Polemisches Finale einer Reihe

Von Michael Weiser
Ode an Napoleon für Streicher, Klavier und einen Sprecher: Peter Schweiger bei der Probe. Foto. red Foto: red

Warum sollte man Napoleon im Augenblick seines Sturzes besingen? Und warum vertont ein deutscher Komponist Byrons Gedicht im Exil? Ein viertes Konzert der Reihe „Diskurs Bayreuth“ geht am Dienstag Abend in Wahnfried über die Bühne, mit Werken von Mahler, Klein und Hartmann. Und eben jener „Ode an Napoleon“ für Streicher, Klavier und Sprecher von Arnold Schönberg. Wir sprachen mit Sprecher Peter Schweiger über enttäuschte Künstler und Widerstand in der Musik.

 
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Außer der Tatsache, dass Mahler und Schönberg einander kannten und – bei aller Skepsis der Musik des anderen gegenüber schätzten – was ist für Sie der gemeinsame Nenner dieses Konzerts?

Peter Schweiger: Ich glaube, es ist das Konzept der ganzen Diskurs-Serie, Komponisten zu präsentieren, die nicht zum Umfeld der nationalsozialistischen Ideologie gehört haben, das können jüdische oder auch so genannte entartete Komponisten sein. In diesem letzten Konzert dieser Reihe ist das Besondere, dass ein ganz unverfängliches Werk von Gustav Mahler mit einem späten Werk von Schönberg zusammenkommt, der damit ganz dezidiert einen Kommentar zur politischen Lage abgibt.

„Ode an Napoleon“ heißt dieses Werk, und Napoleon scheint da unschwer als Hitler zu erkennen zu sein. Ich welcher Lage befand sich Arnold Schönberg, als er im Jahre 1943 diese Ode schrieb?

Schweiger: Er war im Exil, und er verspürte immer stärker das Bedürfnis, sich einerseits zu den Entwicklungen in der Weltpolitik zu äußern, andererseits aber auch der USA Dank zu zollen. Er hat lange nach einem Text gesucht, der ihm als künstlerische Äußerung gegen die Diktatur geeignet zu sein schien. Und schließlich ist er auf diesen Text von Byron gegen Napoleon gestoßen. Byron hat sie 1814 geschrieben, als Napoleon von den Alliierten zur Abdankung gezwungen worden war und nach Elba in seine erste Verbannung ging. Und er äußert ähnlich wie Beethoven äußert er seine Enttäuschung über Napoleon, der schließlich doch nichts anderes als ein Imperialist war. Beethoven hatte Napoleon eine Symphonie gewidmet, die 3., die so genannte „Eroica“. Doch nachdem sich Napoleon selbst zum Kaiser gekrönt hatte, hat er diese Widmung durchgestrichen. Und geschimpft, dass Napoleon sich mit der Kaiserkrönung eben doch nur als machthungriger Normalmensch gezeigt habe, der die Menschenrechte mit Füßen treten werde. Übrigens zitiert Schönberg auch Beethoven, mit seiner „Eroica“. Auch die „Marseillaise“ klingt an.

"Dieser Ton der Aufsässigkeit"

Washington hingegen preist Byron als neuen Cincinnatus, den römischen Freiheitshelden…

Schweiger: Ursprünglich hatte Schönberg eine frühere Version des Textes, da fehlten drei Strophen. Die spätere Version bekam er dann aber noch in die Hände. Da geht es um das, was uns Hoffnung machen kann, um Amerika, um die Proklamation der Freiheit, um Washington als ersten demokratisch gewählten Präsidenten. Eine Riesenüberraschung für Schönberg, der das in seiner Dankbarkeit gegenüber den USA sicher toll gefunden hat.

Von Washington sind wir weit entfernt, man darf das heute grundsätzlich anders sehen.

Schweiger: Das soll man auch. Ich glaube, was das wichtige für Schönberg war, und zwar jenseits der historischen Korrektheit, das war der außerordentlich polemische Ton, dieser Ton der Aufsässigkeit, der sich ganz vehement gegen die Tyrannei wendet. Und die Musik entspricht diesem aufsässigen Ton voll, es ist ein hochkomplexes, starkes Werk, das vor Emotionen nicht zurückschreck.

Byron reiste nach Griechenland, um den Griechen beim Befreiungskampf gegen die Osmanen zu helfen, und er starb in diesem Krieg. War Byrons Märtyrerrolle wichtig für Schönberg?

Schweiger: Das kann ich nicht sagen. Byron reiste nach Griechenland, das schon, aber er ist ganz und gar unheroisch beim Baden ertrunken.

Auf Englisch erinnert die Intonation stark an Winston Churchill…

Schweiger: Wir verwenden die deutsche Version. Man muss dazusagen, dass Schönberg, als er es auf Englisch vertont hatte, auch noch eine deutsche Fassung auf Basis einer deutschen Übersetzung erstellte, ohne die Noten zu ändern. Diese Version war lange Zeit unbekannt, bis sie in der Manuskriptsammlung aufgetaucht ist, in einer ganz minutiösen mit Noten versehenen handschriftliche Fassung. Wir haben diese Fassung 1989 zum ersten Mal am Arnold Schoenberg Institute in Los Angeles aufgeführt – das war möglicherweise eine Uraufführung.

Jedenfalls, der Text hört sich nach Herausforderung für den Sprecher an.

Schweiger: Es ist eine Art Melodram. Die Notenwerte sind rhythmisch exakt notiert, haben aber in der Tonhöhe keinen absoluten Wert, sind in dieser Hinsicht auch nicht exakt gemeint. Man geht eher vom Sprachduktus aus, weswegen sich das auf Deutsch nochmals anders anhört als auf Englisch, wo es ja fast schon gesungen wird.

Sie tragen ein Werk vor, das in Bayreuth womöglich noch nicht gespielt wurde, ganz sicher jedenfalls nicht in Wahnfried, wo solche Komponisten früher ja gar nicht ins Haus gekommen wären. Was für ein Gefühl ist das für sie?

Schweiger: Das ist für mich eine sehr große Befriedigung. Ich habe die „Ode“ mehrfach aufgeführt, hier hat es einen besonderen Wert. Ich freue mich sehr, dass wir zum Abschluss dieser Konzertreihe den Schlusspunkt mit diesem schärfsten Stück gegen Hitler setzen.

INFO: Das Konzert am Dienstag, 22. August, 20 Uhr, in Haus Wahnfried ist das letzte aus der Reihe „Diskurs Bayreuth“, das sich mit zwei Symposien und insgesamt vier Konzerten mit Werken verfemter und jüdischer Komponisten mit der Geschichte und dem Echo auf die Bayreuther Festspiele befasste. „Diskurs Bayreuth“ werde auch im kommenden Jahr auf dem Programm der Festspielzeit stehen, sagte Festspiele-Sprecher Peter Emmerich .