Strenge Versuchsanordnung

Von Michael Weiser
Kompliziertes Verhältnis: Karenin (Wolfram Ster) und Anna Karenina (Mirjam Theil). Foto: Thomas Eberlein Foto: red

Ein strenger Klassiker an der Studiobühne: "Anna Karenina" feierte mit Verspätung Premiere, und zwar in Armin Petras' vieldiskutierter Adaption. An der Röntgenstraße war die Reaktion einhellig: Viel Beifall für das gut aufgelegte Ensemble sowie Regisseurin Marieluise Müller und ihr Team.

 
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Die Älteren erinnern sich womöglich noch an zwei moppelige Cartoongestalten und den immer gleichen Satzanfang „Liebe ist...“, stets heiter-optimistisch vervollständig zu Sinnsprüchen wie „...was du daraus machst“ oder „...Schmetterlinge im Bauch“.

„Liebe ist, Liebe ist...“ haucht auch die sterbende Anna Karenina, und da bleibt nichts Gutes zu vervollständigen: Liebe ist Verhängnis, Irrtum, eine Aufgabe, die den Menschen zuverlässig überfordert. Das Leid mit der Liebe ist schon bei Leo Tolstoi auch eine Folge von Kommunikationsunfähigkeit. Noch stärker arbeitet Armin Petras diesen Aspekt in seiner Bühnenadaption von „Anna Karenina“ heraus. Vom großen Gesellschaftspanorama bleiben Versuchsanordnungen zurück: drei Beziehungsmodelle, die Langeweile, maximale Enttäuschung und Gelingen durch Realitätssinn abbilden.

Wronski ist zu lau für Annas Wärme

Mirjam Theil wandelt als eine sehr glaubwürdige, ätherische Anna Karenina durch das Labyrinth der Beziehungen,mit einer Anmutung wie Kira Knightley in der jüngsten Verfilmung des Stoffs. Der unbedingt Liebenden mag Tim Sokollek als Wronski seine Zeit und seine Liebenswürdigkeit zu schenken, nicht aber sein Herz, nicht vollständig zumindest, was natürlich nicht gutgehen kann. Tim Sokollek legt den Beau als gewandten Buben mit Hang zum Leichtsinn an, als charmanten Spieler, der in sich zerrissen ist zwischen der Neugier auf Leidenschaft und der Sorge um seine Karriere.

Ihm hat Regisseurin Marieluise Müller einen gespenstischen Doppelgänger beigesellt: Tim Sokollek sorgt für die Außenwirkung, Florian Kolb droht als Innenleben, so ist die Aufgabenteilung, die dem Geschehen manchmal mehr Farbe verleiht, aber Wronskis Problem nicht deutlicher macht als die Vorlage: dass der Rittmeister ein Zerrissener ist, ahnte man auch so. Auch bekommt die Inszenierung ausgerechnet dort etwas Dämonisches, wo es doch nur um Lauheit geht: In Wronskis Begegnung mit der Welt.

Saufen mit dem Tunichtgut

Wronski ist ein Gesellschaftsmensch, und in Gesellschaft von Annas leichtfertigem Bruder Stefan trinkt es sich besonders gut. Jürgen Fikentscher legt den Stefan als sympathischen Tunichtgut an, der am Ende ins Diabolische umkippt. Birgit Franz ist seine duldsame Gattin, die leidgeprüfte Dasha, auch das eine ambivalenten Rolle: Als gottergebene Dulderin schlüpft sie während der Hochzeitsvorbereitungen des dritten Paares Katja und Kostja (Frank Ambrosius) in die Rolle des glaubensstrengen Popen, der die Beichte abnimmt. Es scheint ihr Spaß zu machen, weit mehr als die deprimierend abgekühlten Ehe mit Stefan.

Armin Petras macht es in seiner strengen, reduzierten Neufassung des Romans dem Zuschauer nicht leicht. Manche Figuren sollen sich wandeln, Karenin etwa tritt einmal als der gemeinsame Sohn Serjosha auf. Das führt an der Studiobühne dazu, dass der älteste Akteur unvermittelt die jüngste Figur spielt. Wolfram Ster auf einmal als Neunjährigen begreifen zu müssen, stellt manchen Zuschauer womöglich erstmal vor Rätsel. Auch sonst sind Petras’ Figuren nicht in jedem Moment auf eine lineare Handlung festgelegt. Sie verfallen immer wieder in einen Monolog, in dem sie dem Zuschauer das Geschehen und ihre Beweggründe erklären. Es ist, als träten die Akteure aus der Handlung heraus. Müller verwischt da absichtsvoll die Grenzen, indem sie etwa Katja (Alix Hofmann) während ihrer Erklärstücke weiter spielen lässt.

Die anfangs widerstrebende Katja ist die vielleicht klügste Figur, sicher aber die einzige Realistin: Lächelnd ergibt sie sich das Werben des tapsigen Lewin, des Grundbesitzers, dessen Reichtum doch das Selbstbewusstsein nicht steigern kann. Jedoch: Auf dem glatten Parkett, das in Karlheinz Beers spröder und kühler Ausstattung die Eisbahn der Gefühle ersetzt, tanzt er nicht elegant, aber standfest. Ein gutes Paar, das im Laufe des Spiels in Fahrt kam: Keine Liebe auf den ersten Blick, diese Beziehung, aber so ausbaufähig, wie’s ein gnädiger Geist nur zulassen kann. Fast ein Wunder, in der die Menschen doch letztlich nur traurig sind oder hassen, wie Anna glaubt.

Armin Petras lässt seine Figuren selten schwelgen. Kein Kostümfilm, trotz der schönen Kleider, eher zeitloses Sprachlabor. Ein strenges Stück, gleichwohl alles andere als langwierig. Zumal wenn man Tim Sokollek und Mirjam Theil bei minimalistischen Dialogen an den Lippen hängen darf. Wrosnki hat Anna gemalt, sie möchte das Bild kaufen. Wronski fragt: „Was würden Sie dafür geben?“ Anna: „Alles“. Wronski: „Es ist unverkäuflich.“ Anna: „Ich dachte es mir.“ Damit ist vieles, wenn nicht alles gesagt: Anna, die alles geben will und schon kurz vor der enttäuschenden Erkenntnis steht, Wronski, der etwas zurückhält, mit einem Argument, das ihm alles offenlässt. So kann er Anna ihres Wertes versichern, vor allem aber das Bild zurückhalten, das er wohl schon dem drittwichtigsten Museum Moskaus versprochen hat. Wronski ist ein Meister des entschiedenen Sowohl-als-auchs. Wenn so jemand auf jemand Unbedingten trifft - das kann wirklich nicht gutgehen.

Nächste Termine: 6., 9., 10., 16., 18., 22., 28. März; 6., 14. und 15. April.

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