Petra Lang: Isolde ist der Höhepunkt

Von Michael Weiser
"Verstehe nicht, dass sich so viele Regisseure mit Konzert im Kostüm zufriedengeben": Die großartige Sängerin und Darstellerin Petra Lang als Isolde. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Foto: red

Sie war bei Hans Neuenfels eine ziemlich böse Ortrud, nun ist sie bei Katharina Wagner eine tief verwundete Isolde. Und erneut auf höchstem sängerischen Niveau: Petra Lang ist einer der Stars auch der aktuellen Saison der Festspiele. Wir sprachen mit ihr über tolle Dirigenten, überforderte junge Frauen, große Vorbilder und Ökonomie in der Karriereplanung. Und über die Mentalität des Eisbärs.

 
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Liebe Frau Lang, zu welcher Gattung gehört denn das „Bühnentier“? So haben Sie sich selbst mal bezeichnet.

Petra Lang: Wenn Sie auf die Stimmgattung anspielen, dann ganz klar Sopran. Ich habe zwar die längste Zeit als „Mezzosopran“ gesungen, hier jedoch schwerpunktmäßig die höheren Partien, von denen die meisten eigentlich Sopranpartien sind. Der reine Tonumfang ist meist ähnlich, der Unterschied zwischen Mezzo-Sopran und Sopran liegt in der Fähigkeit, die Höhe wirklich stabil halten zu können. Es war eine ganz klare Strategie meiner Lehrerin Ingrid Bjoner, zu verhindern, dass ich zu früh durch große Partien „verbrannt“ werde. Sie sagte immer: „Du musst schauen, dass Du gesund hinten ankommst. Dort warten die wirklich interessanten Aufgaben.“ Was das „Tier“ auf der Bühne angeht, nehme ich immer ein Stück Eisbär-Mentalität mit in die Vorstellungen. Bei allem Feuer sorgt der Vertreter aus der Kälte dafür, dass mein Temperament nicht mit mir durchgeht.

„Thielemann hat mir diese Isolde erst ermöglicht“

Bei Ihnen kann einem schwindlig werden – wenn man sich die Vielzahl von Dirigenten anschaut, mit denen Sie zusammengearbeitet haben. Gibt es da einen Lieblingsdirigenten? Oder hält die Zusammenarbeit mit so vielen Temperamenten künstlerisch wach?

Lang: Ich hatte das große Glück immer zum richtigen Zeitpunkt auf den richtigen Dirigenten zu treffen, der mir im jeweiligen Moment die richtigen Rollen, an denen ich wachsen konnte, gegeben hat. Ganz wichtig waren da: Bernhard Haitink, Jeffrey Tate, Colin Davis, Ivan Fischer, Marek Janowski und Christian Thielemann, der mir diese Isolde ermöglicht hat. In der Arbeit an der Isolde hat er Farben und Textakzentuierungen gefordert, von denen ich nie für möglich gehalten hatte, sie herstellen zu können.

„Der künstlerische Höhepunkt meiner Karriere

Woher stammt Ihre starke Verbindung zu Mahler? Sie singen einerseits viel Wagner, der unbedingten Glauben an die Macht des Mythos verlangt, auf der anderen Seite die Werke dieses Hypersensiblen, der nicht mal an die Welt glaubt, in dessen Werken man immer etwas leicht Spöttisches zu hören meint.

Lang: Für jeden Künstler ist doch das Ausschöpfen der Bandbreite der eigenen Möglichkeiten das wirklich Interessante. Sicher sind Mahler und Wagner hier zwei Komponisten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Bei den Werken Mahlers das Direkte, Natürliche, vermeintlich Einfach-Naive erlebbar zu machen und im Gegensatz bei Wagner diese überlebensgroßen Charaktere mit ihren starken Emotionen auf die Bühne zu bringen, fasziniert mich gleichermaßen.

Die Isolde nimmt in Ihrem Lebenslauf den ersten Platz ein, es klingt fast schon triumphierend. Wie wichtig war diese Rolle für Sie?

Lang: Die Isolde stellt für mich den künstlerischen Höhepunkt meiner Karriere dar. Sie ist das Ergebnis einer stetigen Arbeit an Repertoire und Technik, eines ständigen Hinterfragens der Richtigkeit der künstlerischen Aussage und der Darstellung auf der Bühne, eines gesunden, verantwortungsbewussten Lebenswandels. So wurde eine organische Entwicklung möglich. Meine erste Lehrerin Gertie Charlent sagte mir immer, dass man als Sänger schauen sollte, dass man seine Partien in der für sich richtigen Reihenfolge singt. Nur dann ist es möglich, lange Freude an dem Sänger-Beruf zu haben. Wenn man mit Dreißig seine erste Isolde versucht, was macht man dann mit 40, mit 50, mit 60? Und wie lange singt man dann noch, wenn man früh Leistungen vom Körper erzwingt, die weder Physis noch Psyche in diesem Alter leisten können? Frau Charlent riet mir auch immer meinem „roten Singe-Faden“ zu folgen und zu schauen, dass er schön gleichmäßig länger wird, nicht reißt – und wenn sich mal ein Knoten bilden würde, sollte man versuchen, diesen schnell zu entwirren. So habe ich während meiner Karriere immer versucht, diesen Faden weiter zu spinnen, ihn immer länger und stabiler werden zu lassen. Man hat mir früh und oft die Isolde angeboten. Ich wusste immer, dass dies noch nicht der richtige Zeitpunkt war. Es ist wie bei einer Rose. Wenn man wartet, bis sich die Knospe zu einer vollen Blüte entwickelt und entfaltet, wird sie ihren betörenden Duft verströmen und ihre Farben sichtbar machen.

„Ich habe Schauspieler analysiert und beobachtet“

Was auffällt, ist nicht nur Ihre Stimme, sondern auch, wie sie die Isolde spielen.

Lang: Der Bühnenberuf ist ein optischer Beruf. Wenn man lebendige Figuren darstellen will, sollte man sich eigentlich auch Gedanken darüber machen, wie man das körperlich umsetzt. Ich verstehe es auch nicht, dass sich so viele Kollegen und auch Regisseure mit „Konzert im Kostüm“ zufrieden geben. – Zumal in der heutigen Zeit so viele wunderbare Schauspieler zeigen, was möglich ist. Ich habe immer Filme oder Theaterstücke angeschaut, habe Schauspieler beobachtet und analysiert, welche Wirkung welche Aktion hat. Das gehört für mich zum Beruf. Das habe ich in der Opernschule gelernt. So hat mir auch Astrid Varnay gezeigt, wie man Rollen analysiert und wie man dies dann körperlich-darstellerisch umsetzt. In meinen Anfängen als lyrischer Mezzosopran hat kein Regisseur gefragt, ob man gewisse Aktionen vielleicht nicht ausführen möchte. Man macht das einfach. Ich erinnere mich an einen Cherubino, wo ich bei der ersten Arie vom Rumrennen in dem kurzen Rezitativ schon außer Atem war und diese dann als Krönung auf einem Gerüst kletternd singen durfte. Dieter Dorn verlangte, dass die Walküren-Brünnhilde wie ein junges Mädel über die Steine hüpfte. Das habe ich dann geübt und geschaut, dass ich meine Fitness verbessere. Ziel ist es für mich immer, die Figuren, die ich spiele zum Leben zu erwecken. Das macht auch viel mehr Spaß, als nur herumzustehen.

„Stets starke Brangänen an meiner Seite“

Das ist eine emotionale Sprengladung, eine Frau, die fordert, die aber auch gerne mit dem Feuer spielt. Man meint, ein bisschen von Ihrer Ortrud auch in dieser Figur zu finden. Woher kommt die Wut dieser Isolde, dieses leicht Abgründige?

Lang: Ortrud ist eine eiskalt Handelnde, eine fordernde, böse Frau, die vielleicht eine gewisse kalkulierte Sinnlichkeit gegenüber ihrem Gatten an den Tag legt. Von diesen Zügen ist nichts in Isolde! Isolde ist eine junge – („wilde, minnige Maid“) – Frau, deren Gefühle zutiefst verletzt wurden. Ihre Wut findet sich ganz klar in Text und Musik. Als ich im Münchner Opernstudio Dorabella erarbeitete, sagte mir Astrid Varnay, dass man sich dieses „den emotionalen Bogen überspannen“ für die Isolde bewahren muss. Dieses Überborden der Gefühle und fast schon lächerliche Fluchen wird nur verständlich und glaubwürdig, wenn man nicht eine griechische Rachegöttin darstellt, sondern zu zeigen versucht, dass dies die Abgründe eines jungen Menschen sind, der mit der Situation völlig überfordert ist. Denn nur so kann man das sichtbare Entflammen der Liebe für Tristan – mit oder ohne Liebetrank – nachvollziehbar machen. Ich hatte als junge Brangäne starke Isolden an meiner Seite. Da tobte der Bär! Im Laufe der Zeit wurden die Isolden-Darstellerinnen immer leichter, „lyrischer“ und ergingen sich in Selbstmitleid. Da war es sehr schwierig für mich, einen Weg als Brangäne zu finden, der dazu passte. Ich fragte Astrid Varnay um Rat. Sie sagte ganz klar: „Von Selbstmitleid führt kein Weg zur Liebe. Für Isolde gibt es drei Emotionen für den 1. Akt: Wut, Rache oder Liebe. Sie ist eine starke, geradlinige, junge Frau.“

Also, da fällt diese darstellerische Klasse schon auf. Wie wichtig ist für einen Sänger der Regisseur?

Lang: Als Sänger benötigt man Führung. Wenn man einen guten Regisseur hat, befruchtet sich das gegenseitig. Das war beim Bayreuther Tristan so. Katharina Wagner hat mir Mut gemacht, extreme Dinge zu versuchen, war immer positiv verstärkend aber auch korrigierend in der Arbeit. Das ist sehr wichtig. Dann konnte ich mich quasi in die Rolle „fallen lassen“.

„Das ist wie beim Sport“

Sehr kraftraubend ist diese Rolle, zumal in dieser nochmals düstereren Inszenierung. Wie sehr müssen Sie aufpassen, danach nicht ausgebrannt zu sein? Gibt’s da den Punkt, an dem eine Sängerin sagt, mir wird es zu viel, ich muss nun eine längere Pause einlegen?

Lang: Wenn man eine richtige Entwicklung durchleben durfte, bewältigt man auch die mit der Zeit schwieriger werdenden Aufgaben gut. Das ist wie beim Sport. Erst kümmert man sich um die Koordination der Bewegungen, versucht, je nach Disziplin, Flexibilität, Ausdauer und Kraft im Rahmen seiner Möglichkeiten zu steigern. Man lernt mit der Zeit „seine“ Ökonomie zu stabilisieren. Beim Singen kommt neben der technischen auch die künstlerische Entwicklung dazu. Wenn der Sänger im richtigen Repertoire singt, ist das „normal“. Dann ist auch eine Isolde „normal“. Man bewältigt diese Herausforderung. Natürlich ist der Weg dorthin nicht einfach. Man muss die Partie, die Aussage der Partie und die Ausdauerleistung der Partie trainieren. Aber wie im Sport: Wenn man es richtig macht, kommt man hinten an. Für mich ist die Ernährung sehr wichtig. Hier ist genau auf die richtige Zufuhr von Kohlehydraten, Eiweißen, Fetten, Mineralstoffen und Vitaminen zu achten, dass der Körper nicht in eine katabole Stoffwechselsituation gerät – dies ist vor allem wichtig während der Vorstellung. Wichtig sind für mich Bäder, Massagen, Schlaf und das angepasste körperliche Training. Singen ist Hochleistungssport. Wenn man das akzeptiert und entsprechend lebt, ist es auch realisierbar ohne Burnout-Symptome.

Nun, Anna Netrebko hört sich fast so an, als scheue sie etwa für die Rolle der Isolde die Anstrengung.

Lang: Wenn man im richtigen Fach mit seiner Stimme singt, die richtigen Partien in der richtigen Reihenfolge singt und das Timing stimmt, wird man seine Karriere – seine Entwicklung machen dürfen. Das heißt nicht, dass bei jedem Sopran eine Isolde am Ende stehen muss. Ist eine Rolle nur mit Anstrengung verbunden, ist dies vielleicht auch nicht die passende Partie. Das sollte man als Sänger lernen. Man „macht“ seinen Weg und der ist das Ziel – gleichgültig, wie die Stationen heißen, die sich auf diesem Weg befinden.

„Alles gesungen, was man singen kann“

In Wien wartet unter dem Dirigat von Peter Schneider die nächste schwere Aufgabe: Die Brünnhilde. In welchem der drei Teile fordert die Brünnhilden-Rolle Sie am meisten?

Lang: Die Siegfried-Brünnhilde ist für mich am einfachsten. Sie liegt für meine Stimme sehr bequem. Bei den beiden Anderen muss ich immer sehr gut ausbalancieren, dass nach der jubelnden Höhe wieder viel Tiefes und Mittellagiges kommt. Diese technischen Klippen gilt es zu umschiffen. Ich freue mich auf Zyklen, weil man nur dort das komplette Spektrum und vor allen Dingen die unglaubliche Entwicklung dieser Göttertochter zeigen kann, die durch ihren Fall und das bewusste Ausleben der von Vater-Wotan ererbten Energie eine vermeintliche Genugtuung herbeiführt, die aber letztendlich mit Mutter Erdas Weisheit die Welt und sich selbst erlöst.

Sie haben die Rolle der Isolde mal als Endpunkt bezeichnet. Bleiben Sie für Bayreuth bei dieser finalen Aussage?

Lang: Wenn Sie auf Besetzungspläne anspielen, so bin ich als Sänger nie derjenige, der darüber entscheidet. Die Isolde stellt für mich den Höhepunkt der Karriere dar. Ich habe in meinem Repertoire alles gesungen, was man singen kann. Um mit Catarina Ligendza zu sprechen: „Alles was nach der Isolde kommt, ist Zugabe!“

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