Schülern fehlt die Wirtschaftskompetenz

Von Roland Töpfer
 Foto: red

Wirtschaft bestimmt einen wichtigen Teil des Lebens, doch deutsche Schüler können mit dem Thema in vielen Fällen wenig anfangen. Es mangelt an der  nötigen Kompetenz, erklärt Wirtschaftswissenschaftler Günther Seeber im Interview.  

 
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Herr Professor Seeber, die Jugend weiß wenig über Wirtschaft?

Günther Seeber: Aus einer Reihe von Untersuchungen wissen wir, dass junge Menschen tatsächlich ein defizitäres Wirtschaftswissen haben. Sie schätzen das im Übrigen selbst so ein, wie auch Erwachsene, von denen laut einer repräsentativen Befragung mehr als 50 Prozent zugeben, von Finanzangelegenheiten kaum Ahnung zu haben.

 

Was haben Sie herausgefunden?

Seeber: Unsere Untersuchung mit 2330 Schülerinnen und Schülern in Baden-Württemberg hat gezeigt, dass man differenzieren muss. Insbesondere in der Werkrealschule – vergleichbar mit der bayerischen Mittelschule – und der Realschule sind die Kompetenzen der getesteten Neunt- und Zehntklässler im Durchschnitt als gerade noch ausreichend zu bezeichnen. Sie liegen aber noch deutlich unterhalb des Niveaus, das wir uns wünschen würden.

 

Wirtschaft ist nicht sexy?

Seeber: Das mag auf den ersten Blick so wirken. Und wirklich: 50 Prozent der Jugendlichen in unserer Studie haben kein Interesse an Wirtschaft. Zugleich finden 86 Prozent es aber wichtig, Wirtschaftswissen zu haben.

 

Die Schule muss ran?

Seeber: Hier ist die Schule gefordert. Und die kann den Unterricht sehr wohl „sexy“ gestalten. Moderner Wirtschaftsunterricht arbeitet mit Experimenten, Spielen, Fallstudien, Lernvideos, Smartphone-Applikationen und so fort. Ich denke, es gibt gar keine Fächer, die grundsätzlich unsexy sein müssen.

 

Warum ist Wirtschaftswissen wichtig?

Seeber: Wir alle, und damit meine ich auch Kinder und Jugendliche, sind ständig von ökonomischen Problemen umgeben und müssen ökonomisch handeln. Wirtschaftswissen ist also wichtig, um alltagskompetent agieren zu können. Es ist mit Blick in die nahe und ferne Zukunft der Schülerinnen und Schüler erst recht wichtig.

 

Konkret?

Seeber: Sie müssen eine vernünftige Berufswahl- oder Studienentscheidung treffen. Oder sie müssen angesichts der demografischen Entwicklung früh Altersvorsorgeentscheidungen treffen, die vielen Erwachsenen angesichts der unübersichtlichen Fülle von Angeboten schwerfallen. Untersuchungen zeigen, dass die Menschen ihre Rentenbescheide gar nicht richtig lesen. Nicht zuletzt sollen Jugendliche sich ein Urteil über die Wirtschafts- und Sozialpolitik bilden können. Dafür muss die Schule den Grundstein legen.

 

Sie untersuchen die ökonomische Kompetenz von Jugendlichen. Das Ergebnis bisher, ganz kompakt?

Seeber: Wie erwartet, waren die Gymnasiasten in den Klassen neun und zehn besser als die Lernenden der Real- und Werkrealschulen. Überraschend war, dass die Klassen der Oberstufe, die Wirtschaftsunterricht hatten, nur wenig besser abschnitten, als vergleichbare Mitschülerinnen und -schüler ohne eigenen Unterricht. Hier wird unsere gerade begonnene Langzeituntersuchung zeigen, welche Erfolge ein eigenes Fach wirklich bringen wird.

 

Und sonst noch?

Seeber: Erfahrungen mit einem eigenen Bankkonto führten nicht zu besseren Testergebnissen, wie wir eigentlich erwartet hatten. Interessant ist auch, dass die Mädchen nur in einem nicht relevanten Umfang schlechter waren als Jungen. Dabei wissen wir, dass die Frauen im Erwachsenenalter im Durchschnitt deutlich schlechter getestet werden als Männer.

 

Wo sehen Sie die größten Defizite?

Seeber: Die Defizite streuen in alle Kompetenzbereiche. Also auch Alltagskompetenz fehlte oft. Größere Zusammenhänge wurden von den Lernenden oft nicht nachvollzogen, also zum Beispiel Grundpfeiler unserer sozialen Marktwirtschaft, wie das Solidarprinzip in der Sozialversicherung bei der Beitragsbemessung. Auch das Verständnis von unternehmerischem Handeln fiel schwer. Es war für die meisten nicht klar, dass Unternehmern hinsichtlich betrieblicher Belange mehr Entscheidungsfreude abverlangt wird als ihren Arbeitnehmern.

 

In Baden-Württemberg wird nun ab der 7. Klasse das Fach „Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung“ unterrichtet. Zur Nachahmung empfohlen?

Seeber: Ich bin ein Verfechter des Faches. Ich gehe davon aus, dass die genannten Defizite mit einem eigenen Fach besser behoben werden können als im bisherigen System. Zum Beispiel werden wir dann ausgebildete Fachlehrkräfte haben, während zurzeit oft Menschen unterrichten, die Politik studierten oder Geografie.  

 

Was sollen die Schüler lernen?

Seeber: Sie sollen autonom ihr Leben in wirtschaftlichen Angelegenheiten gestalten können. Sie sollen bei ihren Handlungen aber auch bedenken, was andere Menschen – die Verkäufer, mit denen sie zu tun haben, der Ausbildungsbetrieb, die Gewerkschaften – aus wirtschaftlicher Sicht antreibt. Und schließlich brauchen sie ein Verständnis von Märkten, damit sie deren Vorteile, aber auch ihre Schwächen erkennen. So werden sie sehen, dass Politik einen Rahmen setzen muss. Diesen Rahmen wiederum können sie kritisch beurteilen.

 

Es geht auch um Praktisches, um Versicherungen, Miete, Steuern?

Seeber: Ja, aber nur insofern, als die von Ihnen genannten Punkte exemplarisch für größere Zusammenhänge stehen. Eine Einkommensteuererklärung muss nicht schon einmal in der Schule im Vorgriff auf die Berufstätigkeit ausgefüllt werden. Aber dass die Einkommensteuer progressiv erhoben wird und was mit den Steuern geschieht, sollten die Jugendlichen sehr wohl lernen. Da kann dann auch ganz konkret ein Lohnzettel im Unterricht eingesetzt werden, der deutlich macht, was und wie viel vom Bruttoeinkommen eines Gesellen abgezogen wird.

 

Auch um Zinsen, Aktien, Geldanlage, Vermögensaufbau   und Altersvorsorge?

Seeber: Finanzielle Bildung ist ein unbedingter Bestandteil ökonomischer Bildung.  

 

Was kann man noch tun, um das Thema Wirtschaft attraktiver zu machen?

Seeber: Viele, die das Thema für die Schule ablehnen, glauben, es würde eine einseitige, vielleicht nur unternehmerfreundliche Sicht auf die Welt vermittelt. Hier muss noch deutlicher werden, dass wirtschaftliche Kompetenz ein Teil der Allgemeinbildung ist. Dass natürlich nicht nur ein Blickwinkel eingenommen wird.

 

Auch die Wirtschaft muss mehr ran?

Seeber: Die Verbände der Wirtschaft waren in den letzten Jahren schon sehr aktiv. Jetzt ist es eher an der Bildungspolitik, Wirtschaft den richtigen Stellenwert im Unterricht zu geben.  


Zur Person

Professor Günther Seeber leitete die Abteilung Wirtschaftswissenschaft der Universität Koblenz/Landau. Er erarbeitete eine Studie über die ökonomischen Kompetenzen und Einstellungen von Jugendlichen, die von 2017 bis 2020 läuft und von der Stiftung Würth getragen wird.