Bislang hieß es, für Energiewende und Versorgungssicherheit seien neue Stromtrassen nötig – jetzt treten Umweltschützer auf die Bremse. Am Freitag kritisierten Christian von Hirschhausen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und BUND-Präsident Hubert Weiger in Berlin den vor zwei Wochen veröffentlichten neuen Entwurf des Netzentwicklungsplanes 2014 als intransparent und gegen die Energiewende gerichtet.

Weiger fordert öffentliche Anhörung

Weiger warnte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) vor einem Kuhhandel mit einzelnen Landesregierungen und forderte eine öffentliche Anhörung zum Netzausbau. Der von den Netzbetreibern vorgelegte Entwurf verstoße gegen die Klimaziele der Bundesregierung. Christian von Hirschhausen kritisiert, der Anteil der Kohleverstromung sei zu hoch angesetzt und der Neubau von Braunkohlekraftwerken werde gefördert.

Der Wirtschaftswissenschaftler ist einer der größten Kritiker der geplanten Stromleitung, die jetzt von Wolmirstedt quer durch Sachsen-Anhalt, Thüringen und Franken ins bayerische Gundremmingen führen soll. Wie wirken sich der neue Start- und Endpunkt der Trasse auf den Strom aus, der darüber fließt? „Am Strommix ändert sich kaum was“, sagt von Hirschhausen im Gespräch mit dem Kurier. Er argumentiert nach wie vor, dass es in erster Linie um die Einspeisung von Kohlestrom geht.

Nur weil Wolmirstedt weiter nördlich liege als der bisherige Startpunkt in Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt, sei nicht mit mehr Einspeisung von Windstrom zu rechnen. „Es ist sogar schlimmer geworden“, kommentiert von Hirschhausen den neuen Startpunkt mit Blick auf die Einspeisung von Kohlestrom und verweist auf den Netzentwicklungsplan.

Überschuss an Strom

Ein Blick auf die Prognosen im aktuellen Entwurf zeigt: Im Jahr 2024 wird im Einzugsbereich des Startpunktes der Trasse deutlich mehr der Braunkohlestrom als Windstrom erzeugt werden. Je nach Berechnungsmodell schwankt die Erzeugung von Braunkohlestrom zwischen 63,9 Terrawattstunden (TW/h) und 76,9 TW/h pro Jahr. Die Schätzungen für Windstrom schwanken zwischen 26,5 und 29,5 TW/h.

In allen drei Szenarien im aktuellen Netzentwicklungsplan ist ein deutlicher Überschuss an erzeugter Energie in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg zu erkennen. Strom, der dann nach Süden transportiert werden müsste. Die Grafik zeigt deutlich, dass es in Bayern künftig eine Versorgungslücke geben wird – vor allem aufgrund des Atomausstieges. Im Jahr 2022 geht im Freistaat der letzte Kernreaktor vom Netz.

Im Netzentwicklungsplan sind seit geraumer Zeit Anschlussleitungen für ein neues Kohlekraftwerk in Profen in Sachsen-Anhalt und zwei neue Gaskraftwerke in Premnitz und Calbe (beide Brandenburg) enthalten. Christian von Hirschhausen kritisiert vor allem den Bau neuer Kohlekraftwerke. Mit Blick auf die Energiewende nennt er das Projekt in Profen „grotesk“.

Ob die Kraftwerke gebaut werden oder nicht, lässt sich an den geplanten Netzanschlüssen im Netzentwicklungsplan nicht eindeutig ablesen. „Wir haben eine Anschlussverpflichtung“, erklärt Volker Kamm, Sprecher des Übertragungsnetzbetreibers 50hertz. Sprich: Sobald Überlegungen im Raum stehen, ein neues Kraftwerk zu bauen, muss der Netzanschluss gleich mit geplant werden. Kamm weiter: „Es kann natürlich sein, dass die Anlagenbetreiber von ihren Plänen wieder Abstand nehmen.“

Bei Anfragen zum Kohlekraftwerk in Profen verweist die Landesregierung in Sachsen-Anhalt an die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft Mibrag. Eine schriftliche Anfrage des Kuriers zum Planungsstand des Kraftwerks ließ die Mibrag unbeantwortet. Für den Bau eines Gaskraftwerkes in Premnitz liegen nach Angaben der Landesregierung in Brandenburg alle Genehmigungen vor.

Durch die neuen Kraftwerke könnte weiterer Bedarf für Stromtransport aus Ostdeutschland nach Bayern geschaffen werden. Dabei drängen die Staatsregierung und einige Oppositionspolitiker schon seit geraumer Zeit darauf, in Bayern neue Gaskraftwerke zu errichten. Es sei Aufgabe der Bundesregierung, die Stromversorgung sicherzustellen, teilt das bayerische Wirtschaftsministerium auf Kurier-Anfrage mit. „Der Freistaat setzt auf moderne Gaskraftwerke, die jedoch unter derzeitigen Bedingungen kaum wirtschaftlich zu betreiben sind“, sagt ein Ministeriumssprecher. In Bayern favorisiert man nach wie vor eigene Gaskraftwerke statt Stromimporte aus anderen Bundesländern. Es sei „darauf zu achten, dass auch im Süden grundlastfähige Kapazitäten vorhanden sind.“