Sparbuchschock: Aus 43 Euro wurde ein Euro

Von Andreas Gewinner
Marga und Horst Engelhardt mit dem fast wertlosen Sparbuch der Postbank. Die beiden Senioren sind erbost über die Praxis der Bank. Foto: Andreas Gewinner Foto: red

Marga Engelhardt traute ihren Ohren nicht. Aus dem Guthaben des Postbanksparbuchs von 43 Euro war binnen 14 Jahre ein Guthaben von nur noch genau einem Euro geworden. Die Postbank sagt: Hat alles seine Richtigkeit. Was war geschehen?

 
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Marga Engelhardts Mann Horst war 1958 als Wehrdienstleistender zur Bundeswehr nach Ingolstadt gekommen. Und um einen Notgroschen für eine Fahrt nach Hause zu haben, legte er sich ein Postsparbuch zu. Mit zuletzt 20 Mark. Was damals eine Menge Geld war, denn der seinerzeitige Wehrsold betrug zwei Mark pro Tag.

2002 zur Euroumstellung wurde ein neues Postbanksparbuch ausgestellt. Aus den 20 Mark waren mit Zinsen in den 42 Jahren 82,40 Mark geworden. Nun, 14 Jahre später, entschlossen sich die Engelhardts, das Sparbuch aufzulösen. Doch statt mit 43 Euro Bargeld wieder nach Hause zu gehen, kam Marga Engelhardt heim mit einem Sparbuch mit dem Guthaben von genau einem Euro.

Dazu teilt Postbankpressesprecher Ralf Palm auf Nachfrage mit: „Die Postbank hatte zum 1. Januar 2008 ein Entgelt für lange nicht aktiv genutzte Sparkonten eingeführt. Dieses Entgelt wurde nur erhoben bei Sparkonten mit dreimonatiger Kündigungsfrist, auf denen länger als drei Jahre keine Kontobewegung zu verzeichnen war und deren Guthaben 60 Euro unterschritt.“ Dies betreffe nur ein einzelnes altes Finanzprodukt, das 2008 schon seit zehn Jahren nicht mehr angeboten worden sei. Alle betroffenen Kunden seien von der Postbank damals persönlich angeschrieben und über die Einführung des Entgeltes informiert worden, so Palm. Die Engelhardts verneinen, je einen solchen Brief bekommen zu haben.

Postbank macht hohen Aufwand geltend

Zur Begründung für das guthabenfressende Entgelt sagt Palm: „Die Verwaltung von Sparkonten ist für jede Bank mit einem Aufwand an Personal- und IT-Ressourcen verbunden. Für die Sparkonten, die nicht mehr vertrieben wurden oder von ihren Kontoinhabern ungenutzt blieben und nur geringste Einlagen aufwiesen, musste eine alte IT-Architektur aufrecht werden. Dies verursachte überproportional hohe Kosten. Aufgrund der Implementierung von neuen IT-Strukturen und -Prozessen konnten diese Kosten mittlerweile so weit reduziert werden, dass eine weitere Entgelterhebung nicht mehr notwendig ist. Seit dem 1. Mai 2013 wird dieses Entgelt deshalb nicht mehr erhoben.“

Mit den aktuellen Diskussionen um höhere Bankgebühren, mit denen sich Banken und Sparkassen möglicherweise angesichts sinkender oder gar Negativzinsen ihr Auskommen sichern wollen, hat diese Postbankgebühr also nichts zu tun.

Das von 2008 bis 2013 erhobene Entgelt für mehrjährig unbewegte Spareinlagen mit dreimonatiger Kündigungsfrist betrug einen Euro pro Monat. Das Entgelt wurde jeweils rückwirkend für das Jahr erhoben und vom Sparkonto abgebucht. War das Sparguthaben erschöpft, fielen keine weiteren Entgelte an. Wurde ein unbewegtes Sparkonto in ein Sparkonto aus der aktuellen Produktpalette umgewandelt, dann entfiel das Entgelt sofort, so Pressesprecher Palm.

Für die Engelhardts sind das schlicht „Raubrittermethoden“. Marga Engelhardt sagt: „Als wir Kinder waren, hieß es immer: Ein Sparbuch, das ist was!“ Sie spricht von „Antiwerbung für die Postbank“ und ist überzeugt: „Das geht nach hinten los.“

Es gibt noch viele weitere Betroffene

Die Engelhardts sind bei weitem nicht die einzigen Betroffenen. Das habe man ihr im Schreibwarengeschäft Münch, wo die Postbankagentur ist, gesagt, so Marga Engelhardt. Und im Internet stößt man auf jede Menge Zeitungsberichte von vergleichbaren Fällen. Bei der Verbraucherzentrale Bayern ist diese konkrete Gebühr ausschließlich auf Kleinstguthaben bisher nicht Thema gewesen. Doch Sibylle Miller-Trach von der Verbraucherzentrale sieht Parallelen zur Praxis diverser Banken bei Girokonten. Wo ab einer regelmäßigen monatlichen Mindesteinzahlung das Girokonto gebührenfrei wird. Resultat: Geringverdiener müssen Gebühren für ihr Konto zahlen, Gutverdiener nicht (vergleiche dazu auch Text „Selbstversuch“ am Ende).

Nach dem Guthabenschock hat Marga Engelhardt das alte Sparbuch erst mal nicht aufgelöst. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben: „Den einen Euro holen wir uns freilich“, versichert Horst Engelhardt.

Und vielleicht geht ja doch noch was: Die WAZ berichtete vor zwei Jahren auf ihrem Internetportal „Der Westen“ von einem vergleichbaren Fall in Herne. Hier ging es um rund 15 Euro Guthaben, die zu 50 Cent geworden waren. Die Postbank erstattete in diesem Fall die Gebühren aus „Kulanzgründen“.

Selbstversuch mit 20 Jahre altem Postsparbuch

Aus gegebenem Anlass unternahmen wir einen Selbstversuch mit einem Postbanksparbuch, das seit 20 Jahren unberührt als Mietkaution im Tresor des Vermieters lag. Guthaben 1996: 1000 Mark. Also deutlich mehr als die 60 Euro Guthaben, bis zu denen die Postbank die guthabenzehrenden Gebühren erhoben hatte. Das Sparbuch wurde nun gegen eine Barüberweisung als Kaution getauscht, abgeholt und zur örtlichen Postbankagentur gebracht. Dort war dann der Drucker mit den Nachträgen aus zwei Jahrzehnten eine ganze Weile beschäftigt: drei Doppelseiten wurden fast vollständig bedruckt. Ergebnis: aus 1000 Mark beziehungsweise 511,29 Euro waren in 20 Jahren immerhin 592,25 Euro geworden, ein Plus von knapp 81 Euro. Wahr ist aber auch: in den letzten sieben Jahren wuchs das Guthaben nur noch um rund drei Euro.

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