Warum ist der Protest gegen die Gleichstrompassage Süd-Ost so laut? Stromtrasse: „Politiker sollten konsequenter sein"

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Protestierende Bürger werfen den Regierenden bei der Energiewende eine Chaos-Politik vor. Ein hausgemachtes Problem, sagen Politikberater und Wissenschaflter. Foto: Münch Foto: red

Strom stinkt nicht, wohl aber die Sache mit der Gleichstromtrasse. Ohne geht nicht, sagte die Politik vor zwei Jahren. Und änderte gleich nach dem ersten lauten Protest ihre Meinung. Und das stinkt gewaltig. Sagt der Politikberater Michael Spreng. Sagt auch Ortwin Renn, Professor für Technik- und Umweltsoziologie in Baden-Württemberg. Ihr Fazit: Die Politik zeigt sich nicht von ihrer besten Seite.

 
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„Es droht Stillstand", warnt Michael Spreng, der ehemalige Chefredakteur der Bild am Sonntag. Wenn die Politik nicht mehr zu der Trasse stehe, die sie vorher im Bundesrat beschlossen hat, und selbst Windräder infrage stellt, „dann werden Vertrauen und Glaubwürdigkeit zerstört". Die Gegner stellten dann die Sachargumente in Frage, weil sie den Entscheidern nicht mehr vertrauten. Das räche sich in längeren Verfahren. Und darin, dass die Glaubwürdigkeit der Politiker angeschlagen sei, weil sie sich weigerten, Verantwortung zu übernehmen. Sprengs Forderung: „Politiker sollten konsequenter sein."

„Großprojekte, Wutbürger, Medien und Politik: Wie handlungsfähig ist Deutschland?", lautete das Thema, zu dem der Atom-Konzern Areva in seine Zentrale nach Erlangen eingeladen hatte. „Alle drei sind in der Krise", sagt Spreng, sowohl Bürger, als auch Politik und Medien. Die Politik rede Projekte schön, die Journalisten hätten keine Zeit mehr, gründlich dagegen an zu recherchieren. Und die Bürger seien „hysterisiert, weil ihnen die „Einsicht in die Notwendigkeit fehlt", sagt Renn.

Zweifler zu spät in die Prozesse einbezogen

Er war nach der Katastrophe in Fukushima in der Ethik-Kommission der Bundesregierung. Sechs Wochen lang habe sie fast täglich getagt. Zu dieser Zeit lautete die Frage: „Brauchen wir wirklich vier neue Stromleitungen?" Heute würde Deutschland Strom aus Offshore-Leitungen nach Polen verschenken. „Das ist irrsinnig." Hätte man damals die Zweifler in die Diskussionen mit einbezogen, dann fiele der Protest zusammen. Es müsste auch bei der Trasse durch Bayern die Einsicht geben, dass sie „aus übergeordneten Zielen notwendig" sei, sagte Renn. Diese Einsicht aber gebe es nicht. „Denn die da oben sind sich doch selbst nicht einig." Das zeige das von Ministerpräsident Horst Seehofer ausgerufene Moratorium.

Günter Beckstein konterte auf der politischen Ebene: „Risiken schätzt man in dem Augenblick anders ab, wenn etwas sehr umstritten wird." Wenn der der Widerstand komme, suche man nach Alternativen. Nochmals zu prüfen, ob die Trasse notwendig sei, hält Beckstein in der Tat für „staatspolitisch nicht schön". Allerdings dürfe die Politik nicht „mäandern" auf dem Weg der Suche nach dem geringsten Widerstand. „So macht man den Wutbürger zum Effektiv-Bürger."

Bürger werden wütend, wenn das Gemeinwohl umstritten ist

Aber wie der Bürger so schnell zum „Wutbürger"? Ein Problem der Kommunikation, diagnostiziert Politikberater Spreng. Das sei zu kurz gesprungen, sagt Wissenschaftler Renn. Er sieht mehrere Gründe: Zum einen das St.-Florian-Prinzip, die Trasse nicht vor der eigenen Haustür zu haben. Aber nicht nur. Auch dann werde der Bürger wütend, wenn das Gemeinwohl umstritten, der Prozess der Entscheidungsfindung intransparent sei und wenn es jemand gebe, der sagt: „Vielleicht ist die Trasse doch nicht notwendig." Dann sei die Skandalisierung nicht mehr weit.

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