Pflegekosten: Kinder sparen, Bezirk zahlt

Von Peter Rauscher
Pflege im Heim soll für viele Angehörige von Patienten nichts mehr kosten, möchte Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml erreichen. Foto: Bernd Wüstneck/dpa-Archiv Foto: red

Der Bezirk Oberfranken hat Kritik an der Absicht der Bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) geübt, Angehörige mit einem Einkommen unter 100 000 Euro nicht mehr an Pflegekosten für ihre Eltern zu beteiligen. Allein der Bezirk Oberfranken müsste mit 1,5 Millionen Euro höheren Sozialhilfeausgaben rechnen.

 
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Melanie Huml hatte am Mittwoch eine Bundesratsinitiative angekündigt. Angehörige mit einem Jahreseinkommen unter 100 000 Euro sollten demnach von einer Beteiligung an den Pflegekosten befreit werden. „Die Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen kann viele Jahre dauern und stellt Familien vor eine Herkulesaufgabe“, findet Huml. Eine finanzielle Entlastung sei deshalb sinnvoll.

1,5 Millionen Euro Mehrkosten

Christian Porsch, Sprecher des Bezirks Oberfranken, teilte dazu auf Anfrage mit, die Sozialhilfeausgaben würden dadurch allein für den Bezirk als Träger der überörtlichen Sozialhilfe nach ersten Schätzungen um 1,5 Millionen Euro steigen. Diese Mehrkosten müssten nach derzeitigem Stand über eine höhere Bezirksumlage auf Landkreise und kreisfreie Städte umgelegt werden. Laut „Süddeutscher Zeitung“ will die Ministerin das Geld zwar vom Bund erstattet bekommen, doch die Zustimmung von Finanzminister Wolfgang Schäuble ist unsicher.

Hilfe für 3556 Heimbewohner

Betroffen wären allein in Oberfranken Hunderte Heimbewohner und ihre Familien. Der Bezirk leistete im Jahr 2014 für 3556 Heimbewohner Hilfe zum Lebensunterhalt. Nach Berücksichtigung von Freibeträgen würden bei rund zehn Prozent der Antragsteller die Angehörigen zu Unterhaltsleistungen herangezogen. „Sollte der Vorschlag des Gesundheitsministeriums greifen, würden nur noch einige wenige Einzelfälle übrig bleiben.“

Und wo bleibt die häusliche Pflege?

Neben der drohenden finanziellen Mehrbelastung beurteilt der Bezirk die Huml-Initiative wegen einer möglichen Steuerungswirkung skeptisch. Bei einer Anhebung des Freibetrags auf 100 000 Euro würde ein Anreiz für die häusliche Pflege entfallen – mit der Folge, dass die Fallzahlen in der stationären Pflege zusätzlich ansteigen werden, argumentiert Porsch. Die meisten Menschen wollten solange wie möglich zuhause leben. Bei einem faktischen Wegfall der Unterhaltspflicht würde ein Heimaufenthalt eher in Erwägung gezogen. Der Bundesgesetzgeber wolle mit dem Pflegestärkungsgesetz II aber im Gegenteil die ambulante Pflege stärken. Porsch gibt zu bedenken, „dass wir in einer immer älter werdenden Gesellschaft leben, in der wir auf gegenseitige Hilfe und Unterstützung in der Familie nicht verzichten können. Mit dem Vorschlag des Gesundheitsministeriums würde der geltende Generationenvertrag weiter ausgehöhlt. Die finanziellen Auswirkungen trägt die Allgemeinheit.

"Schön für die Angehörigen"

Auch Roland Sack, Bezirksgeschäftsführer des VdK Oberfranken, reagiert zurückhaltend auf die Huml-Initiative. „Das fördert nicht unbedingt die Pflegequalität“, sagte er dem Kurier, „aber es ist natürlich schön für die Angehörigen“. Aus Sicht des VdK stehe immer das Wohl des Pflegebedürftigen im Vordergrund, ob Heimunterbringung oder Versorgung zuhause sinnvoller sei, könne nur im Einzelfall beurteil werden. „Das Geld sollte in jedem Fall zweitrangig sein.“

Infos zu Sozialhilfe für Senioren in Oberfranken im Internet finden Sie hier

Kommentar von Peter Rauscher

Blankoscheck fürs Pflegeheim

Wenn Eltern ins Pflegeheim kommen, beginnt in vielen Familien das große Rechnen. Oft reichen Rente, Vermögen und Pflegeversicherung alleine nicht aus, um hohe Heimkosten zu decken. Allein in Oberfranken muss in dreieinhalbtausend Fällen (Stand 2014) die Sozialhilfe einspringen. Dann wird geprüft, ob die Kinder der Pflegebedürftigen zum Unterhalt beitragen müssen – und das kann teuer werden.

Gesundheitsministerin Huml will solche Familien entlasten. Bis zu 100 000 Euro Jahreseinkommen soll kein Unterhalt mehr für Eltern im Pflegeheim fällig werden. Die meisten, die jetzt noch für ihre Angehörigen zahlen müssen, blieben künftig verschont, wenn Humls Bundesratsinitiative Erfolg hätte. Insofern klingt der Vorstoß vielversprechend – wenn man mal außer acht lässt, dass die Finanzierung offen ist und die Sozialhilfeträger schon jetzt unter hoher Belastung leiden.

Hemmschwelle dürfte schlagartig sinken

Ein anderer Effekt ist viel gravierender. Ums mal überspitzt zu sagen: Wenn Kinder nichts mehr dafür bezahlen müssen, dass ihre Eltern im Heim untergebracht werden, dürfte die Hemmschwelle schlagartig sinken. Kostet ja nichts, die Oma und den Opa im Heim unterzubringen.

Dabei ist bekannt, dass die meisten älteren Menschen, auch wenn sie Hilfe brauchen, möglichst in ihren eigenen vier Wänden bleiben wollen. Das funktioniert nicht immer – manchmal ist eine Heimunterbringung unvermeidlich – aber in vielen Fällen. Voraussetzung ist, dass die nötigen Strukturen für die ambulante Versorgung durch Pflegekräfte, intaktes soziales Umfeld, gemeindliche Hilfe und ehrenamtliche Unterstützer geschaffen werden. Ein Blankoscheck fürs Pflegeheim wäre für diese Bemühungen ein herber Rückschlag.

 

 

 

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