Kassier gewährt sich 50.000 Euro-Darlehen aus der Vereinskasse Staatsanwalt ermittelt im Kindergarten

Von Christina Knorz
Kindertagesstätte, Kiga, Spielkreis Ramsenthal am 10.06.2013. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Der Kassier hat knapp 50 000 Euro aus der Vereinskasse des Spielkreises Ramsenthal genommen. Über seinen Rechtsanwalt lässt er sagen: "Ich hatte einen Auftrag dazu." Der Vorstand widerspricht. Jetzt ermittelt der Staatsanwalt.

 
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Wenn beim Spielkreis Ramsenthal eine Puppenküche für 600 Euro gekauft werden soll, diskutieren Eltern und Erzieher darüber. Väter und Mütter bauen sie dann zusammen auf. "Wir sind wie eine Familie", sagt stellvertretender Vorsitzender Jan Henrik Schmitz (34). Dass einer das Vertrauen misbraucht hat, trifft viele empfindlich.

Geld vom Konto weg

Ein Jahr ist es her. Ende Juli 2012. Da übernahmen zwei neue Vorsitzende das Kleinunternehmen Kindergarten. Christine Flach (43) und Jan Henrik Schmitz (34). Beide haben Familie, Arbeit, Umbau am Haus - eigentlich was anderes zu tun. An den Abenden und Wochenenden kümmern sie sich um die Verwaltung, und mit anderen Eltern zusammen darum, dass die Jungs einen eigenen Raum zum Spielen bekommen, dass die Wand der Kuschelecke neu gestrichen und eine Küchenzeile eingebaut wird. Seit 36 Jahren ist ein Verein aus Eltern Träger des Kindergartens.

Erst Unglaube, dann Schock: "Bei den Kontoauszügen stimmt etwas nicht", erinnert sich Vorsitzende Flach an ihre Reaktion, als sie nach den Kindergartenferien im September die Bücher aufschlägt. Sie blättert, stutzt, berät sich mit Schmitz und lässt sofort das Konto sperren. Von der Bank fahren sie zum Kassier und tragen die Unterlagen aus dem Haus. Die Buchprüfung ergibt das aus ihrer Sicht „Unfassbare": 47.900 Euro sind weg. Knapp die Hälfte des Jahresetats. Von Februar bis September 2012. In Tranchen von 600 Euro bis 5000 Euro. "Ohne erkennbares Muster, manchmal zweimal am Tag in bar abgehoben, dann wieder überwiesen", sagt Schmitz. Ende September sei der Kindergarten "kurz vor der Zahlungsunfähigkeit" gewesen. Die Gemeinde muss einspringen. "Sonst hätten wir den Erziehrinnen ihren Lohn nicht zahlen können", sagt Schmitz.

Gemeinde hilft aus

Bürgermeister Gerald Kolb und der Gemeinderat helfen dem Verein aus der Zwangslage. 7000 Euro wechseln den Besitzer. "Jeder Kindergarten kann im Jahr 3500 Euro Zuschuss von der Gemeinde abrufen", sagt Kolb. Der Spielkreis habe das 2011 und 2012 nicht getan, obwohl es ihm zustehe. "Wir sind ihnen nur insofern entgegen gekommen, dass wir das Geld rückwirkend und sofort überweisen haben", sagt Kolb. Für ihn war der Vorfall "ein Schock". "Man liest zwar darüber, dass es so was gibt, aber dass es in der eigenen Gemeinde passiert, glaubt man nicht."

Geld wird in Raten zurückgezahlt

Schmitz und Flach konfrontieren den Kassier. Ein Elternteil wie sie, mit Kindern im Spielkreis. "Er hat nichts geleugnet, immer kooperiert", sagt Flach. Über das Mahngericht erwirken sie einen Titel gegen ihn. Der erlaubt es dem Kindergarten, das Geld zur Not mit Zwangsmitteln wie Versteigerung oder Pfändung einzutreiben. "Wir haben uns darauf geeinigt, dass er das Geld in Raten zurückbezahlt", sagt Schmitz.

Anzeigen wollen sie ihn nicht. Auf der Mitgliederversammlung im März informieren Schmitz und Flach die anderen Eltern. Sie reden lange an diesem Abend. Auch darüber, dass die Kinder nichts mitbekommen sollen. Auch seine Kinder nicht. Der Vorstand wird entlastet. Der Kassier in Abwesenheit nicht. Einen neuen zu wählen, dauert. Keiner will den Job übernehmen. Schließlich übernimmt Schmitz' Frau Birgit den Posten. "Den Sühne-Gedanken, er soll dafür ins Gefägnis, haben wir beiseite geschoben", sagt Jan Henrik Schmitz. "Wichtig war uns, dass der Kindergarten das Geld wiederbekommt, das weg ist."

Kassier erhielt angeblich Auftrag

"Das Geld war nie weg", widerspricht Rechtsanwalt Volker Beermann. Es sei "angelegt", stecke in "privatwirtschaftlichen Projekten" als "Darlehensgeschäfte".  Eine Investition mit Zinsen von 4,7 Prozent. Es gebe Verträge. Der neue Vorstand sei mit der Geldanlage nicht zufrieden gewesen. "Weil sie die Befürchtung hatten, das Geld könne verschleudert werden." Sein Mandant habe den Auftrag dazu aber vom alten Vorstand bekommen, "um die Vermögensverhältnisse des Vereins zu verbessern". Das ließe sich anhand von Protokollen nachweisen, so Beermann.

"Ich habe ihm dazu nie einen Auftrag erteilt", sagt ehemaliger Vorsitzender Edmund Popp (56). "Wir haben von dem, was er machte, nichts gewusst", sagt auch die ehemalige stellvertretende Vorsitzende Katja Kilian (34). Der Verein habe laufende Zahlungen wie Löhne und Unterhalt des Hauses zu begleichen. "Da kann man das Geld doch nicht fest anlegen oder damit spekulieren", sagt Popp. Sie hätten sich im Vorstand wohl darüber unterhalten, mal die Bank zu wechseln oder ein Tagesgeldkonto zu benutzen. "Aber doch nie eine private Geldanlage, wir hatten doch kein Geld übrig", sagt Popp. Er war sechs Jahre im Vorstand, auch nachdem seine Kinder schon groß waren, blieb er dem Spielkreis treu. Dass er seinen Nachfolgern im Amt solche Querelen hinterlassen hat, geht ihm nahe. "Das ist mir peinlich."

Dem Kurier liegen die Verträge zu den "privatwirtschaftlichen Investitionen" vor, mit denen der Kassier das Abheben der 47.900 Euro belegt. Es handelt sich um Darlehensverträge zwischen dem Verein und einer namentlich benannten Einzelperson - dem Kassier. Aus ihnen geht hervor: Er hat also die drei Verträge mit sich selbst geschlossen und sowohl als Darlehensnehmer als auch Darlehensgeber unterzeichnet. Als Zweck des Darlehens ist die Renovierung einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Bayreuth angegeben. Teil des Vertrags ist auch eine Bedingung: Sollte der Darlehensnehmer zahlungsunfähig sein, lässt der Spielkreis Ramsenthal allen übrigen Gläubigern den Vortritt. Ein Detail, das vor einem Hintergrund Bedeutung haben könnte. Nach Kurier-Recherchen steht der ehemalige Kassier mit einem Unternehmen in den roten Zahlen, wie die Daten eines Dienstleisters für Wirtschaftsauskünfte und Kreditwürdigkeit zeigen. Eine andere Firma wurde Anfang des Jahres aus dem Handelsregister gelöscht.

Polizei ermittelt

Leitender Oberstaatsanwalt Herbert Potzel hat die Ermittlungen aufgenommen. Das werde keinen Einfluss auf die Rückzahlungsmoral seines Mandanten haben, verspricht Anwalt Beermann. Mittlerweile seien knapp 20.000 Euro zurückbezahlt. Er geht davon aus, "dass der Rest im Sommer beglichen wird".

Die Kindergartenfamilie hat die Wirren unbeschadet überstanden, sagt Elternbeiratsvorsitzende Sabine Mehnert. Niemand habe sein Kind aus dem Spielkreis genommen. "Der Alltag lief ja auch das letzte Jahr ganz normal weiter, die Kinder haben nichts mitbekommen, wir halten zusammen", sagt sie. Im Vorstand gilt jetzt das "Kontrolle-ist-besser"-Prinzip. Schmitz und Flach lassen sich außerdem über Versicherungen für Ehrenamtliche beraten. Und am schwarzen Brett des Kindergartens hängt ein Zettel, auf dem Freiwillige gesucht werden, das Gartenhäuschen zu streichen und Schubkarren zu reparieren.

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