Premiere: Der Besuch der alten Dame

Von Wolfgang Schoberth

Dürrenmatts Klassiker „Der Besuch der alten Dame“ hat am morgigen Freitag um 20.30 Uhr auf der Naturbühne Trebgast Premiere. Es ist die die vierte und gleichzeitig letzte Premiere der diesjährigen Spielzeit. Aus diesem Anlass führten wir ein Interview mit Christine Kammerer über ihre Rolle als „Alte Dame“ und die Aktualität des Stückes.

 
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Wie fühlt man sich denn – als jüngeres Semester – in der Rolle der perlenbehängten Mumie mit Bein- und Armprothesen und knirschenden Scharnieren?

Christine Kammerer: Zunächst muss ich sagen, dass ich mich wahnsinnig gefreut habe, wie mir die Rolle angeboten wurde. Es ist eine große Herausforderung, die angeschlagene Körperlichkeit zu verinnerlichen und sie konsequent sichtbar zu machen.

Claire Zachanassian haben die besten Schauspielerinnen gespielt – bei der Uraufführung 1956 Therese Giehse, später Elisabeth Flickenschildt und Christiane Hörbiger. Was ist denn das Faszinierende der Rolle?

Kammerer: Die Vielschichtigkeit. Wenn man sich die Mitschnitte betrachtet, haben die Interpretinnen ganz unterschiedliche Charakterzüge herausgearbeitet. Für mich stehen die Prothesen Claires nicht nur für äußere Gebrechlichkeit, sondern als Symbol ihrer inneren Verletzungen, die nicht verheilen. Sie ist hart, von Hass getrieben, liebt aber Alfred Ill noch immer.

Der Hintergrund ihres Rachefeldzugs – ungewollte Schwangerschaft, Vaterschaftsklage,bestochene Zeugen – ist für heutige Jugendliche wohl ziemlich yesterday.

Kammerer: Da sollten Sie sich mal mit Frauen unterhalten, die von ihrem Partner mit dem gemeinsamen Kind sitzen gelassen wurden. Da kenne ich viele mit ähnlichen Rachegelüsten.

Am Ende wird Alfred getötet. Der Mord selbst bleibt im Dunklen, es gibt keinen erkennbaren Henker. Spielt Dürrenmatt hier auf die „Kollektivschuld“ an, die nach dem Krieg eine große Rolle gespielt hat?

Kammerer: Ich denke ja. Die Güllener sind Modernisierungsverlierer, das Nest liegt darnieder. Eine Milliarde für einen Kopf, die sie anbietet, macht anfällig, käuflich, korrupt. Denn von dem Geld können für das „Gemeinwohl“ viele Projekte finanziert werden. Doch jeder beteuert, er werde es nicht sein, der Ill umbringt. Danach will keiner der Mörder gewesen sein, alle waschen ihre Hände in Unschuld.

Dürrenmatts größter Theatererfolg hat mittlerweile über 60 Jahre auf dem Buckel. In seiner Machart ist es der Stil der 60iger Jahre: absurdes, groteskes Theater, Lehrparabel. Nur noch Literaturgeschichte?

Kammerer: Nein, keinesfalls! Zwar hat Jasmin Sarah Zamani das Stück absolut zeitlos inszeniert, doch es gibt viele Parallelen zur Gegenwart. Am deutlichsten bei den Güllenern: Erst schleimen sie bei Ill an, da sie glauben, er als der Ex-Geliebte würde Claires Millionen an sich ziehen, danach wird er gemobbt und fertiggemacht. Oder ihre Pilatus-Haltung, die mich an den heutigen Ausländerhass erinnert: keiner hat was gegen Ausländer und doch gehen immer wieder Unterkünfte in Flammen auf. Doch ja, das Stück ist aktuell.

Info: Christine Kammerer ist seit 2000 Tierärztin in Mainleus. 2007 Zeit hat sie sich der Naturbühne angeschlossen. Vergangenes Jahr hat sie die Valerie in Ödön van Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ gespielt, das Jahr zuvor die Titelpartie in Aristophanes´ Lysistrata. Auch in zahlreichen Kinderstücken hat sie mitgewirkt, unter anderem als Frau des Schneiders Böck in „Max und Moritz“, Stiefmutter in „Schneewittchen“ und Frau Mahlzahn in „Jim Knopf“.

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