Die Generation der Gastarbeiter ist alt geworden - Betreuung häufig Familiensache Pflege von Migranten fordert Pflegedienste

Von Ulrike Sommerer
Fevzi Göktas kam 1973 als Gastarbeiter nach Speichersdorf. Seine Familie hat hier ihr Zuhause gefunden. Sollten er und seine Frau Gülten Göktas im Alter pflegebedürftig werden, will sie ihre Tochter Melek Göktas pflegen. Foto: red Foto: red

Die Gastarbeiter, die in den Wirtschaftswunderjahren nach Deutschland kamen, sind alt geworden. Manche sind auch pflegebedürftig geworden. Doch in Alten- und Pflegeheimen sind Türken, Italiener und auch Russlanddeutsche nicht anzutreffen. Zu viele Barrieren, sagt Melek Göktas. Kulturell. Religiös. Sprachlich. Ein Umstand, der sich langsam ändert. Pflegedienste müssen dem Rechnung tragen.

 
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Melek Göktas ist ein Gastarbeiterkind. Ihr Vater Fevzi Göktas kam 1973 von Ost-Anatolien nach Speichersdorf, um hier zu arbeiten. Er blieb.

Jetzt wird die Generation der Gastarbeiter alt und muss betreut werden, muss gepflegt werden. Doch in Heimen oder von Pflegediensten soll diese Aufgabe nicht übernommen werden. Die Pflege der Alten – das sei Aufgabe der Familie. Nach wie vor herrsche diese Meinung vor. Bei Türken. Bei Russlanddeutschen. Mit dieser Einstellung wird Dolores Longares-Bäumler häufig konfrontiert. Sie arbeitet für die Caritas als Migrationsbeauftragte in Speichersdorf.

Es ist nicht nur der hohe Stellenwert familiärer Bindung und Pflichten, es ist auch die Sorge vor dem Leben in den Heimen, sagt Melek Göktas. Es ist kein Vorwurf, wenn sie das sagt. Der Bedarf sei nicht da gewesen, so sei es nicht verwunderlich, dass Alten- und Pflegeheime christlich ausgerichtet wären. Nur: „Muslime tun sich da schwer.“ Es sind solche religiösen Barrieren, die Angehörige zurückschrecken lassen, ihre alt gewordenen Eltern in Heimen versorgen zu lassen. Es sind aber auch sprachliche Barrieren. Göktas nennt ein Beispiel: Wenn in einem Seniorenheim zur Unterhaltung der Bewohner gemeinsam Volkslieder gesungen werden, wie sollen sich Türken hier integrieren, wenn sie nur gebrochen Deutsch sprechen und die Lieder gar nicht kennen? Und es sind kulturelle Probleme, Regeln, die der Islam vorschreibe und die man in einem Heim nur schwerlich einhalten könne. Beispielsweise, kein Schweinefleisch zu essen. Dazu komme, dass sich ältere Türken nur ungern von einer Pflegekraft des anderen Geschlechts pflegen lassen würden.

Martina Anders weiß um dieses Problem. Die Pflegedienstleiterin der Sozialstation der Caritas in Bayreuth setzt daher auch gerne männliche Pflegekräfte ein, wenn beispielsweise türkische Männer gepflegt werden müssen. Doch Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund sind ohnehin die Ausnahme, bestätigt sie. Nur langsam nehmen Migranten inzwischen Hilfe bei der Pflege ihrer Angehörigen an.

Die Pflegedienste werden darauf reagieren müssen. Eben, indem sie männliche Pflegekräfte zu männlichen Migranten schicken. Oder Pflegekräfte einsetzen, die die Sprache der zu Pflegenden sprechen. „Eine Schwester mit Migrationshintergrund öffnet Türen.“ Für die Sozialstation der Caritas arbeiten Pflegekräfte mit Migrationshintergrund. Mitarbeiter, die zumindest sprachliche Barrieren schnell überwinden können.

Auch im Matthias-Claudius-Haus, ein Alten- und Pflegeheim der Diakonie in Bayreuth, arbeiten Pflegekräfte „aus aller Herren Länder“, sagt Heimleiter Georg May. Vor Jahren sei dies noch ein Problem gewesen, da viele deutsche Heimbewohner Vorurteile gegenüber den Pflegekräften gehabt hätten, erinnert sich May. Ein Umstand, der sich sehr gebessert habe.

Dass man auf Eigenheiten der Familie, in der die zu pflegende Person lebt, Rücksicht nimmt, sei selbstverständlich – unabhängig von deren Herkunft. Hier sei, sagt Martina Anders, das Fingerspitzengefühl der Pflegekräfte gefragt. So sei es selbstverständlich, dass man in einem türkischen Haushalt die Schuhe ausziehe. Das würde die Pflegekraft aber auch in einem deutschen Haushalt, wenn sie merkt, dass dies dort so üblich ist.

Dass Migranten Hilfe bei der Pflege annehmen, komme in ländlichen Gegenden noch seltener vor. In Speichersdorf leben viele Menschen aus anderen Ländern und Kulturkreisen. Doch in der (Alten-)Pflege ist das noch nicht angekommen, sagt Maria Reiß, Pflegedienstleiterin der Speichersdorfer Diakoniestation. Sie bestätigt die Einschätzung Melek Göktas’: Pflege und Betreuung älterer Familienmitglieder übernehmen die Familien selbst.

Melek Göktas will die Pflege ihrer Eltern, sollte diese einmal nötig sein, nicht abgeben. Sie sieht es als ihre Aufgabe an und die ihrer Schwestern. „Ich weiß, dass sich meine Eltern in einem Heim nicht wohlfühlen würden. Ich würde es ihnen das nicht zumuten wollen.“