Ausstellung in Bayreuth Siegfried Wagner, der Pazifist?

Von Michael Weiser
Siegfried Wagner. Foto: red

Nicht jeder, der eine Friedenshymne schreibt, ist ein Friedensapostel. Im Neuen Rathaus legt eine Ausstellung zu Siegfried Wagner falsche Fährten.

 
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Missverständlich ist es, das Plakat, das für die Ausstellung „1914 fff“ im Neuen Rathaus wirbt. Man sieht einen Schützengraben, besetzt mit schießenden deutschen Infanteristen. Davor ragt ein Engel auf, wir können annehmen, es ist der Friedens- oder ein Friedhofsengel, der traurig auf die Soldaten herabblickt. Es wirkt, als wolle er den Uniformierten Einhalt gebieten oder sei ihnen zwecks Füsilierung direkt vor die Gewehrläufe gestellt worden. Welcher Deutung man sich auch anschließen mag, ist im Grunde egal: Hier gilt’s irgendwie dem Frieden.

Reifung zum Friedsieg

Der Mann, der sich „Vom Fahnenschwur zur Friedens-Hymne“ (so der Untertitel der Ausstellung) fortentwickelt haben soll, ist Siegfried Wagner. Die Ausstellung beginnt mit dem Jahr 1914, das für die Wagners – und speziell für Siegfried – tiefe Einschnitte brachte. Der Beidler-Prozess hatte die Verwerfungen innerhalb der Familie vertieft, die Schutzfrist für den „Parsifal“ lief aus, und zu allem Überfluss machte Maximilian Harden Siegfrieds Homosexualität publik – eine Zumutung für die prüde wilhelminische Gesellschaft. Dass die Angelegenheit nicht zum Riesenskandal wurde, hatte der Clan dem Attentat von Sarajewo zu verdanken: Nun sprach niemand mehr über des Meistersohns Privatleben.

Die ökonomische Krise der Dynastie aber verschärfte sich. Einen Monat später brach der Erste Weltkrieg aus, und den Wagners fehlten hinfort die Festspieleinnahmen. Siegfried jedoch komponierte – national euphorisiert wie so viele Künstler – gleich zu Beginn den „Fahnenschwur“ zu Ernst Moritz Arndts Gedicht, „dem deutschen Heer und seinen Führern in begeisterter Dankbarkeit gewidmet“. Am Sedan-Tage 1914, dem 2. September, wurde das Werk uraufgeführt.

Begeistert dankbar

Die Begeisterung für die nationale Bewährungsprobe bezeichnet Isolde Braun im Begleitheft zur Ausstellung als einen der Pole in Siegfrieds Leben, zwischen denen sich der „Prozess der Selbstfindung“ abspiele. Für diese Reifung aber liefern die Ausstellungsmacher Achim Bahr, Peter P. Pachl und Skarlett Röhner keine überzeugenden Belege.

Ihnen geht es eher um eine Weichzeichnung Siegfrieds. Und mit der These, Siegfried sei im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der Familie Wagner ein „Humanist und Kosmopolit“ gewesen, geben sie die Richtung vor. Und so treiben sie von Fahne zu Fahne – auf den Bahnen sind Illustrationen, Noten und Erklärungen abgedruckt – die Reifung des Siegfried vom national gestimmten Idealisten zum Friedenssänger voran. Am Ende dieser Entwicklung steht folgerichtig die „Friedens-Hymne“. Die Ausstellung vergisst nicht den Hinweis, dass der geläuterte Siegfried nach dem Krieg seinen Namen umgestellt wünschte: „Nicht: Durch Sieg Frieden heißt es bei mir, sondern durch Frieden Sieg. Also müsste ich eigentlich Friedsieg heißen.“

Aufgrund solcher Äußerungen aus Siegfried einen Kriegsgegner zu machen, geht jedoch fehl. Er äußerte seine Einsicht Jahre nach dem Krieg, zu einer Zeit, da sogar ein Ernst Jünger seine „Stahlgewitter“ entsprechend dem kriegsmüden Zeitgeist entschärfte. Aufschlussreich ist vor allem seine „Friedens-Hymne“. Siegfried hatte sich vom verzweifelten „Unternehmen Michael“ inspirieren lassen. „Im März 1918, als unsere glänzende Offensive begann und alle Deutschen auf einen baldigen siegreichen Abschluss des Krieges hofften, forderte mich die Leipziger Illustrierte Zeitung auf, eine Friedenshymne für eine Festnummer zu verfassen“, schrieb Siegfried ein Dreivierteljahr später. Eine „voreilige Komposition“, wie er zugab. Denn kurz nach „Michael“ hatte Deutschland den Krieg auch schon verloren.

Gottlob, die U-Boote

Natürlich sehnte sich Siegfried während des Weltkrieges nach Frieden. Doch wie die meisten seiner Zeitgenossen in Europa eben nach einem überwältigenden militärischen Sieg. Man kann es so sagen: Siegfried war eher Gegner der Niederlage als Gegner des Kriegs. Noch 1917 begrüßte er die völkerrechtlich bedenkliche Verschärfung des deutschen U-Boot-Krieges: „Gottlob endlich. Ein Jahr zu spät.“ Und wie so viele Deutsche sah er in der Niederlage das Ergebnis einer Verschwörung. „Jehowa hat sein Volk zum Siege geführt, und wir sind geknechtet“, behauptete Siegfried, „Ekel und Abscheu ergreift einen!“

Davon erfährt man im Neuen Rathaus nichts, ebenso von anderen Irrwegen der Intellektuellen. Nur am Rande wird das „Manifest der 93“ erwähnt. Nach deutschen Kriegsverbrechen in Belgien sahen sich deutsche Künstler und Wissenschaftler 1914 genötigt, auf Vorwürfe des Auslandes zu antworten. Die 93 Männer, unter ihnen Gerhart Hauptmann, Max Liebermann, Max Planck und Wilhelm Röntgen, erklärten wider die Tatsachen, deutsche Soldaten hätten sich lediglich zur Wehr gesetzt und die Schäden in Belgien seien gar nicht so groß gewesen. Auch Wagner unterschrieb.

Das Manifest gilt heute als propagandistisches Eigentor erlauchter Denker, deren nationalistische Begeisterung nicht von Verstand gebremst war. Der Hohn über „deutsche Kultur“ gehörte seitdem unverzichtbar zum Repertoire der alliierten Propaganda. Aber, wie gesagt: Siegfried war nur einer von 93. Er durfte sich in bester Gesellschaft wähnen. Und so hätte es sich r angeboten, am Beispiel seiner Person über die Motive und die Verblendung vieler Intellektueller zu berichten.

Stattdessen geht’s um alles Mögliche. Mal um den Selbstmord und seine Rezeption, mal um die angeblich subversiven Zeichnungen des Karl-May-Illustrators Sascha Schneider und dessen theoretisch denkbare Anknüpfungspunkte an Siegfried. Die Ausstellungsmacher holen alles, aber auch wirklich alles her, was in die Zeit und zu Siegfrieds Stilisierung als noblem Freigeist passt. Man hört, immerhin, auch Musik Wagners aus jenen Jahren.

Angeblich ist die Ausstellung als Beitrag zum Epochenjahr 1914 gedacht – als solcher ist sie ein Armutszeugnis.

INFO: Bis 29. August im Neuen Rathaus, Montag bis Donnerstag 9 bis 17 Uhr, Freitag 9 bis 15 Uhr.