Stuckrad-Barres "fucking Hitmaschine"

Von Michael Weiser
Da geht der Rauch auf: Benjamin von Stuckard-Barre darf rauchen. Weil's zur Performance gehört oder so... Foto: Andreas Harbach Foto: red

Er wurde in jungen Jahren zum angesagtesten Popliteraten, war ein Star, dann stürzte er ab - und schlug hart auf. Mit seinem Buch "Panikherz" lieferte er einen schockierenden Bestseller ab. Und in seiner Lesung in Bayreuth zeigt Benjamin von Stuckrad-Barre, was er am besten kann.

 
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Benjamin von Stuckrad-Barre ist ein Erzähler. Das ist insofern nicht überraschend, da der Mann ja Bücher schreibt, die sich ziemlich gut verkaufen. Überraschend ist, wie lebendig Benjamin von Stuckrad-Barre zu erzählen weiß. Er erzählt, da sind wir ganz am Anfang seiner Lesung im Zentrum, davon, wie er durch Bayreuth joggte, Altstadt - ganz naheliegend - mit alter Stadt verwechselte. Und wie er sich verlief. "Und dann kommt eine Siedlung, man denkt sich ich will hier weg ich will hier weg ich will hier weg." Er erzählt das in einem Singsang, weg, will weg, will weg, und man hat den langen Schlaks bei seinen sportlichen Bemühungen auf einmal ganz bildhaft vor Augen: Wie der Rhythmus des Laufes sich verlangsamt, wie Beine und Arme in diesem  Rhythmus der Schritte immer ratloser schlenkern, wie sich der ausgemergelte Kopf verwundert wendet und dreht, in den großen Augen diese Frage: Verdammt, wo bin ich gelandet, hallo, wie komme ich hier raus?

Wie entfleischt

Man darf annehmen, dass es ihm im Laufe seines Lebens öfter so erging, dem hippen Popliteraten Benjamin von Stuckrad-Barre: stets in Bewegung, oft vor dieser Frage: wie komme ich hier raus? Von Stuckrad-Barre floh mit Hilfe von Drogen. Mit Koks hob er ab, mit Koks versengte er seine Flügel. Von Stuckrad-Barre stürzte ab, er landete - ziemlich hart. Darüber hat er das Buch geschrieben, aus dem er im Zentrum liest: "Panikherz". Ums vorwegzunehmen: Das Buch ist ein starkes Stück, ordinär, subtil, ziemlich traurig, ziemlich witzig, gar nicht larmoyant. Eine Bekenntnisschrift, es muss ihn Nerven und Kraft gekostet haben, das alles in Worte zu fassen. In Zeiten so wohlfeiler wie seichter  Selbstvergewisserung via Facebook und Selfie ist "Panikherz" heute eine Ausnahmeerscheinung, andererseits aber ein Buch in einer sehr ehrenwerten Tradition.

Er liest und erzählt von seinen Abstürzen, dass er wie entfleischt wirkt: Da, sieh an, das ist der Mensch, wenn er am Ende ist. An dem Ende, an dem es ihm sogar gleich ist, auf welchem Klo genau er seine Kreditkarte vergessen hat. "Authentisch"? Klingt auf einmal noch blöder als sonst. Stuckrad-Barre entführt seine Zuhörer in entfernte Regionen. Keine Urlaubsziele, nein, die Orte bucht man besser nicht, nicht, solange man eine Wahl hat. Er war da. Er ist nicht stolz darauf. Aber: Er war da. "Authentisch" - das ist was für Marketing-Fritzen. Nicht für Überlebende.

"Haste die Arschgeigen gesehen?"

Natürlich kann Stuckrad-Barre auch böse. Man ist im Zentrum, manchmal drängt der Durst, manchmal die Blase, immer wieder mal geht jemand raus. Eine Frau kommt wieder rein und wird von Stuckrad-Barre gleich begrüßt. "Haste die beiden Arschgeigen gesehen, die vor dir gegangen sind?" Und: "Solange Männer mit Haarausfall rausgehen und Frauen wiederkommen, ist es geil." So böse ist das andererseits gar nicht, man ist ja unter sich, das mit den Saiteninstrumenten kommt im Zentrum ein bisschen anders rüber als es sich nun vielleicht liest: Man war unter Freunden.

Das ist das Starke an diesem Vortrag. Benjamin von Stuckrad-Barre ist sympathisch. Im Wortsinne: einer, mit dem man mitfühlen kann, mitfühlen will. Er erzählt von sich und andren Kindern, deren Träume sich in Asche verwandelt haben. Er tut das beispielsweise  in Szenen von Klassentreffen, die deswegen so verdammt gut treffen, weil man diese Szenen und sich selbst darin so verdammt gut wiedererkennt. Benjamin von Stuckrad-Barre schwelgt - und raucht. Drei, vier, fünf Zigaretten. Es gibt ja wirklich schlimmere Süchte, viel gröbere Dummheiten.

Ein neongrünes Lesebändchen

Von denen erzählt er in dem Buch, seiner "fucking Hitmaschine". Soll heißen: Lies rein wo du willst, ist immer gut. Sein Sohn kommt darin eigentlich nicht vor, aber er erzählt auch von ihm. Der Kleine scheint sich eine Menge vom Papa abgeschaut zu haben. Standard-Spruch, wenn der hibbelige Papa nervt: "Mir ist nicht gut, ich leg mich hin."

Das Buch gibt es neben anderen Büchern nachher im Foyer des Zentrums zu kaufen. Von Stuckrad-Barre nimmt sich viel Zeit für ziemlich viele Menschen, die sein Autogramm wollen. Sein "Panikherz" wartet mit dem Luxus eines Einmerkbändchens auf. Ein Detail, das, vielleicht ist es Zufall, eher aber Absicht, viel über Bemjamin von Stuckrad-Barre sagt und darüber, wie er über Menschen denkt, die ihm geholfen haben.

Eine Liebeserklärung an Lindenberg

Also, das Bändchen ist grün-neonfarben. So wie die Socken des Mannes, der ihn auf dem Weg zurück begleitete: Udo Lindenberg. Lindenberg spielt eine Hauptrolle in "Panikherz". Wenn Stuckrad-Barre ihn in seinem Schnodder-Brabbel-Singsang- übrigens richtig gut - persifliert, schwingt sehr viel Demut mit. Da wird der Autor hinter seiner Erzählung klein. Und wächst mit jedem Satz.

Und schöne  Anekdoten ergibt das auch noch. Einmal will er mit Lindenberg in die USA einreisen. Er erzählt, wie die Exzentrik Lindenbergs die Beamten der Zollbehörde, nun ja - fordert. "Er muss sofort aufhören, seinen Wikipedia-Eintrag szenisch zu tanzen", liest Benjamn von Stuckrad-Barre aus seinen besorgten Erinnerungen. Der Altrocker, ein Tänzer vor der Zollbehörde? So lässt uns Stuckrad-Barre auch Lindenberg ganz nahe kommen, Und schafft damit ein Bild, das in den nächsten Tagen noch im Kopf tanzen wird.