Die Premierenkritik "Rheingold": Ein starkes Stück

Von Florian Zinnecker
 Foto: red

Ach, es ist so einfach, dieses „Rheingold“ nicht zu mögen. Weil Frank Castorf und Kirill Petrenko ungefähr alles in Frage stellen, was man von dieser Oper bisher hörte, sah und dachte. Am Ende bleibt als Gegenargument aber nicht viel mehr als die eigene Gewohnheit. Und was ist das schon.

 
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Der leise Zweifel, ob man gerade richtig gehört hat, verschwindet an diesem Abend nie so ganz. Ob man vielleicht was an den Ohren hat. Weil sich im Vorspiel die Streicher und Bläser nicht zu einem breiten Strom formen und gemeinsam flussabwärts fließen, weil es diesmal die Bläser sind, die das meiste Gewicht haben, die Streicher sind fast nur noch eine Randbemerkung.

Auch später in der Verwandlungsmusik ist das so, wenn auf den Notenlinien auf einmal Walhall steht. Bei Kirill Petrenko gibt es keine Götterburg mit glänzenden Zinnen, er streicht die Pracht aus der Musik, legt die Bläser so übereinander, dass jeder Akkord in sich spannend wird – und schafft es, dass man beim Hören neugierig wird, wie die Phrase wohl ausgeht.

Es ist, wenn man so will, nicht nur eine schlüssige und fundiert ausbalancierte, sondern auch eine vollkommen anti-nostalgische Lesart des „Rheingolds“, die Petrenko da anbietet. Seine Deutung beginnt – und das klingt weit banaler, als es ist – in den Noten. Das Werk selbst ist entscheidend, und deshalb muss jeder Klang völlig neu zusammengesetzt werden, bis hin zu den Schmiedehämmern in der Verwandlungsmusik zur dritten Szene. Die hier, anders als so oft, nicht wie ein gelöstes Problem klingen, vor das die Partitur den Dirigenten stellte. Sondern – wie Musik.

Und natürlich: Nur weil es anders ist, ist es noch nicht gut, was Pentrenko macht.

Aber es ist auch nicht nur deshalb gut.

Es ist phänomenal.

Was währenddessen auf der Bühne passiert, ist kompakt und ausufernd gleichzeitig, das Golden Motel an der Route 66 ist ein Jahr älter geworden. Es gibt auf dieser Bühne kein Vorne und kein Hinten. Eine Handlung im klassischen Sinn gibt es auch nicht, es passieren Dinge zur Musik, live in den einsehbaren und – über Video – den nicht-einsehbaren Teilen des Bühnenraums, was davon Wahrheit ist und was Lüge, kann man nicht immer klar trennen. Aber das eint die Bühnenrealität eher mit dem Dramenstoff, als dass es sie trennt.

Selbstverständlich sind alle Männerbrüste behaart und aufgeknöpft, selbstverständlich sind alle Frauen blond (mit Ausnahme von Erda) und tief ausgeschnitten.

Es gibt Grillwurst, Gold und Motoröl ins Gesicht, und es gibt ziemlich oft was auf die Nase – denn natürlich hat der Abend nicht nur im Orchestergraben, sondern auch auf der Bühne Leitmotive. Aggressivität ist das prägende, Egoismus ein zweites: Es kommt nicht oft vor, dass zwei Figuren einander offen ins Gesicht sehen.

Der frisch umbesetzte Alberich Oleg Bryjak wirft sich mit seinem ganzen Körper in die Rolle des Widerlings, seine Stimme braucht bis zum Ende der dritten Szene, um ein bisschen mehr Körper zu bekommen. Wotan Wolfgang Koch passt mit seinem rauen Timbre nahtlos in das Gesamtkunstwerk, das dieser Abend ist, einen echten Göttervaterbass braucht er dafür nicht. Hervorragend: Claudia Mahnke als Fricka und Elisabet Strid als Freia, Norbert Ernst als Loge und Burkhard Ulrich als Mime – perfekt in Intonation und Aussprache, nichts anderes gilt für Markus Eiche als Donner und Wilhelm Schwinghammer als Fasolt, der – im Verhältnis zu seinem breitbrüstigen Auftreten als Riese – stimmlich im Verlauf des Abends an Breitbrüstigkeit leicht einbüßt. Musikalischer Glanzpunkt des Abends: die Erda von Nadine Weissmann – eine kleine Sensation.

Und so endet das „Rheingold“ wie im vergangenen Jahr: unten tanzen die Gäste im goldenen Rausch zur Musik aus der Jukebox, die so genannten Götter stehen auf dem Dach des Golden Motels, der Krimi ist zu Ende und hat doch gerade erst begonnen. Ein Abend, ganz anders erzählt als alles, was auf dem Grünen Hügel recht und billig ist, eine Herausforderung für die Theatermaschine Bayreuth, für die Sänger und in allererster Linie das Publikum. Und ein Abend, der Großes hoffen lässt für die drei Tage, die jetzt folgen – dass Castorf mit Erwartungen auf eigene Weise umgeht, ist inzwischen ja bekannt.

Aber was heißt das schon.

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