St. Georgen: Seespiele und Erbswurst

Von Thorsten Gütling

Kaum vorstellbar, dass hier mal alles unter Wasser stand. Es dazu noch eine Insel gab, von der aus Kriegsschiffe zur Belustigung der Markgrafen mit schwerem Geschütz beladen wurden. Exakt 410 Jahre später, der See war längst zugeschüttet, trat die Erbswurst aus der Knorrfabrik von hier aus seinen Siegeszug um die Welt an. Sie sehen: St. Georgen ist ein geschichtsträchtiges Örtchen, dem die Stadt mit Hilfe eines Investor jetzt neues Leben einhauchen will.

 
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Aber zunächst einmal sind die Bürger gefragt. Vier Wochen können Einwände und Bedenken gegen die Pläne der Stadt und des Weidener Investors erhoben werden. Beide haben vor, auf dem Gelände zwischen Ordensschloss, Baywa-Turm und Inselstraße in St. Georgen ein neues Wohn- und Gewerbeviertel entstehen zu lassen. Dazu muss zunächst einmal nahezu alles, was auf dem Gelände herum steht, abgerissen werden. Auch der leer stehende Baywa-Turm, an dessen Stelle ein bis zu acht Stockwerke hohes Hochhaus entstehen soll. Ein erster Kritiker tritt schon jetzt auf den Plan.

Ein hochinteressantes Stück Stadtgeschichte

Norbert Hübsch, der Geschäftsführer des historischen Vereins für Oberfranken, spricht von einem höchst interessanten Stück Bayreuther Stadtgeschichte, das der Stadtrat jetzt in Angriff nimmt. Auf der einen Seite das Ordensschloss des Markgrafen Georg Wilhelm, das bald 300 Jahre auf dem Buckel hat. Dahinter die Industriebrache, die bis vor 240 Jahren noch Teil eines künstlich angelegten Sees war, der bis kurz vor Bindlach reichte. Und dessen Spuren heute noch sichtbar sind. Dazu am nördlichen Rand des Geländes das hohe, heute als Baywa-Turm bekannte Gebäude.

Diesem Gebiet neues Leben einzuhauchen, das hat der Stadtrat 2013 beschlossen. Jetzt steht ein Investor bereit, und Norbert Hübsch sagt: „Geschichte lebt von Veränderung.“ Man könne nunmal nicht alles erhalten, wohl aber Altes in Neues integrieren. Und idealerweise sollte man den Baywa-Turm daher nicht abreißen, sondern umbauen.

Die Heimat der Erbswurst

Aber warum gerade dieses Gebäude? Nicht nur, weil es einst Teil einer noch viel größeren Fabrik war. Einer, in der ab 1918 etliche St. Georgener Arbeit fanden. Von der aus so bekannte Produkte wie die Erbswurst von Knorr, eines der ältesten industriell hergestellten Fertiggerichte, die Welt eroberten, noch lange bevor darin der Agrarkonzern Baywa 6000 Tonnen Futtergetreide, Raps und Braugerste für die Landwirte der Region bereit hielt. Sondern auch, weil das Gebäude offenbar eine architektonische Besonderheit aufweist.

Ein geheimnisvolles Dach

Alexander Weis war bis zum Auszug der Baywa im Jahr 2014 für dieses und andere Gebäude des Agrarkonzerns zuständig. Er erinnert sich, wie er bei der ersten Begehung Mitte der 90er Jahre für seine acht Mitarbeiter riesige Sozialräume und etlichen Duschen vorfand. Und wie er eines Tages erstaunt feststellte, dass das Dach des Gebäudes nur zur Zierde mit Ziegeln bedeckt wurde. Darunter gebe es ein Dach aus Beton. Warum, das weiß keiner so genau. Vielleicht wurde es eines Tages aus Gründen des Brandschutzes eingezogen – in dem Haus soll es im Laufe der Jahre mehrfach gebrannt haben. Vielleicht sollte es so aber auch eventuellen Fliegerangriffen im Zweiten Weltkrieg besser standhalten. Auf jeden Fall aber sei es eine besondere Konstruktion, ungewöhnlich für solche Gebäude. Und insofern erfordere dieses Haus eine kreative Lösung, sagt Norbert Hübsch. Wenn man sich nicht jetzt darüber unterhalten dürfe, wann dann?

Diskutieren erlaubt

Sich darüber zu unterhalten, dagegen hat auch im Bayreuther Stadtrat niemand etwas. Christoph Rabenstein, Landtagsabgeordneter der SPD und selbst Historiker, hat schon Bücher zur Geschichte St. Georgens verfasst. Er sagt: „Es müsste zumindest einmal überprüft werden, ob ein Erhalt mit einem vertretbaren Aufwand überhaupt möglich ist.“ Etwas unter Denkmalschutz zu stellen sei schließlich nicht alleine eine Frage des Alters. In Fall des Baywa-Turms handle es sich vielmehr um ein Gebäude, das das Ortsbild über ein Jahrhundert lang prägte und das für die Industriegeschichte von Bedeutung sei.

Angst, dass dann der Investor abspringt

Ernst-Rüdiger Kettel, stellvertretender Vorsitzender der Bayreuther Gemeinschaft im Stadtrat und Ehrenvorsitzender des Bürgervereins Bayreuth-St. Georgen, hält dagegen: Bereits heute stehe nur noch ein Teil des Gebäudes. Vor allem die markanten Silos sind längst verschwunden. „Wäre man an einem Denkmal interessiert gewesen, dann hätte man es nicht scheibchenweise abreißen dürfen“, sagt Kettel. Er befürchtet zudem: Macht man dem Investor zu viele Vorgaben, könnte der schnell wieder abspringen. Dabei müsse die Stadt froh sein, dass jemand auf eigene Kosten verändern wolle, was heute katastrophal aussehe. So ähnlich sieht das auch Klaus Klötzer, Fraktionsgeschäftsführer der CSU. Er sagt: Man müsse über alles reden dürfen, er sei aber froh, dass sich auf dem Gelände endlich etwas tue. Vielleicht solle man sich das Gebäude aber doch noch einmal genauer anschauen.

Die Bürger haben jetzt das Wort

Dass das Gelände beplant werden darf und die Pläne jetzt für vier Wochen öffentlich ausgelegt werden müssen, das hat der Stadtrat beschlossen. Während dieser Zeit können sich die Bürger schriftlich zu dem Projekt äußern. Auf die Einwände muss dann wiederum die Stadtverwaltung reagieren. Ob sie das zu seiner Zufriedenheit tut, entscheidet dann wiederum der Stadtrat.

Als die ganze Gegend unter Wasser stand

Das Gebiet, das die Stadt mit Hilfe des Investors sanieren will, ist nicht nur wegen des Baywa-Turms ein geschichtsträchtiges. Tatsächlich stand all das, was jetzt mit Wohnungen und Gewerbeeinheiten bebaut werden soll, einmal unter Wasser. Von der Rückseite des Ordensschlosses bis vor die Tore Bindlachs ließ Markgraf Friedrich IV. im Jahr 1508 mehrere kleine Teiche zu einem großen zusammenlegen. 270 Jahre lang gab es diesen „Brandenburger Weiher“, aus dem die Markgrafen zunächst jährlich 15 Tonnen Fisch fischten, bis er schließlich um 1700 weiter ausgebuddelt und für Kriegsschiffe befahrbar gemacht wurde. Nachdem das Schloss wegen seiner Lage schon lange für rauschende Sommerfeste herhalten musste, wollten die Markgrafen damals Seespiele sehen.

Eine Insel für die schweren Schiffe

Weil die schweren Schiffe am flachen Ufer aber auf Grund gelaufen wären, ließen sie zum Be- und Entladen der Schiffe eine Insel aufschütten, die dem Viertel später seinen Namen gab. Ein Teil dieser Insel ist heute noch zu erkennen, weil er als einzig größerer Fleck in dem Viertel dicht mit Bäumen bewachsen ist. 1775 wurde der See schließlich abgelassen und zugeschüttet. Offenbar war er zu einem Hygieneproblem geworden. Von ungesunden Dämpfen ist damals zu lesen. Eines der größten Schiffe soll zuvor aber noch auf dem See in Brand geraten und wegen der explodierenden Kanonen an Bord unter fürchterlichem Krach gesunken sein. Jahre später fand man beim Bau des Nordrings noch die Spuren des Weihers – in Form von dunklen Schichten im Erdreich.

Das Schloss wird zum Gefängnis

Das Schloss selbst wurde um 1800 unter dem preußischen Minister Karl August von Hardenberg (nachdem eine Straße am Stadtfriedhof benannt ist) erst zum Geräteschuppen und Kornspeicher und später zum Lazarett. 100 Jahre später zog die Verwaltung des Zucht- und Arbeitshauses ein, kurz danach wurde es zum Frauengefängnis, als das es heute im Volksmund noch gilt. 1991 startete ein Verein mit Unterstützung der Stadt eine Petition, um das Schloss wieder der Öffentlichkeit zu übergeben. Ohne Erfolg. Weil weder ein Träger gefunden, noch ein Nutzungskonzept entwickelt wurde, investierte der Freistaat stattdessen zehn Millionen Euro, um aus dem Schloss die landesweit einzige Stelle für tuberkulosekranke Gefangene zu machen. Auf Nachfrage heißt es aus dem Justizministerium deshalb: Ein Abzug der Justiz aus dem Schloss sei kein Thema.

Mit Material aus dem Buch „St. Georgen – Bilder und Geschichten“ von Christoph Rabenstein und Ronald Werner aus dem Jahr 1994.

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