Asylbewerber, der sich von Fabrikschlot stürzen wollte, spricht mit dem Kurier über seine Situation Sehnsucht nach einem normalen Leben

Von
 Foto: red

Vor Nasratullah Popalzai steht eine dampfende Tasse mit Pfefferminztee. Er trägt ein Halstuch, eine weiße Jacke und schwarze Stoffhosen, ein gewöhnlicher junger Mann könnte man meinen. Sein Gesichtsausdruck ist jedoch ernst, der Blick der braunen Augen schweift manchmal ins Leere. Kaum zu glauben, dass hier in der Milchbar jener Mann sitzt, der sich Ende Januar zu einer Verzweiflungstat hinreißen ließ: Aus Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan kletterte der 23-Jährige auf einen Fabrikschlot an der Alten Spinnerei und wollte sich hinabstürzen.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Mitten in der Stadt, direkt an der Zentralen Omnisbushaltestelle, in der Mittagszeit. Ein Suizidversuch in der Öffentlichkeit vor den Augen vieler Menschen. Warum? "Mir ist an dem Tag gesagt worden, ich soll mir einen Pass besorgen, im Konsulat in München oder in der Botschaft in Berlin", schildert er die Ereignisse, als er von der drohenden Abschiebung hörte. "Aber ich weiß, dass ich in Afghanistan nicht wohnen kann."

Er habe viele Probleme, fürchte um sein Leben. "Bevor die Taliban mich umbringen, bringe ich mich lieber selbst um. Es ist sehr gefährlich dort." Diese Worte spricht er ruhig aus, fast emotionslos. Wie er überhaupt traurig, aber gefasst wirkt. Einblick in sein Seelenleben gewährt er nicht. Nachdem Popalzai etwa eine Woche lang im Bezirkskrankenhaus in Bayreuth versorgt wurde, kehrte er nach Kulmbach ins Asylantenheim in der Pestalozzistraße zurück. Auf die Frage, wie es ihm gehe, sagt er knapp "gut".

Seit Dezember 2010 lebt er in Kulmbach, wohin er von Zirndorf aus geschickt worden war. Acht Monate lang arbeitete er bei McDonald's, seit einem Vierteljahr ist er arbeitslos. Die Ausländerbehörde am Landratsamt hatte ihm mitgeteilt, dass sein Asylantrag abgelehnt ist. Er ist nur noch geduldet in Deutschland. Was ihm nicht mehr erlaubt, einer Arbeit nachzugehen. Duldung bedeutet lediglich: Die Abschiebung wird vorläufig ausgesetzt. Wann sie genau endet, weiß er nicht.

Er zeigt das Dokument des Ausländeramtes mit seinem Passfoto und dem roten Strich. In der Asylunterkunft lebt er mit drei Männern in einem Zimmer. Dort gibt es einen Mitbewohner, der seit zwölf Jahren ein Geduldeter ist. Die Tage sind für den 23-Jährigen alle nahezu gleich: Schlafen, essen, fernsehen. "Früher habe ich gearbeitet, jetzt kann ich nur noch warten." Das viele Warten erzeugt Frust. Keine Privatsphäre zu haben, macht Stress. Rund ein Drittel aller Asylbewerber leidet unter psychischen Problemen, schätzt die Caritas-Flüchtlingshilfe in Bayreuth. In Hof und in Würzburg begingen Flüchtlinge Suizid. Die Grünen fordern daher, die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften aufzuheben, ebenso die Residenzpflicht. Der Zugang zu Sprachkursen und zum Arbeitsmarkt müsse erleichtert werden. Der bayerische Flüchtlingsrat setzt sich gegen Kürzungen oder Streichungen des monatlichen Taschengelds von 137 Euro ein.

Wenn Nasrathulla Popalzai die Stadt verlassen will, muss er einen Urlaubsschein beantragen. Hört einer der anderen Hausbewohner laut Musik, muss er es aushalten. Trotzdem ist alles besser, als nach Afghanistan zurückzukehren. Dort hat er Angst vor der Al-Kaida. Er sei in Gefahr, sagt er, denn er habe für die US-Soldaten in Dschalalabad gearbeitet. Als Kontrolleur, in einer Art Sicherheitsdienst. Das hätten ihm die Taliban nicht verziehen, sagt er und nippt an seinem Tee.

Die Familie ist inzwischen aus Afghanistan nach Pakistan geflohen. Auch sie sei in Lebensgefahr gewesen. Als er in 30 Metern Höhe auf den Schornstein stieg, habe er keine Angst empfunden: "Besser ich sterbe so, als dort." Inzwischen geht es ihm wieder etwas besser, aber die Ungewissheit ist noch immer schwer zu ertragen. Zu viele Fragezeichen beherrschen sein Leben. Bei der Stadt und im Landratsamt wurde ihm versichert, dass er nicht abschoben wird. Sein Freund, der Iraker Ismail Hassan, begleitet ihn und hilft beim Übersetzen. Ein Münchner Anwalt prüft derzeit, ob die Aufnahme eines zweiten Asylantrags sinnvoll ist.

"Wir sind auf die Mitwirkung der Leute angewiesen", sagt Isabella Burger vom Ausländeramt der Kreisbehörde. Die Entscheidung über Bleiben oder Ausreise trifft sie nicht. Eine freiwillige Heimreise würde sogar mit einem Startguthaben gefördert, fügt sie an. Ohne Papiere werde niemand abgeschoben. "Die Leute kennen das Spiel ganz genau." Für Afghanen, der als 20-Jähriger nach Deutschland kam, ist das jedoch bitterer Ernst. Er will einfach eine Chance bekommen, sagt er, auf Arbeit, eine Familie, ein normales Leben.

Autor

Bilder