Seltenes Hobby: Herr der Tüten

Von Andreas Gewinner

Angefangen hat alles mit der Suche nach einem Heft zum Lesen. Doch statt einem Heft hatte Richard Schneider Plastiktüten in der Hand. Tüten von längst verschwundenen Bad Bernecker Geschäften. Sein Interesse war geweckt. Heute, 25 Jahre später, hat Schneider über 3.000 Plastiktüten. So genau weiß er es selbst nicht.

 
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Richard Schneider (67) sammelt Münzen. Und Briefmarken, auch wenn das Hobby mit den gezackten Marken derzeit auf Eis liegt. "Gesammelt habe ich eigentlich schon immer gerne", bekennt der Automechaniker im Ruhestand.

Als Richard Schneider vor 25 Jahren mal krank zu Hause war und was zu lesen suchte, angelte er in einem Behältnis nach einer Ausgabe der Zeitschrift "Bild der Wissenchaft". Doch statt auf bedrucktes Papier stieß er auf bedrucktes Plastik. Seine Frau bewahrte in dem Behälter Einkaufstüten auf. Und so fiel Richard Schneider statt einem Magazin die Tüte der Firma Lauterbach in der Hand, eines Bad Bernecker Pfeffernussbäckers, den es damals schon nicht mehr gab. Und noch andere Tüten von einheimischen Geschäften, die schon nicht mehr existierten. Die Sammelleidenschaft war geweckt. Ohne Einschränkungen. Deswegen findet man bei Richard Schneider heute buchstäblich Tüten aus aller Welt. Bekannte bringen sie ihm von Reisen mit. Und als vor 15 Jahren schon mal die Zeitung über sein ungewöhnliches Hobby berichtete, "da bin ich überflutet worden", bekennt Schneider: "Eine Frau rief an und sagte: "Ich habe eine Eckbank voller Plastiktüten - kommen Sie mal vorbei?"

Wo bewahrt man 3.000 Plastiktüten auf? Und wie? Der Zufall wollte es, dass Schneider etwa zur gleichen Zeit, als der das Tütensammeln anfing, eine große Scheune neben seinem Haus kaufte. Im oberen Stock montierte Schneider Gardinenschienen an der Decke. Von denen baumeln Holzrähmen, die Schneider selbst aus Deckenprofilleisten zusammengezimmert hat. Und an die hat er die Tüten befestigt, erst mit Reißzwecken, dann mit dem Tacker. Da hängen sie nun übereinander, in der Reihenfolge, wie Schneider sie bekommen hat. Umsortieren nach Alter, nach Herkunft, oder Farbe - unmöglich: "Die Arbeit mache ich mir nicht."  Auch führt er kein Buch über seine Schätze. Aber gerade deswegen sorgt das Blättern in den wie Schindeln übereinander hängenden Tüten immer wieder für Überraschungen. Wie bei der Tüte aus dem iranischen Isfahan: "Wer hat die uns denn gegeben?" sinniert Schneider. Auf einer anderen Tüte lächelt eine thailändische Schönheit, auf ein anderen fährt ein Cable Car durch San Francisco vor dem Hintergrund von Alcatraz. Und ein martialisches Motiv trägt die Tüte, die vor fast 30 Jahren Werbung machte für den Kriegsfilm "Zurück vom River Kwai".

Doch es gibt auch ein paar Sorgenkinder unter seinen Schätzen. Vereinzelte kleine Plastikfetzen am Boden künden davon. Ältere Tüten, die ohne Silikon hergestellt wurden, fangen irgendwann an zu zerfallen, weiß Richard Schneider

Mit seinen Münzen und Briefmarken ist Richard Schneider in guter Sammlergesellschaft, auch wenn das Briefmarkenhobby in den vergangenen Jahren etwas aus der Mode gekommen. Doch mit seinen Tüten ist Schneider allein auf weiter Flur: "Ich kenne niemand anders, der Plastiktüten sammelt."

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