Ganz anders als gedacht: Einmal komplett durch die CDs der Bayreuther A-cappella-Truppe Six Pack: Die große Jubiläumstour

Von Florian Zinnecker
25 Jahre auf dem Buckel und immer noch gan schön dnyamisch: Die Sechs von Six Pack. Foto: red Foto: red

Das Bayreuther A-Capella-Ensemble Six Pack feiert Jubiläum. Seit 25 Jahren gibt es die Gruppe. Auf der Bühne läuft Six Pack regelmäßig zur Hochform auf. Aber was passiert, wenn man ihr Gesamtwerk auf CD einmal komplett durchmisst? Ein Selbstversuch in sieben Stationen.

 
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Dieses Jahr feiert die Bayreuther A-Capella-Gruppe Six Pack 25. Jubiläum. Drei der sechs Sänger aus der aktuellen Besetzung sind von Anfang an dabei, über die Jahre sind sieben CDs entstanden. Auf der Bühne läuft die Band zuverlässig zur Hochform auf. Aber Auftritte sind flüchtig. Um von heute aus nachzuvollziehen, wie Six Pack wurden, was sie heute sind, gibt es nur einen Weg: Ich muss mich einmal durch die sieben CDs hören, sozusagen: Ich muss ihr Gesamtwerk einmal der Länge nach durchmessen, zu Fuß.

Ein Turm, so hoch wie ein Ei

Gestapelt ergeben die CDs einen Turm, ungefähr so hoch wie ein Überraschungsei, aneinander gelegt die Strecke eines großen Schritts nach vorn. 114 Tracks. 321 Minuten – knapp fünfeinhalb Stunden. Das heißt: Wenn ich gleich nach dem Aufstehen beginne, bin ich bis zum Mittagsläuten durch.

Nummer 1

Die erste CD: „N’mbA oder: Die Strutn verlassen das singende Schiff“, 1992. So sehen CDs aus, die es vor allem deshalb gibt, damit man vor der Pause „Uns gibt’s übrigens auch auf CD“ sagen kann. Die Track-Liste: ehrgeiziges A-Capella-Standardrepertoire. „S’Lehm is wira Traum“. „Lollipop“. „The Longest Time“. Aber auch „Highway to hell“ und die Schnulze „Komm mit nach Wuppertal“ mit Coco Sturm, der heute Rechtsanwalt ist, als Leadsänger. Vier der elf Tracks sind Klamauk, Gesamtspielzeit: nur 24 Minuten. Aber bitte: Wir reden über das Jahr 1992, damals eine CD aufzunehmen – das war schon was.

Nummer 2

Die zweite CD: „Megakerls – die Reinigungs-CD“, 1996. Der Ehrgeiz wächst, die Lust am Klamauk auch. Was sind diese Strutn, die sich leitmotivartig durch das Six-Pack-Gesamtwerk ziehen? Vielleicht hätte ich bei den Proben dabeigewesen sein müssen, um den Witz zu kapieren. Wunderbar dagegen: Markus Burucker singt „Solsbury Hill“ von Peter Gabriel und „Bobby Brown“ von Frank Zappa. Außerdem: „Scarborough Fair“ als Duett, „Kiss“ von Prince, „Startin’ over“ von John Lennon – und ein herzergreifend schönes Schalmeien-Solo in „Herr Zlieb“. Vierzehn Tracks, davon drei Eigenkompositionen, sie handeln von Einsamkeit, Telefonsex und davon, dass es in Bayreuth Six Pack light zu kaufen gibt. Ferner ein konstruiertes Radio-Mainwelle-Interview mit einem erfundenen Krabbenkutterkapitän. Weiter geht’s.

Nummer 3

Die dritte CD: „Erbrochenes aus wunden Kehlen“, 1998. Wieder „Kiss“, wieder „Startin’ over“, „Solsbury Hill“, „Wuppertal“, „Bobby Brown“. Dafür aber auch: eine, haha, Instrumentalversion des „Bolero“ und eine Bearbeitung der „Weltspiegel“-Titelmelodie auf den Namen Paul. Großartig. Die erste CD, die ich bedenkenlos ins Autoradio einlegen würde, ohne von schlechten Witzen aus dem Groove gerissen zu werden. (Man kann die Witze natürlich auch anders nennen: Kult. Macht’s aber nicht besser).

Nummer 4

Die vierte CD: „Der Klempner von Rotterdam“, 2000. Auf dem Booklet: das alte Bayreuther Rex-Kino, ach Gott. Six Pack, das waren die 90er in Bayreuth, und die 2000er natürlich auch. Auf der Trackliste: „In the Air“ von Phil Collins, „Azzuro“ von Paolo Conte, außerdem „TNT“, Edith Piaf, ein wundervolles Haindling-Cover und: Tanzesambamitmir! Sambasamba die ganze Nacht!

Nummer 5

Die fünfte CD: „Åhø“, 2003. Rein rechnerisch haben Six Pack alle dreieinhalb Jahre eine CD aufgenommen, in Wahrheit lagen zwischen den CDs Nummer zwei bis vier nur je zwei Jahre, dafür dauerte es zehn Jahre von CD fünf bis CD sechs. Was wirklich erstaunlich ist: Auf allen Platten klingt Six Pack immer eindeutig identifizierbar nach sich selbst - trotz aller Sängerwechsel, trotz verschiedener Arrangeure, trotz der vielen vergangenen Jahre. Der Six-Pack-Sound, das ist: sehr gute Arrangements, starker, souveräner, überwiegend lupenreiner Gesang, und darüber ein kleiner, kaum merklicher Bayreuther Einschlag, der die Konsonanten weich und das „R“ rund macht. Auf der CD: „Billie Jean“, „Ring of fire“, ein Karel-Gott-Medley, der Radetzky-Marsch. Und ein paar große Nummern für Countertenor: „I wanna be loved by you“, „Je ne regrette rien“, die „Habanera“ aus Carmen, alle mit Bernd Esser, der in der hohen Lage Egbert Neumüller ablöste. Natürlich auch in „Kiss“ von Prince. Hier nun zum dritten Mal.

Nummer 6

Die sechste CD: „Best of A Capella Comedy“. 2010. „Kiss“ zum vierten Mal. Und insgesamt ein hübscher Querschnitt der vergangenen vier Stunden. Bobby Brown, der Radetzky Marsch, der Bolero, noch einmal Wuppertal, die Fuge aus der Geographie. Auf dieser Platte singen alte und aktuelle Mitglieder nebeneinander, hinter den Kulissen durchlebte die Band gerade eine durchaus schwere Krise, die Platte, die leicht ein Schlussstrich hätte werden können, plätschert munter darüber hinweg. Als sie zu Ende ist, springe ich noch einmal zurück: zu „Kiss“, zum fünften Mal, als vorgezogene Zugabe.

Nummer 7

Die siebte CD: „Tschingderassabumm“, 2013. Das aktuelle Album. Neue Gesichter auf dem Booklet, neue Stimmfarben in den Songs. Und: eine Trackliste, ganz ohne Selbstzitat. Aber: Trotzdem unverkennbar.„The unknown stuntman“, „Carbonara“, „Kisses for me“, „Octopus’s Garden“, es gibt auch wieder ein Counter-Solo: „Hijo de la luna“, und ein wirklich stattliches Cover von Adeles „Rolling in the deep“ mit Andy Sack. Und dann ist die fünfeinhalbstündige Bandgeschichte urplötzlich zu Ende, Six Pack singen: „Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät?“, das waren also fünfundzwanzig Jahre. Die Geschichte einer Band, die sich - wahrscheinlich mit Absicht - nie entschieden hat, ob sie nun eine Pop-Rock-Cover-Band, eine klassische, ambitionierte A-Capella-Formation oder eine Ulknudelvirtuosen-Sextett sein will. Und deshalb probiert, alles auf einmal zu sein, mit - erstaunlicherweise - sehr ansehnlichem Erfolg. Überschätzt, nein, überschätzt sind sie nicht. Sie sind haargenau das, was sie zu sein behaupten.

Nichts als die Liebe

Aber eines erstaunt dann doch: Dass Six Pack mehr als zwei Drittel der Zeit, die ich mit ihnen verbracht habe, über nichts anderes als die Liebe gesungen haben. Ehrlich, unverblümt, sehnsuchtsvoll und schwärmerisch. Unter der dicken Schicht aus Klamauk, das ist eindeutig, schlagen sechs sehr große Herzen. Und seit 25 Jahren vermutlich auch noch im selben Takt.

Den Chorus von „Kiss“ habe ich dann den ganzen Nachmittag nicht mehr aus dem Hirn bekommen.

INFO: Seit 25 Jahren gibt es die Gruppe, Six Pack feiert daher nächste Woche in Bayreuth: „Tschingderassabumm“ lautet der Titel der A-cappella-Comedy-Show. An drei Abenden treten die sechs im Evangelischen Gemeindehaus auf, und zwar am 24., 25. und 26. April. Beginn ist jeweils um 20 Uhr, Karten an der Theaterkasse.