Stefan Vinke und die Krokodile

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Je höher man steht, desto höher muss man singen, damit’s unten nicht falsch ankommt. Klingt wie ein Witz, ist aber Ernst, wenn man auf dem Mount Rushmore steht. Warum Ein Bär auf der Bühne ganz schön stören kann, einem Krokodile hingegen aus der Hand fressen. Und warum man auch als Held gegen die Biester keine Chance hat: Tenor Stefan Vinke, der Siegfried des „Rings“, erklärte es dem Kurier im Interview.

 
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Herr Vinke, als studierter Kirchenmusiker war ihr Weg zu Richard Wagner nicht vorgezeichnet. Wann hatten Sie zum ersten Mal das Gefühl, dass ein Heldentenor in Ihnen schlummern könnte?

Stefan Vinke: Dieses Gefühl hatte zuerst Edda Moser, bei der ich 1992 studiert habe. Zur zweiten Gesangsstunde brachte sie mir einen Satz Kopien mit, drückt ihn mir am Ende der Stunde in die Hand und sagt: Das werden Sie irgendwann singen. Das war „Ein Schwert verhieß mir der Vater“. Edda Moser hat gesagt. „Sie werden mal ein Heldentenor sein.“

Damals klang Ihre Stimme aber wohl eher noch nach der eines Kantors.

Vinke: Ich habe nach dem Studium bei verschiedenen Rundfunkchören vorgesungen, um Chorsänger zu werden. Überall hieß es: Du singst wunderbar, aber das Timbre ist zu speziell, das können wir uns nicht für den Chor vorstellen. Deswegen hat mich keiner dieser Chöre genommen. Vielleicht wäre mein Leben völlig anders verlaufen, wenn ich damals in Hamburg nicht 17 zu 16 Stimmen gegen, sondern für mich gehabt hätte.

"Ich habe mich mit dieser Produktion arrangiert"

Was würde Edda Moser heute sagen, wenn sie Sie als Krokodile fütternden Siegfried auf der Bühne des Festspielhauses sehen würde?

Vinke: Tja, ich weiß es nicht. Schwer zu sagen, ob sie sagen würde: Ich hätte so etwas nicht mitgemacht. Oder ob sie sagen würde: Machen Sie’s mit und singen Sie schön. Schön singen ist das Wichtigere. Was wir machen, ist vor allen Dingen ein Genre, das sich um Stimmen dreht.

Mit welchem Gefühl werfen Sie denn dem Krokodil das Fressen ins Maul?

Vinke: Ich habe mich durchaus mit dieser Produktion dahingehend arrangiert, dass es mir Spaß macht das zu singen und zu spielen, dass ich mit den Krokodilen umgehen kann und gerne noch ein bisschen mehr machen würde. Aber dann werde ich von der Regie gebremst: Übertreib’s nicht, es soll nicht lächerlich wirken. Ich habe diese Produktion angenommen, wohlwissend, was ich zu spielen habe.

Der Beginn des ersten Aufzugs von „Siegfried“ ist ja üblicherweise ein szenisches Duett zwischen Mime und Siegfried. In der Castorf-Produktion sind sie zu dritt – mit Patric Seibert, der vom Bären bis zum Blaseblag einfach alles spielt. Wie ist das für Sie als Siegfried, wenn stets dieses schauspielernde Bühnenfaktotum um Sie herum springt.

Vinke: Das ist gelegentlich durchaus schwierig, weil er uns stört. Aber ich glaube, das ist die Idee des Konzeptes – ihn reinzubringen und sowohl die innigen als auch die fetzigen Momente zwischen Mime und Siegfried zu stören, zu zerlegen, so dass man das Ganze vielleicht aus einer zusätzlichen Perspektive betrachtet.

"Die Schmiedeszene, sie bleibt wild"

Es wäre für Sie leichter, wenn er nicht dabei wäre?

Vinke: Ja.

Aber er nimmt Ihnen doch auch szenische Arbeit ab.

Vinke: Das finde ich nicht. Meine szenische Arbeit bleibt trotzdem die gleiche. Es kommt eher mehr dazu, weil ich mit ihm ja auch spielen und interagieren muss. Dennoch bleibt meine Rolle so, wie sie auch in einer sehr konservativen Produktion wäre. Die Umschaltstellen, wo sich plötzlich ein anderer Charakter, eine neue Farbe im Stücke gibt, sind durch Wagner und seinen Text festgelegt. Völlig egal, was an Inszenierung drumherum passiert. Diese Stellen bleiben bestehen.

Auch Castorf hat sie nicht angetastet?

Vinke: Nein. Diese Stellen kann man nicht umgehen. Auch jemand, der eine sehr provokante Produktion hinsetzt, kommt nicht drumherum, eine lyrische Farbe in seinem Gestus zu finden, wenn Siegfried darüber sinniert, dass seine Mutter starb, während er geboren wurde. Oder die Schmiedeszene: sie bleibt immer eine wilde Szene, egal wie die Produktion angelegt ist.

"Ich hab Angst, dass ich ihm wehtue"

Es ist aber schon so, dass Ihnen Patric Seibert stellenweise ein bisschen die Show stiehlt.

Vinke: Das ist ja die Idee im ganzen „Ring“, dass gerade Patric, mit dem, was er spielt und macht – oder auch die Kameras – ablenkt von dem, was wir üblicherweise sehen und hören. Er lenkt von der eigentlichen Handlung ab. Andererseits: Die meisten, die nach Bayreuth gehen, kennen die eigentliche Handlung und finden vielleicht ganz interessant, da mal was Zusätzliches draufgepfropft zu sehen.

Patric Seibert den Bären spielen zu lassen, ist ja durchaus eine intelligente Lösung.

Vinke: Ich hab’ jedesmal Angst, dass ich ihm dabei richtig wehtue. Es ist nicht einfach mit ihm zu spielen, weil er immer bis an die Grenze geht. Ich habe oft Angst, dass ich ihn verletzen könnte.

Ein Unfall beim Siegfried

Aber die Schlinge zieht sich doch nicht wirklich zu...

Vinke: Aber sie bremst ruckartig, wenn er sie um den Hals liegen hat. Kein Sängerkollege dieser Welt würde das mitmachen.

In der zweiten „Siegfried“-Aufführung ist ja plötzlich das Dach vom Wohnwagen runtergekracht. Das sah gefährlich aus.

Vinke: Das war tatsächlich ein Unfall. Wir sind alle heilfroh, dass niemandem was passiert ist. Wäre da jemand gesessen und das Dach wäre ihm gegen die Beine geschlagen, wären die gebrochen. Aber insgesamt ist das Bühnenbild sehr sicher.

Die Bühnenarbeiter, die das Dach während der Aufführung reparierten, hätte man ja durchaus auch als Castorfsche Zutat im Sinne Brechts sehen können.

Vinke: Dann wurde das doch genau in seinem Sinne gelöst.

"Nackt, in der Mitte der Bühne - das mache ich nicht"

Haben Sie bei den Proben jemals zu Castorf gesagt: Das mache ich nicht.

Vinke: Nein. Das kam aber vor einigen Jahren in einer anderen Produktion vor. Dort wollte der Regisseur, dass am Ende der „Götterdämmerung“ an Siegfried eine Leichenwaschung vorgenommen wird. Er sollte also ausgezogen werden und dann als Statue – nackt, wie Gott ihn erschaffen hat – bis zum Ende des Stücks in der Mitte der Bühne stehen. Das war eines der wenigen Male, wo ich gesagt haben: Das mache ich nicht.

Würden Sie Castorfs Inszenierung als sängerunfreundlich bezeichnen?

Vinke: Bedingt. Es ist ein sehr sängerfreundliches Bühnenbild. Wir haben immer Wände hinter uns, es ist recht geschlossen. Wir singen nicht für die Bühne, sondern fürs Zuschauerhaus. Das funktioniert wunderbar. Das einzige was gelegentlich sängerunfreundlich ist, sind die szenischen Sachen, die zum eigentlichen Inhalt dazuerfunden werden. Da sind wir wieder bei Patrick, den Filmen oder den Krokodilen, die plötzlich die Konzentration des Zuschauers vom Sänger so wegnehmen, dass du nicht mehr dagegen anspielen kannst. Ich kann ihnen in jeder Vorstellung sagen, wann die Krokodile im „Siegfried“ auf die Bühne kriechen. Nicht, weil ich sie höre, sondern weil ich das Publikum sehe, in dem plötzlich alle Köpfe nach rechts gehen. Dann weiß ich: o.k., deine Freunde sind da. Da kannst du nicht dagegen anspielen. Ich kann mich höchstens davor spielen, so dass das Publikum die Krokodile beobachten kann, mich aber nicht aus dem Fokus verliert.

So sehen also die Herausforderungen an einen modernen Heldentenor aus: Er kämpft gegen das Krokodil um die Aufmerksamkeit des Publikums.

Vinke: Das ist das Einzige, was ich Castorf als sängerunfreundlich vorwerfen könnte. Gegen Tiere auf der Bühne kommt man nie an – egal ob sie echt sind oder aus Plastik.

Wie hat Ihnen Castorf die Krokodile erklärt?

Vinke: Seine Assistenten, die die szenische Arbeit mit ihm vorbereitet hatten, haben mir gesagt, dass das ein Zitat an die Krokodile ist, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin aus dem zerbombten Zoo ausgebrochen sind und in der Kanalisation verschwunden waren, und dann mal hier, mal da auftauchten bis man sie wieder einfangen konnte.

Dieser Art Zitate gibt es in Castorfs „Ring“ ja viele.

Vinke: Beim Wiederauftritt Siegfrieds im ersten Akt zerhaue ich eine Felsennase am Mount Rushmore. Danach finde ich ein Buch und fange an, Seiten herauszureißen und diese anzuzünden.

Das soll wohl an die Bücherverbrennung von 1933 erinnern.

Vinke: Genau. Die Bücherverbrennung. Man muss aber den Geist so offen haben, dass einem das in den Kopfe kommt und dass man darüber nachdenkt, warum er in der dritten Szene im ersten Akt die Bücherverbrennung zitiert.

"Eine echte Herausforderung"

Vermutlich verbrennen Sie da nicht „Das Kapital“ von Marx ...

Vinke: Da ist der Fantasie keine Grenze gesetzt.

Wie Sie bereits sagten: Das Bühnenbild im „Siegfried“ ist ja wirklich grandios. Wie singt es sich denn da oben über den Köpfen von Lenin und Stalin?

Vinke: Das ist eine echte Herausforderung, da oben zu stehen. Der Dirigent ist plötzlich unendlich weit weg, das Publikum noch viel weiter und es ist unglaublich heiß da oben.

Wie ist’s auf dem Mount Rushmore?

Vinke: Man kann da selber nicht einschätzen, wie laut man ist. Man muss sich auf vertraute Personen aus dem Zuschauerhaus verlassen. Vor allem muss ich – entgegen dem, wie ich es sonst auf der Bühne in Bayreuth machen muss – tatsächlich wieder vor dem Schlag des Dirigenten singen, da ansonsten der Klang nicht richtig im Zuschauerraum ankommt. Außerdem muss ich etwas höher singen als die eigentliche Stimmung, denn die Entfernung nimmt Höhe aus dem Klang. Je weiter ich vom Zuschauerraum entfernt bin, desto höher muss ich meine Intonation ansetzten, sonst komme ich falsch an. Ein böser physikalischer Effekt.

"Eine tolle Lebendigkeit"

Für Diskussionen sorgte in diesem Jahr ja auch der Dirigentenwechsel von Kirill Petrenko zu Marek Janowski. Was ist für Sie der Unterschied?

Vinke: Bei Janowski treffen wir uns auf jeder Eins eines Taktes. Bei Petrenko trafen wir uns auf jeder Zählzeit des Taktes. Es war bei Petrenko kleingliedriger und feiner gearbeitet. Janowski lässt uns mehr Freiräume für den großen Bogen, so dass jeder Musiker seine eigene Phrase spielt. Dabei kommt es schon mal vor, dass nicht immer alles exakt übereinander ist. Aber alle Bögen und Phrasen haben eine tolle Lebendigkeit. Das ist vielleicht der große Unterschied.

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