Plädoyers läuten das Ende der Verhandlung ein: Anklage will vier Jahre, drei Monate Sex-Prozess: Vier Jahre Knast?

Von Susanne Will

Nach über 30 Verhandlungstagen geht der Prozess gegen einen 71-Jährigen Unternehmer in die Schlussphase. Dem Mann wird vorgeworfen, seine Tochter (heute 48) seit ihrem 13. Lebensjahr vielfach vergewaltigt haben, er soll seine Enkeltöchter und eine ihrer Freundinnen missbraucht und seine Ex-Frau vergewaltigt haben. Gestern plädierten die Parteien. Der Staatsanwalt will den Unternehmer für vier Jahre und drei Monate im Gefängnis sehen. Der Verteidiger will einen Freispruch.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Staatsanwalt Daniel Götz: Ein „Mann mit zwei Gesichtern“ sitze hier „zurecht auf der Anklagebank“: Einerseits ein erfolgreicher, vermögender Unternehmer, andererseits ein Mann, der „großes Leid über Tochter, Enkel und nahe Bekannte gebracht hat“. Keine Zweifel hatte der Ankläger, was die Vorwürfe der beiden Enkeltöchter anbelangt. Für ihn war es durch die Hauptverhandlung erwiesen, dass er sich an ihnen vergangen hat. Dass er der einen – damals 14 Jahre alt - im Aufzug das Kleid herunterriss, wertete er als besonders schweren Fall der sexuellen Nötigung. Dass er dem gleichen Kind seinen erigierten Penis in den Rücken drückte, verbuchte er unter sexueller Nötigung.

Die Schwester soll er nachts im Bett an der Scheide berührt haben, dann ihre Hand zu seinem erigierten Glied geführt und Onanierbewegungen gemacht haben. „Sie schilderte den Missbrauch konstant“, auch deshalb glaubte ihr der Staatsanwalt. Keine Zweifel hatte er auch an der Echtheit der Tagebucheinträge des Mädchens („warum hat er mich angefasst, es war so eklig, wie ich ihm einen runterholen musste.“). Außerdem habe er versucht, dem Kind in den Genitalbereich zu fassen. Das Mädchen leide noch heute darunter, für Götz ist dieser „schwere sexuelle Missbrauch eine riesengroße Sauerei – mehr fällt mir dazu nicht ein“. Auch die Freundin dieser Enkelin wurde laut Staatsanwalt zu seinen Opfern. Er habe ihr in den bedeckten Genitalbereich gegriffen. Dass die Mädchen sich abgesprochen haben, weist Götz zurück: „Die wollten niemanden in die Pfanne hauen.“

Auch der Aussage der Ex-Frau des Angeklagten schenkte er Glauben. Die Frau gab an, dass er sie in eine Ecke gedrängt habe und mit Fingern in sie eingedrungen sein soll. "Es ergaben sich auch hier keine Hinweise auf ein Komplott aller Opfer gegen den Angeklagten“, Ungereimtheiten während der Hauptverhandlungen seien erklärbar gewesen. Den Vorfall wertete Götz als Vergewaltigung.

Hauptbelastungszeugin war die Tochter des Angeklagten. „Ich bin davon überzeugt, dass es in all den Jahren Übergriffe gegeben hat“, leitete Götz ein, „allein die Komplexität der Schilderungen spricht dafür, dass sie glaubwürdig ist – das kann man nicht erfinden“. Jedoch: Es gab kritische Punkte in der Aussage der heute 48-Jährigen. So stimmen unter anderem behauptete Vorfälle zeitlich nicht. Außerdem kann Götz nicht ausschließen, dass sie in ihren Schilderungen übertrieben habe. „Ich bin überzeugt, dass es die Übergriffe gab, aber das reicht nicht. Wir brauchen Beweise, haben sie aber nicht im erforderlichen Maß.“ 

Der Staatsanwalt beantragt, den Unternehmer vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs an seiner Tochter freizusprechen. Wegen der anderen Taten fordert er für den Angeklagten in der Summe vier Jahre und drei Monate in Haft. Dazu kommt eine Geldstrafe für den unberechtigten Besitz einer Schusswaffe.

Frank Peter, Anwalt der Tochter: „Der Angeklagte ist ein Machtmensch“, der seine Familie „dressiert“ habe. Dass sich die Tochter nach sehr langer Zeit dazu entschlossen habe, dem ein Ende zu setzen und den Vater anzuzeigen, mache die Aussage schwierig. Der Vorwurf des Verteidigers Johann Schwenn, die Tochter sei die Strippenzieherin in einem Komplott aller vermeintlichen Opfer gegen seinen Mandanten, wies Peter scharf zurück. „Ich weiß nicht, was ein Opfer in einem derartig komplexen Sachverhalt noch mehr tun kann, damit eine Verurteilung stattfinden kann.“ Er forderte eine Haftstrafe nicht unter zehn Jahren.

Julia Hoffmann, Anwältin einer der Enkeltöchter: „Als Frau, als Tochter und als Enkelin bin ich erschüttert über die Schilderungen der Zeugin. Es muss einem Spießrutenlauf gleichgewesen sein, wie sich die Frauen der Familie im Beisein des Angeklagten verhalten mussten.“ Ein trägerloses Kleid sei „keine Einladung, es herunterzureißen“. Der Angeklagte habe ein „tierisches Verhalten“ an den Tag gelegt. „Es schmerzt mich, wenn er hier grinst, Einsicht ist nicht erkennbar.“ Wenn er zumindest mit einem Geständnis den Opfern ein kurzes Verfahren ermöglicht und somit die erniedrigenden Aussagen erspart hätte, wäre das ein Schritt auf den richtigen Weg gewesen. Sie schloss sich dem Staatsanwalt an.

Wolfram Schädler, Anwalt der anderen Enkelin und deren Freundin: „Seit meine Mandantin ein Kind war, musste  sie mit den Dämonen fertig werden, die der Angeklagte in ihren Kopf gepflanzt hat.“ Auch er sah keine Hinweise auf ein Komplott, „um den Patriarchen zu köpfen“. „Wussten Sie, was Sie anrichten?“, wandte er sich an den Angeklagten, der wie bisher schwieg. Schädler zählte auf, wie die junge Frau litt: Sie ritzte sich, hatte chronische Schmerzen. Auch Schädler stellte keinen eigenen Strafantrag. „Aber ich meine, dass das Gericht eine höhere Strafe als die vom Staatsanwalt geforderte verhängen sollte.“

Johann Schwenn, Verteidiger des Angeklagten: „Belastbare Sachbeweise gibt es nicht“, sagte er. Der Staatsanwaltschaft warf er „einseitige Beweisführung“ vor. Schwenn blieb dabei, dass alle Opfer sich zu einem Komplott entschlossen hätten, aus „wirtschaftlichen Motiven“. Den selbstverfassten Zeitstrahl mit Notizen zu den Übergriffen, an dem entlang sich die Tochter während des Prozesses orientierte, wertete Schwenn als „Lügengerüst“. Schwenn begründete das Komplott mit dem „manipulatorischen Geschick“ der Tochter: „Menschen lügen für sie“, sagte er. Die Nacktfotos seiner Tochter, die im Safe des Angeklagten gefunden wurden, seien diesem „untergeschoben“ worden. Er forderte einen Freispruch, Entschädigung für die U-Haft und bat um eine Verwarnung wegen des Besitzes des Revolvers.

Die Vorgeschichte:

Opferanwalt misstraut Zeugen

Ersatzrichter muss bald ran

Tochter bezichtigt Vater der Serienvergewaltigung

Eine Zeugin unter Anklage

Zeugin kommt in Sexprozess das Kotzen

Man zieht sich hier selisch aus

Mögliches Alibi im Sexprozess

Ein verbotener Satz im Sexprozess

Eine Zeugin verschwindet im Sexprozess

Gericht hebt Haftbefehl auf

"Kümmerer" in der Schusslinie

Nacktfotos der Tochter im Safe