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Stuckrad-Barre über Sucht und Karaoke

Von Simon Michaelis
Noch mal davongekommen: Benjamin von Stuckrad-Barre liest am 14. November in Bayreuth aus "Panikherz". Foto: Rolf Vennenbernd/dpa Foto: red

Von Leben auf der Überholspur. Vom Absturz. Von der harten Landung - davon weiß Benjamin Stuckrad-Barre zu erzählen. Am 14. November liest er in Bayreuth. Und wir sprachen mit ihm über Freundschaft, Drogten, Karaoke. Und über das seltsame Gefühl, wenn man ein Riesenrad betrachtet.  

 
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In Los Angeles gibt es keinen Winter. Benjamin von Stuckrad-Barre aber trägt Pudelmütze, als er die letzten Sätze seines Buches „Panikherz“ im Hotel Chateau Marmont tippt. Ein Jahr lang hat er dort seine Geschichte aufgeschrieben. Eine Geschichte über Aufstieg, Ruhm, Magersucht, Drogen, Angst, Verfall und vor allem: Freundschaft. Udo Lindenberg zieht sich wie ein buntes Hutband durch das Buch. An ihm und seiner Zauberformel „Keine Panik“ hielt sich Stuckrad-Barre fest, als er taumelte. Jetzt sitzt er in der Raucher-Lounge eines Kölner Hotels, um bei einem Wasser über sein Buch und sein Leben zu sprechen. Auf der Couch liegt eine Pudelmütze. „Das ist die, die ich auch in L.A. getragen habe. Vollkommen übertrieben“, sagt er. Aber er müsse eben immer ein bisschen übertreiben.

In Herlinde Koelbls Film „Rausch und Ruhm“ von 2004 (eine Dokumentation über seine Drogensucht) haben Sie gesagt: „Ich lebe das Buch, das es nur so geben kann.“ Das Buch haben Sie geschafft, bei Ihnen war es knapp.

Benjamin vonStuckrad-Barre: Da haben Sie jetzt den Vorteil, dass Sie wissen, was ich gesagt habe. Das war einfach komplettes Drogengewäsch. Grauenhaft! Es war eben Teil der Symptomatik, dass es diesen Film überhaupt gegeben hat. Was habe ich da genau gesagt?

„Ich lebe das Buch, das es nur so geben kann.“

Stuckrad-Barre: Toll! Riesensatz! Das ist eben immer die Freude an so großen Sätzen. Speziell, wenn man gerade breit ist.

Ihre Arbeit besteht aber schon aus Selbstversuchen – Dinge erleben, um dann darüber zu schreiben!?

Stuckrad-Barre: Ja, das ist mein Grundprinzip. Ich mache Erfahrungen, und das ist beim Durchwandern der Lebenstiefen schon ganz hilfreich, zu wissen: Na ja, ist jetzt gerade etwas mühsam, aber toll zum Aufschreiben später mal. Wenn man nichts erlebt, gibt es nichts zu schreiben. Aber es ist schon gut, wenn man da auch wieder rauskommt, aus dem Keller.

Sie haben „Panikherz“ in Los Angeles geschrieben. Brauchten Sie diesen Abstand?

Stuckrad-Barre: Ich brauchte einen räumlichen Abstand, ja. Vor allem aber einen zeitlichen und emotionalen. Alles andere wäre Therapiegewäsch geworden. Das braucht kein Mensch und hat vor allem nichts mit Literatur zu tun. Die Erfahrung muss abgesickert sein, damit sich daraus etwas destillieren lässt, das dann Literatur werden kann.

Vorher hatten Sie kaum noch geschrieben.

Stuckrad-Barre: Irgendwie hatte ich meine Stimme verloren. Ich wollte im Januar letzten Jahres eigentlich nur mit Udo mal kurz zehn Tage in die Sonne fliehen, nach Los Angeles, und Udo merkte viel schneller als ich selbst, dass ich mich dort deutlich wohler fühlte. Allein dieses Licht! Im Januar! Und ich fühlte mich dort seltsamerweise komplett frei. Auch in meinem Denken. Alles da war mir neu, und vielleicht deshalb kam plötzlich auch das Schreiben wieder. Udo handelte mit dem Hotel einen „coolen Exilantenkurs“ für mich aus und flog zurück nach Deutschland. Der Vorteil war, dass ich dadurch endlich in derselben Zeitzone wie Udo lebte. Bei mir war es 17 Uhr, bei Udo 2 Uhr nachts, wir konnten endlich jeden Tag telefonieren.

Haben Sie ihn bei seinem aktuellen Album unterstützt?

Stuckrad-Barre: Naja, unterstützt wäre übertrieben. Aber ich habe an zwei Texten ein bisschen mitgearbeitet. Für mich war das eine Kindheitstraumerfüllung. Das erste Mal, dass ich sowas gemacht habe, und dann gleich in der Königsklasse. Jetzt kann es eigentlich nur noch bergab gehen. Andreas Bourani, ich komme!

Sind Sie auf den Geschmack gekommen?

Stuckrad-Barre: In L.A. habe ich tatsächlich angefangen, mit meinem dort schon länger wohnenden Freund Robin Grubert (ein deutscher Musiker und Produzent) Lieder zu schreiben. Macht Spaß. Machen wir vielleicht mal wieder.

Können Sie singen?

Stuckrad-Barre: Sehr gut sogar. Ich bin ein verdammter Karaoke-Gott! Eigentlich singe ich aber immer nur „Your Song“ von Elton John. Das allerdings sehr, sehr gut. Es hat einen Tonumfang von etwa zwei Noten bei mir, aber die kommen sehr überzeugend.

In Ihren Texten schwingt seit jeher die Angst vor dem Spießertum und die Ablehnung des Alltags mit. Sogar Kochen lehnen Sie ab. Woher kommt das?

Stuckrad-Barre: Mich beklemmt das einfach. Ich kann nicht so gut wohnen, das überfordert mich. Ich habe keinen Möbelgeschmack. Sind das jetzt schöne Sessel hier (zeigt ratlos in die Raucher-Lounge)? Mir ist sowas immer komplett wurscht. In meinem Kühlschrank ist nichts. Aber nicht aus Protest gegen die Gesellschaft, sondern einfach, weil ich einfach so gerne draußen bin, im öffentlichen Raum. Das Caféhaus als solches ist ein vernünftiger Ort, sich aufzuhalten.

Stimmt! Ich sitze auch fast täglich in einem Café, koche aber trotzdem!

Stuckrad-Barre: Jaaa, ich habe einmal in meinem Leben gekocht, als ich dachte, ich muss jetzt studieren und sparen. So ein Fertigpastagericht mit diesem Käse aus der Tüte, der nach Kotze riecht. Da habe ich beschlossen: So geht’s nicht weiter, ich muss jetzt arbeiten.

Und seither nie mehr gekocht?

Stuckrad-Barre: Seither nie mehr gekocht! Das war eigentlich der Grund, das Studium, tja, abzubrechen kann man das noch nicht mal nennen – einfach nach zwei Tagen nicht mehr hinzugehen. Ich war nur in der Einführungswoche da, und das hat mir schon gereicht. Da saßen die im Schneidersitz auf dem Boden und haben nur über die hohen Mietpreise in Hamburg lamentiert. Nicht mein Tempo.

Stattdessen kam der frühe Erfolg. Damals haben Sie sich täglich die Auslastung Ihrer Tournee durchgeben lassen und „alles unter 100 Prozent machte mich nervös“, schreiben Sie. Sind Sie heute entspannter?

Stuckrad-Barre: Natürlich überhaupt nicht! Das nimmt man persönlich. Leider. Wenn man auf leere Stühle schaut von der Bühne aus, denkt man: wie unangenehm. Ist der Saal hingegen voll: bist ein guter Junge. Natürlich weiß ich, dass das kompletter Blödsinn ist. Beides.

Später folgten Jahre der Drogenabhängigkeit. Einige Ihrer Freunde haben nicht überlebt. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Stuckrad-Barre: Wenn man süchtig ist, denkt man: Klar, ist schlimm und voll gefährlich, aber jetzt muss ich hier auch mal weitermachen. Man kriegt alles nicht so richtig mit, hinter der Milchglasscheibe der Sucht. Deshalb hat man damit ja auch mal angefangen – um gegen die ewige Vernunft vorzugehen. Trotzdem waren das schockierende Einschnitte, als enge Wegbegleiter plötzlich starben. (Pause) Auch bei mir war es ziemlich knapp. Es wäre nicht mehr lange gut gegangen.

Am Ende lagen Sie pleite und im Delirium in einem vermüllten Hotelzimmer in Hamburg. Dann kam Ihr Bruder und hat Sie rausgeholt. Wäre er nicht gekommen…

Stuckrad-Barre: Mir ist komplett schleierhaft, wie es weitergegangen wäre. Das ist schon sehr seltsam, dass mein Bruder genau an diesem Tag kam. Ich musste, genau als er kam, gerade aus diesem Hotel ausziehen, weil ich kein Geld mehr hatte – und keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Und Udo, ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt, schlief noch. Es war Mittag. Das war schon so ein Endpunkt.

In „Panikherz“ träumen Sie von einer Vorspultaste für die Realwelt. Wann war der letzte Vorspulmoment?

Stuckrad-Barre: Die Bahnfahrt gestern zum Beispiel: Viereinhalb Stunden, von Leipzig nach Köln. Manchmal würde ich aber auch gerne zurückspulen. Und dann Standbild. Hier bleiben. Für immer. Heute Morgen lief ich am Rhein entlang und habe gesehen, wie ein Riesenrad aufgebaut wurde. Ich werde immer so melancholisch, wenn Jahrmärkte auf- oder abgebaut werden. Das finde ich wahnsinnig romantisch.

Jahrmärkte romantisch?

Stuckrad-Barre: Jahrmärkte selbst sind natürlich die absolute Hölle, ein kandierter Quatsch. Aber ein Sehnsuchtsbild meiner Kindheit ist ein Mann in einem dieser Fahrgeschäftskassenhäuschen, der ein Tuch über sein Mikrofon gespannt hat und Sachen sagt wie: „So Leude, eine Runde machen wir noch, einmal geht das hier noch looos“. Am Kassenfenster hing ein Schild, auf dem stand: „Junger Mann zum Mitreisen gesucht.“ Und ich dachte immer: Das wäre es! Naja, und heute Morgen dieses Riesenrad, der Rhein, und alles war so schön ebengrau überm Grasgrün – es sah aus wie dieses berühmte Gursky-Bild vom Rhein. Da hätte ich gerne die Pausentaste gedrückt. Musste aber weiterlaufen.

INFO: Benjamin von Stuckrad-Barre liest am Montag, 14. November, im Zentrum aus seinem Buch „Panikherz“. Gerade erschinen ist sein neues  80-seitige Buch „Nüchtern am Weltnichtrauchertag“.

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