vier Erwachsene brechen nacheinander in das hauchdünne Eis ein, das die Zivilisation über die Abgründe hat frieren lassen. Und man kann, natürlich, nicht wegschauen.

Das Stück wirkt wie eine Fingerübung, aber das ist es ja: Etüden sind ja absichtlich tückischer als eine Sinfonie. Es spielen Birgit Franz, Frank Ambrosius, Sigrid Kern und Martin Kelz, Regie führt Roman Moebus. Zwei Jungs haben sich gestritten, Frederic und Bruno, das ist der Anlass, der eine hat dem anderen zwei Zähne ausgeschlagen. Bewaffnet mit einem Stock. Jetzt treffen sich ihre Eltern, um den Vorfall zu klären, es ist nämlich so, dass der Nerv blank liegt, aber nicht völlig, nur eine kleine Stelle, außerdem hat sich der Täter beim Opfer noch nicht entschuldigt. Aber es gelingt nicht, die Eltern setzen den Streit mit den Mitteln Erwachsener fort: bewaffnet mit Clafoutis, Tulpen und Schnaps.

Clafoutis ist ein Nachtisch, das Geheimnis liegt darin, Äpfel und Birnen zu mischen, die Birnen müssen dicker geschnitten werden, denn die Äpfel brauchen im Ofen länger. Der Abend ist voll mit solchen Nichtigkeiten, später wird es dann richtig nichtig: Wir sind nichts als Lehmklumpen, und daraus müssen wir etwas machen. Es wird geschrien, gekotzt und getobt, tatsächlich, hier liegen die Nerven blank. Wunderbar.

Natürlich ist das alles übertrieben, aber Yasmina Reza, die Autorin, übertreibt nur um ein paar Millimeter, das macht dieses Stück genial und unerträglich: weil das Drama vom Leben abgeschrieben zu sein scheint. Darin liegt die Kunst seiner Autorin: Ein Theaterstück, dem man das Theater nicht anmerkt.

Dafür, dass man’s dann doch merkt, sorgt leider unfreiwillig das Ensemble: weil für die wohnzimmerhafte Atmosphäre des Bühnenstudios ein paar Gesten und Blicke ein paar Nummern zu groß geraten. Weil leider Sätze bedeutungsvoll in den Raum gestellt werden, weil man sich nicht darauf verlässt, dass das im Zuschauerraum schon richtig verstanden werden wird. Das passiert nicht allen Akteuren, aber es passiert. Alles ist immer wichtig, wenn diesem Abend etwas fehlt, dann ist es der Mut zur Beiläufigkeit. Sonst fehlt eigentlich nichts.

Bedeutungsvoll in den Raum hineingestellt ist auch die Ausstattung von Barbara Seyfried, hier stecken sie, die Zwischentöne: Das Hemd (rot) von Frederics Vater Alain beißt sich ganz fabelhaft mit seinen Turnschuhen (orange, und: Turnschuhe zum Anzug? Macht das wirklich noch jemand?), mit dem Kleid seiner Frau Annette (rosa gemustert), mit dem, nun ja, man muss es wohl Kleid nennen – von Brunos Mutter Véronique (pink), und der Hose von Alain (grün).

Und das bis an die Grenze der Bewohnbarkeit eingerichtete Wohnzimmer ist zum Davonlaufen ungemütlich. Hier können keine Menschen wohnen: Designerstühle, Wände aus hellem Holz, auf dem Boden die Haut eines Tieres. Immerhin dieser Kamerad hat die Schlacht schon überstanden. Ein Wahnsinn, das alles.

Großer, langer Applaus.

 

Weitere Termine am 2., 5., 8., 11., 15., 21., 23., 27. und 29. November sowie 4. und 9. Dezember.