Piraten-Chef Kramm: "Wir sind entsetzt"

 Foto: red

Am Freitag vor zwei Wochen hat die Polizei den Chef der Berliner Piratenpartei, der Ex-Bayreuther Bruno Kramm, vor der türkischen Botschaft festgesetzt. Kramm hatte in einer „Gedichtanalyse“ aus der umstrittenen „Schmähkritik“ des Satirikers Jan Böhmermann zitiert, in der dieser sich über den türkischen Präsidenten lustig macht. Am Freitag kehrt Kramm zurück – und will an seiner Kritik festhalten.

 
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Herr Kramm, für Freitagnachmittag haben Sie einen „Schweige-Trauermarsch mit zugeklebten Mündern und Grablichtern bis zur türkischen Botschaft“ angekündigt. Keine Provokation mehr?


Bruno Kramm: Es kommt schon noch was. Wir fangen an mit der Demo vor dem Kanzleramt, da gibt es auch Wortbeiträge zum Flüchtlingsdeal mit der Türkei. Dann gehen wir zur türkischen Botschaft. An diesen Teil ist eine Kunstaktion angeschlossen, aber darüber möchte ich im Augenblick noch nicht mehr sagen.

Warum rufen die Piraten seit Wochen zu Demos vor der türkischen Botschaft auf?


Kramm: Wir sind entsetzt über die Situation in der Türkei. Es ist gefährlich, sich mit Despoten wie Erdogan einzulassen – aber genau das haben wir getan. Mit unseren Demos wollen wir zeigen, wie fragil Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit und Pressefreiheit sind. Durch den Deal mit der Türkei sind diese Freiheiten jetzt gefährdet. Hier, in Deutschland.

Wie gefährdet?


Kramm: Diese Freiheiten sind grundsätzlich immer in Gefahr. Es ist Aufgabe der Künstler – gerade der Satiriker –, sie zu verteidigen. Indem sie sie ausloten. Wie Böhmermann das getan hat. Sein Gedicht ist Schund, keine Frage. Es ist sexistisch, es ist rassistisch. Aber es enthält einen wahren Satz über Erdogans Politik: „Christen treten, Kurden hauen.“ Es ist Aufgabe der Künstler, dafür zu sorgen, dass dieser Satz gesagt werden kann.

Mit den Demos haben Sie vor fünf Wochen begonnen – kurz nachdem Böhmermann sein Gedicht im Fernsehen vorgetragen hatte. War das Gedicht der Anlass für Ihre Demos?


Kramm: Nein, Anlass war und ist der Flüchtlingsdeal, den die Kanzlerin mit Erdogan eingegangen ist.

Man könnte Ihnen auch unterstellen, im Fahrwasser der Böhmermann-Affäre Aufmerksamkeit erheischen zu wollen.


Kramm: Wenn wir hier und da gezielt provozieren, dann tun wir das, um diese dünne Linie freizulegen, an der die Zensur beginnt. Davon abgesehen, steht Böhmermann aber nicht im Fokus. Auf den Demos thematisieren wir vor allem Menschenrechtsverstöße. Dass nur über meine Gedichtanalyse berichtet wird, hat auch mit der medialen Aufbereitung zu tun.

Wie lange werden Sie weiterdemonstrieren?


Kramm: Für die nächsten vier Wochen sind die Demos bereits angemeldet.

Letzte Frage: Die Demo beginnt am Freitag um 17 Uhr. Wo werden Sie heute Abend um 19 Uhr sein – auf einer Parteiveranstaltung, in einem Café – oder in Polizeigewahrsam?


Kramm (lacht): Ich hoffe, dann bin ich auf dem Weg nach hause zu meiner hochschwangeren Frau.

Das Gespräch führte Christophe Braun.

 

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