Prozess zeigt: Millionenuntreue wird möglich, weil einer kein Geld mehr hatte, und ein anderer kein Rückgrat Raps-Festgeldkonto als rettender Strohhalm

Von Manfred Scherer
Im Prozess um Millionenuntreue zeigt sich: Die Tat wurde möglich, weil der Angeklagte kein Geld mehr hatte, und sein Buchhalter kein Rückgrat. Foto: dpa Foto: red

Wem das Wasser bis zum Hals steht, der greift nach jedem Strohhalm: Für den wegen Millionenuntreue angeklagten Auslandgeschäftsführer des Kulmbacher Würzmittelherstellers Raps war der Strohhalm das prall gefüllte Festgeldkonto der belgischen Niederlassung. Auf das Geld konnte er nur mit Hilfe eines Buchhalters zugreifen - warum der ihm nicht in die Parade fuhr,  war ein Thema am zweiten Prozesstag in Hof.

 
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Im Prozesses gegen den 46-jährigen Kulmbacher verdichtet es sich immer mehr: Der Auslandsgeschäftsführer hatte vor dem Zugriff auf das Festgeldkonto erhebliche private Verluste mit jenen Risikoanlagen erlitten, in die er später auch rund 1,7 Millionen aus dem Firmenvermögen steckte. Am zweiten Prozesstag am Mittwoch musste der Angeklagte – vom Gerichtsvorsitzenden Matthias Burghardt in die Mangel genommen – einräumen: Er hatte insgesamt 330 000 Euro Privatvermögen in den Risikoanlagen verloren, als bis dato zugegeben: Am ersten Prozesstag hatte der Mann lediglich 120 000 Euro Privatverlust eingestanden.

Wie berichtet, transferierte der 46-jährige Kulmbacher zwischen Ende 2009 und Anfang 2011 vom Festgeldkonto einer belgischen Raps-Tochter rund 1,7 Millionen Euro in Investments, die nach Einschätzung der Kripo nicht nur riskant, sondern eindeutig „betrügerisch“ waren. Nach wie vor streitet der Angeklagte jedoch ein Untreue-Motiv ab: Er habe mit den Investments das Vermögen seines Arbeitgebers mehren wollen. Bis zuletzt sei er davon überzeugt gewesen, dass die Anlagen – Firmen namens „Mideast Oil“, „Vantage Equity“ oder „Treecoast Oil & Gas“ hatten für den Kauf von Aktien vor einem geplanten Börsengang bis zu 15 Prozent Rendite versprochen – Gewinn abwerfen würden.

Dass der Angeklagte dabei Betrügern aufgesessen war, die ihn stetig vertrösteten und mit Auszahlungs- oder Strafgebühren immer weiter ausquetschten, wollte der 46-Jährige bis zum Schluss nicht wahrhaben. Richter Burghardt verwandte einiges an Zeit, dem Angeklagten eigens übersetzte Emails aus dem Schriftverkehr mit „Mideast Oil“ oder „Vantage Equity“ vorzuhalten. Daraus ist herauszulesen, dass, den Angeklagten einzig die „größte Sorge“ umtrieb, „wie ich mein Geld zurückbekomme.“ Auf den Vorhalt und die Frage von Richter Burghardt: „Da drängt sich doch auf, dass sie ihr Privatinvestment retten wollten. War es so?“, sagte der Angeklagte: „Ja.“

Grund für die Vorhalte des Gerichts um die privaten Geldsorgen des Angeklagten ist eine besondere rechtliche Situation: Weil der Griff in die Raps-Kasse in Belgien stattgefunden hatte, muss erst festgestellt sein, dass die Tat in Belgien ebenfalls strafbar wäre. Dafür hatte das Gericht eine belgische Strafrechtsexpertin geladen, die als Gutachterin feststellte: In Belgien gelte der Griff in die Firmenkasse ebenfalls als strafbare Untreue. Allerdings macht das belgische Strafrecht die Verurteilung wegen Untreue schwieriger: Nach der dortigen Rechtsprechung muss einem Angeklagten ein persönliches Interesse nachzuweisen sein – im vorliegenden Fall dürfte dies eben darin liegen, mit dem Investment den eigenen Privatverlust auszugleichen.

In der Beweisaufnahme stellte sich heraus, dass es für das Verschwinden der 1,7 Millionen Euro nicht nur das Privatinteresse des Angeklagten gebraucht hatte, sondern auch einen Buchhalter ohne Rückgrat. Der 58-jährige Belgier war als Zeuge nach Hof geladen und trat in Begleitung eines Anwalts in den Zeugenstand. Der Zeuge und der angeklagte Auslandgeschäftsführer konnten Überweisungen vom Raps-Tagesgeldkonto nur nach dem Vier-Augen-Prinzip veranlassen.

Als Zeuge behauptete der Belgier, er habe lediglich die Anweisungen des Angeklagten befolgt und ihm vertraut: „Er war eine Vertrauensperson der Führung in Kulmbach.“ Auf die Frage, ob mit dem Angeklagten näher über die Hintergründe der Überweisungen auf Banken in Zypern, Singapur oder Taiwan gesprochen habe, verweigerte der Buchhalter die Aussage. Ebenso gab er keine Erklärung dazu ab, warum er als Buchhalter die längst abgeflossenen Gelder noch in die Bilanz hineingeschrieben hatte. Grund für die verweigerte Aussage: Der Mann muss sich als möglicher Helfershelfer oder gar Mittäter nicht selbst belasten. Auffällig ist: Der Buchhalter kam 2010 neu in die belgische Raps-Niederlassung und war von seinem Vorgänger eindringlich davor gewarnt worden, seine Unterschrift für solche Überweisungen herzugeben.

Der Prozess geht am Freitag weiter, möglicherweise mit den Plädoyers.

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