Gute Zeiten, schlechte Zeiten Premierenkritik zu „Das Rheingold“ bei den Bayreuther Festspielen 2013

Von Florian Zinnecker

Er kam nicht. Im Publikum brüllte einer seinen Namen, es klang wie: Komm raus und schau, was du angerichtet hast. Aber Frank Castorf kam nicht raus, keine Verbeugung, die Buhs liefen ins Leere. Und natürlich begann sofort die Diskussion, ob es da eine Bayreuther Tradition gibt, nach der sich ein „Ring“-Regisseur erst nach der „Götterdämmerung“ zu verbeugen hat. Falls es diese Tradition tatsächlich gibt (und dass das möglich ist, sagt viel über Bayreuth), hätte Castorf sich immerhin an diese eine gehalten.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Ein paar Zuschauer hatten das Ende der Aufführung auch gar nicht abwarten wollen, und weil das „Rheingold“ keine Pause hat, gingen sie eben mittendrin.
Dabei hat Castorf – bis jetzt – gar nichts angerichtet. Nichts schlechtes zumindest. Ganz und gar nichts schlechtes.

Er hat sich nur eben vor dem „Rheingold“ auch nicht verbeugt. Er verweigert sich der Geschichte, die die Oper erzählen soll. Stattdessen erzählt er eine andere: die die eigentliche Geschichte in sich trägt. Und erstaunlicherweise funktioniert das – zumindest am Vorabend – wunderbar.

„Das Rheingold“ ist die zweite Premiere der Bayreuther Festspiele 2013 – und die erste echte. In diesem Jahr. Und zugleich seit langer Zeit. Es ist natürlich wie immer zu früh, den „Ring“ schon jetzt für geglückt oder gescheitert zu erklären. Im „Rheingold“ aber hat Castorf Wort gehalten: Er hat hier nicht einfach nur die Handlung neu bebildern lassen, ausgehend von einem – im Idealfall vorher noch nicht gedachten – Gedanken. Er hat auch gleich eine neue Erzählweise gefunden.

Und eine neue Sprache. Das gab es in Bayreuth zuletzt bei Christoph Schlingensiefs „Parsifal“, bei einem „Ring“ aber noch nie. Und deshalb könnte – könnte! - dieser „Ring“ eines Tages womöglich wirklich als epochal gelten. Epochal für Bayreuth.

Denn dass Castorf seine Liebe für Videoprojektionen auf der Bühne nicht erst in Bayreuth entdeckt hat, dass er den halbernsten Ton, in dem er das „Rheingold“ erzählt, nicht erst hier entwickelt hat, ist kein Geheimnis. Dieses „Rheingold“ spielt in einem Motel im Texas der 60er Jahre, das Motel steht auf einer Drehbühne, und über die Kamerabilder auf der Videoleinwand kann der Zuschauer auch das sehen, was er eigentlich nicht sehen kann. Keine Geheimnisse, radikalstmögliche Offenheit. Neu ist das alles nur noch auf der Bayreuther Bühne. Aber – und nur das ist wichtig – es funktioniert. (Und dass Castorfs Erneuerungsring ausgerechnet in den 60er Jahren beginnt, ist vielleicht auch im Blick auf die Bayreuther Inszenierungsgeschichte eher kein Zufall).

Der Schauplatz: eine Tankstelle an der Route 66, ein System, dessen Fundament auf der Ausbeutung der Natur funktioniert, das Gegenteil von Nachhaltigkeit, und um genau diese zynische Weltsicht geht es bei Castorf: Wenn auch Macht nicht ewig währt, wozu dann Rücksicht nehmen?

Ausgangspunkt seiner Szenerie ist nicht der Anfang der Welt, sondern die grenzenlose Langeweile dreier Frauen und eines Mannes mit prächtigem Backenbart am Swimming Pool. Es ist eine Geschichte in Anekdoten, sie handeln von nichts, und genau das macht ihre Bedeutung aus.

Später liegt Wotan mit Fricka und Freia im Bett. Loge sieht drunten in der Tankstelle nach, wie man am besten nach Nibelheim fährt. Und die Götter sind nur deshalb Götter, weil sie sich wie Götter fühlen.

Es ist ein „Rheingold“ ohne Magie in einer Welt ohne Liebe. Wotan hat weder Speer und Augenklappe. Walhall findet nur in den Köpfen statt. Der Raub des „Rheingolds“ taucht nur als Zitat auf, wenn Woglinde im Nixen-Outfit am Rand des Pools sitzt und in der dritten Szene Mime verführen will, der aber lieber Goldbarren stapelt.

Nicht nur Alberich, auch Frank Castorf hat hier die Liebe verflucht.

Und auch der Ring ist nur ein Zitat – es gibt ihn, aber er wird nicht gebraucht. Andere unterdrücken und ausnutzen, das schaffen Castorfs Figuren auch allein.
Und dann bricht Castorf sein eigenes Muster auf – denn einen voll funktionsfähigen Tarnhelm gibt es doch. Wenn auch nur, um dem Publikum zu zeigen, dass Vertrauen auch dann nichts bringt, wenn es um ein Regiekonzept geht.

Aber das „Rheingold“ ist nicht nur Castorf, und das ist ein Glück. Denn dass Castorfs Deutung so schlüssig wirkt, liegt auch an Kirill Petrenko am Pult.

Petrenko hat aus der „Rheingold“-Musik die Farbe herausgedreht. Da ist kein Schwelgen, kein Zurücklehnen, diese Musik ruht nicht in sich selbst. An diesem Abend klingt das „Rheingold“ bitter. Die Kanten der Musik sind schärfer, die Bläser blitzen grell heraus. Was da aus dem Graben heraufklingt, ist keine schöne Musik. Es ist hochspannendes Musikdrama. Musik mit Schatten, mit Gräben.

Wie schon beim „Holländer“ sind die Sänger ausnahmslos glänzend besetzt: Wolfgang Koch passt als Wotan ideal zu dieser Deutung: denn ein prächtiger, strahlender Gott ist er auch stimmlich nicht. Es steckt viel Dunkelheit, viel Alberich in diesem Wotan, und diese Verbindung beherrscht Koch bei seinem Rollendebüt fabelhaft. Den Alberich gab Martin Winkler, Mime war Burkhard Ulrich, der Loge Norbert Ernst. Fasolt und Fafner sangen – fabelhaft – Günther Groissböck und Sorin Coliban.

Der Applaus für die Sänger war einhellig und lang, Claudia Mahnke als Fricka, Elisabet Strid als Freia und Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka von der Damerau als Rheintöchter harmonierten glänzend und wurden lautstark gefeiert.

Und natürlich stellt Castorf mit diesem „Rheingold“ die Grundsatzfrage, die die Festspiele mit Blick auf das Publikum – zur Zeit vor der Brust hat, die Frage nach dem künstlerischen Kurs. Worum soll es gehen auf dieser Bühne? Um die Gegenwart, die Zukunft oder die Ewigkeit?

Die Ewigkeit scheint Castorf jedenfalls reichlich egal zu sein.

Fotos: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath