Sexting: Lena macht die Hölle durch

Von Sophia Schwabe
Symbolfoto: Julian Stratenschulte/dpa Foto: red

Lena (Name geändert) war 14 und sehr verliebt. Sie willigte ein, als ihr 15-jähriger Schwarm Nacktfotos von ihr sehen wollte. Sie dachte, er mag sie nicht mehr, wenn sie ihm diese nicht über Whatsapp auf sein Handy schicken würde. „Und so fing das dann alles an“, erinnert sich die heute 19-Jährige. Die Bilder waren plötzlich im Umlauf – und ihr Leben die Hölle. Studien und ein aktueller Fall aus Kulmbach zeigen: Das sogenannte Sexting kann ernste Folgen haben.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Von Kumpel zu Kumpel wanderten die Nacktfotos, bis sie irgendwann „fast die ganze Stadt“ gesehen hatte. „Ich hab nie wirklich mit ihm darüber gesprochen, warum er die Bilder weitergeschickt hat“, sagt Lena. Sie traute sich nie, ihn danach zu fragen. Als ihr das mit den Fotos passierte, war sie zwischen 13 und 14. Warum sie der Junge weiter geschickt hat, weiß sie bis heute nicht. „Ich habe bis heute keine Entschuldigung von ihm bekommen“, sagt Lena im Gespräch mit dem Kurier. Die Sache ist ihr heute noch sichtlich peinlich.

Aufreizende Bilder aus Neugier tauschen?

Der Austausch von Nacktfotos ist unter jungen Paaren mittlerweile schon so verbreitet, dass sich ein eigener Begriff dafür herausgebildet hat: Sexting. Das Wort stammt aus dem Englischen und ist aus „Sex“ und „texting“ zusammengesetzt. Es gibt Studien, die aufzeigen, dass Jugendliche schon zum Flirten und Kennenlernen oder einfach aus Neugier gegenseitig aufreizende Bilder von sich austauschen.

Diplompsychologe Herbert Kraus, Leiter der psychologischen Beratungsstelle in Bayreuth, sagt: „Die modernen Kommunikationstechniken bieten die Möglichkeit, also werden heutzutage entsprechende Bilder verschickt.“ Doch er warnt vor einem Trugschluss: „Man fühlt sich im Netz bestens vertraut, obwohl man sich oftmals noch nie persönlich begegnet ist.“

Tabubruch als Abgrenzung von den Eltern

Kraus vergleicht das Phänomen Sexting und das Verschicken von Nacktfotos mit der in den 1980ern aufgekommenen Trend, sein Bikinioberteil im Freibad oder am Badesee auszuziehen. „Von der Elterngeneration wurde das misstrauisch beäugt und bekämpft.“ Für die Jugendlichen sei dies aber eine Möglichkeit gewesen, sich von der elterlichen Linie abzugrenzen.

Als die Fotos damals im Umlauf waren, wurde Lena offen von Altersgenossen angefeindet, in erster Linie von Mädchen. Die junge Frau berichtet, dass Lehrer und Schulleitung damals hinter ihr standen und ihr Hilfe anboten. Trotzdem schildert sie schlimme Situationen, die ihr bis heute nicht aus dem Kopf gehen. „Ein fremdes Mädchen, das gar nicht auf meiner Schule war, stand auf einmal am Eingang und rief durch das komplette Foyer: Ach, da ist ja die kleine Schlampe mit den Nacktbildern!“

Ein Fall aus Kulmbach landete vor Gericht

Sie erinnert sich an Beleidigungen durch ältere Schüler. Und das, obwohl Lehrer direkt dabei standen. Lena sagt: „Ich hatte Glück, dass ich ein dickes Fell habe und dass meine Schule und meine wahren Freunde stets hinter mir standen. Natürlich haben sich auch Freunde von mir abgewandt.“

Dass das Verschicken von Nacktfotos Jugendlicher noch immer passiert, zeigt ein aktueller Vorfall aus Kulmbach. Die intimen Aufnahmen eines 16-jährigen Mädchens wurden an die Whatsapp-Klassengruppe gesendet. Der Fall landete vor Gericht. Die Jugendlichen, die das Bild verbreitet hatten, wurden mit Sozialstunden bestraft. Psychologen sagen, dass solche Vorfälle die Betroffenen noch lange danach verfolgen können.

Die Nacktbilder lagen plötzlich im Briefkasten

Mit Blick auf das, was sie selbst durchgemacht hat, sagt Lena: „Ich finde es gut, dass das 16-jährige Mädchen aus Kulmbach sofort zur Polizei gegangen ist, sodass die Verantwortlichen bestraft werden konnten.“ Sie hat sich nie zu diesem Schritt durchringen können. „Ich habe mich einfach zu sehr geschämt.“

Lenas Eltern wussten lange nichts von den Fotos. Erst als jemand die Idee hatte, die Fotos auszudrucken und nachts bei ihr zu Hause in den Briefkasten zu werfen, erfuhren sie davon. „Sie waren natürlich erschrocken“, sagt Lena. Und habe die Überlegung im Raum gestanden, die Polizei einzuschalten. „Ich wollte das nie. Ich hatte Angst, die Polizei würde alles nur noch schlimmer machen“, sagt Lena. Sie befürchtete außerdem, dass sowieso nicht mehr nachweisbar gewesen wäre, wer wann welche Bilder irgendwo verbreitet habe. Sie zuckt mit den Schultern. „Ob ich das heute vielleicht anders gemacht hätte, weiß ich nicht.“

Als er von den Nacktfotos erfuhr, zog er sich von ihr zurück

Die Sache beeinflusst ihr Leben bis heute. Vor einem Jahr hatte sie einen Jungen kennengelernt. Alles sah danach aus, als ob sich eine schöne Beziehung entwickeln könnte. „Plötzlich hat er sich immer weiter von mir distanziert“, erzählt Lena. Ihre Stimme wird leise. „Als ich nach dem Grund dafür fragte, sagte er, dass er kein Mädchen als Freundin wolle, das die ganze Stadt schon nackt gesehen hat.“ Das hat Lena sehr weh getan. Sie fragt sich: „Was wäre gewesen, wenn dieser Mist von damals nicht passiert wäre?“

Psychologe Kraus weiß, dass Jugendliche unter den Folgen oftmals still leiden. „Hier entsteht tatsächlich ein erheblicher psychotherapeutischer Behandlungsbedarf. Leider sind sich sowohl Täter als auch Opfer hierüber nicht einmal annähernd im Klaren.“ Nach allem, was sie erlebt hat, rät Lena jungen Mädchen, sich nicht darauf einzulassen, wenn jemand solche Fotos von ihnen sehen möchte. „Wenn er dein Nein nicht respektiert, ist er nicht der Richtige.“

Studien zur Verbreitung des Sextings

Bereits ein Drittel der Jugendlichen hat Erfahrung mit der Verbreitung von aufreizenden Bildern oder Nacktfotos im Internet. 40 Prozent der Jugendlichen haben schon mal ein Nacktbild erhalten. 15 Prozent geben zu, selber schon mal welche gemacht oder eigene verbreitet zu haben. Zu diesen Ergebnissen kam eine repräsentative Studie von saferinternet.at in Österreich.

Bilder