Forscher erfahren mehr über das Leben an der Grenze zu Böhmen Rauher Kulm: Archäologen graben Festung aus

Von Michael Weiser

Am Rauhen Kulm graben Archäologen nach einer gigantischen Festung, mit der mächtige Grafen vor über tausend Jahren den Nordgau gegen Angriffe ungarischer Steppenkrieger schützten. Dabei erfahren die Ausgräber immer mehr auch über das Leben einfacher Menschen.

 
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Hans Losert schlägt mit der Hand nach einer Stechmücke und sagt: „Alles Schlechte gibt es am Rauhen Kulm“. Am Tag zuvor haben er und seine Gruppe vor einem Unwetter stundenlang Zuflucht im Aussichtsturm auf dem Gipfel suchen müssen. In den Wochen davor hat die Hitze den Elan der Ausgräber gelähmt. Und zu jeder Zeit müssen sich die Archäologen des stechenden Getiers erwehren. „Kriebelmücken sind die schlimmsten“, brummelt Losert.

Doch es gibt etwas, das den Archäologen aus Bamberg alle Widrigkeiten vergessen lässt: Der Rauhe Kulm ist seit dem 19. Jahrhundert wegen seiner Relikte aus dem Mittelalter berühmt. Durch Losters Grabungen der vergangenen Jahre zeichnet sich ab, wie sich im frühen Mittelalter Herrschaftsstrukturen herausbildeten. Und wie man sich das Leben der Menschen im Grenzgebiet zu Böhmen in jener fernen Zeit vorstellen kann, da Bayern noch jung war.

Im Handumdrehen springt man am Rauhen Kulm von Jahrhundert zu Jahrhundert. Hans Losert hat einige unscheinbare, erdbraune Klumpen in den Händen, die er blinzelnd betrachtet. „Eine Ofenkachel aus dem 14., vielleicht sogar erst 15. Jahrhundert“, sagt er, bevor er die nächsten Stücke abschätzt. „Keramik aus dem 8. oder 9. Jahrhundert, und hier eine Scherbe aus der Hallstattzeit.“ So unscheinbar die Scherben auch aussehen, eine so beeindruckende Zeitspanne dokumentieren sie: über zwei Jahrtausende. Und Losert hat sogar noch ältere Funde zu bieten, bis aus der Jungsteinzeit, drei, vier Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung.

Festung mit Toranlage

Im Mittelpunkt seines Interesses stehen aber stehen die wirren Haufen von Basaltgestein, die sich in mehreren Ringen um den steilen Kegel des Kulm legen: Überreste von Mauern, zwischen dreizehnhundert und tausend Jahren alt, Zeugen einer Zeit, da es noch kein Reich der Deutschen gab, sondern allenfalls ein ostfränkisches Reich, mal bedroht von Nordmännern, mal von Ungarn auf struppigen Pferden.

Vor allem auf Angriffe der letzteren hat Losert Hinweise gefunden, Pfeilspitzen magyarischer Herkunft etwa. Auch der Schuttwall gibt Hinweise. Im Nordosten öffnet sich ein Tor, und davor verlegen Bodenwellen den Weg. „Um berittene Angreifer auf Abstand zu halten“, sagt Losert.

Die Toranlage wurde überhaupt aufwendig geschützt. Wenige Meter vor einer Mauer, die möglicherweise schon errichtet wurde, als Karl der Große gerade fränkischer König wurde, türmten ungezählte fleißige Hände später einen zweiten Wall auf. Angreifer, die das Tor überwunden hätten, wären dort in einer Art Zwinger gelandet, wo von allen Seiten aus die Geschosse der Verteidiger auf sie eingeprasselt wären. Die Füße der Verteidiger standen auf hölzernen Planken auf dem zwei Meter hohen Steinwall, geschützt wurden sie durch eine Brustwehr auf Holz. Von ihr fanden Losert und seine Studenten nur einen einzigen rotbraun und schwarz verfärbten Fleck am Grund der Mauer – Überreste eines Pfostens.

Vor die Front der äußeren Mauer wurden irgendwann weitere Steine angelagert, die das Bauwerk stützen sollten – der Rauhe Kulm ist steil, man wundert sich ohnehin, wie eine Mauer ohne Zement und Mörtel dort halten konnte. Einen weiteren Wallring mit kasemattenartigen Torbauten haben Losert und seine jungen Helfer weiter oben gefunden – diese Mauer umgibt den Kulm wenige Höhenmeter unterhalb des Gipfels wie ein Kranz. „Wer hier oben saß, musste sich keine Sorgen mehr wegen Angreifern machen“, sagt Losert.

Rätselhafter Topf

Die Reste der Festung am Rauhen Kulm sind beeindruckend. Allein der untere Ring hat eine Länge von rund tausend Metern – nur ein wirklich bedeutender Herr kann in der Zeit der Karolinger die Hunderte von Kriegern aufbieten, die man benötigt, um den Wall zu bemannen. Die Grafen von Schweinfurt kommen dafür in Frage, die vor tausend Jahren auch im Nordgau das Sagen hatten. Der Rauhe Kulm könnte dann zu einem Kreis von Festungen gehört haben, mit denen die Schweinfurter ihren Besitz vor allem gegen Osten absicherten. Sie wären mächtig genug gewesen, um Hunderte von Menschen zur langwierigen und anstrengenden Arbeit an den Wällen zu verpflichten und hätten auch über das Vermögen verfügt, Arbeiter und Bewaffnete zu ernähren.

So eine Machtentfaltung aber ist kaum vorstellbar in einem menschenleeren Land, bedeckt von Sümpfen und undurchdringlichen Wäldern. „Pollenanalysen lassen eher darauf schließen, dass es so ähnlich aussah wie heute“, sagt Losert. Die Bevölkerung schätzt er auf dem Stand des 18. Jahrhunderts – „ohne die kleinen Städte, die es damals noch nicht gab“.

Die vermutlich mit den Karolingern verwandten Herren des Landes setzten auf slawische Helfer. In die Mauer eingearbeitet, faden die Ausgräber einen gut erhaltenen Tontopf mit den typischen Wellenmustern frühmittelalterlicher slawischer Keramik. „Vielleicht ein Bauopfer“, sinniert Losert. Zu welchem Zweck der rätselhafter Topf in die Mauer gestellt wurde, ist unklar. Sicher scheint, dass er eine gute Nachbarschaft zwischen Ostfranken und Slawen belegt. „Wahrscheinlich wurden sogar slawische Söldner angeheuert“, sagt Losert. „Jedenfalls ging es hier eher entspannt zu.“

INFO: Der 682 Meter hohe Basaltbuckel des Rauhen Kulm ist nicht nur in historischer Hinsicht interessant, sondern lohnt auch als Zeuge vergangener Erdzeiten einen Ausflug. Er ist einer der markantesten Vulkane des Oberpfälzer Hügellandes aus dem Tertiär. In der „Wahl zum schönsten Naturwunder Deutschlands“ der Heinz-Sielmann-Stiftung liegt der Basaltkegel derzeit in Führung. Abstimmen können Sie hier.

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