Patient tot: Organspende ja oder nein?

Von Christina Knorz

Die Deutsche Gesellschaft für Organspende hat die Transplantationsbeauftragten des Klinikums Bayreuth ausgezeichnet. Ob ein Organspendeausweis vorliegt oder nicht – die Angehörigen entscheiden in Bayreuth darüber, was geschieht. Angelika Weiß-Köhler (57), Oberärztin in der Neurologie, spricht über ihre Arbeit und den schwierigen Prozess für die Angehörigen, zu akzeptieren, dass ein Patient tot ist.

 
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Wie sprechen Sie Angehörige darauf an, ob ihr Verwandter zum Organspender werden soll?

Angelika Weiß-Köhler: Der Patient, der potenzielle Organspender, muss einen irreversiblen Ausfall der Hirnfunktionen haben. Vorher spreche ich niemanden an. Es sei denn, die Angehörigen kommen selbst und sagen, dass der Patient einen Organspendeausweis hat.

 

Sie sprechen also nicht vorsorglich die Angehörigen der Leute an, denen es sehr schlecht geht?

Weiß-Köhler: Nein, natürlich nicht. Ich bin Intensivmedizinerin und dafür da, dass die Patienten am Leben bleiben und kein Erfüllungsgehilfe der Deutschen Gesellschaft für Organspende. Ich bin auf der Intensivstation der Hohen Warte die Transplantationsbeauftragte, aber erst in zweiter Linie, in erster Linie kämpfe ich um jedes Leben.

 

Wie gehen Sie dann vor?

Weiß-Köhler: Ich führe viele Gespräche mit den Angehörigen. Das erste und wichtigste ist, dass die Angehörigen verstehen, dass der Patient tot ist. Denn er liegt ja noch da, hat einen rosigen Teint und sieht nicht anders aus als am Tag vorher. Dann zeige ich Bilder, wie ein gesundes durchblutetes Gehirn aussieht und das Gehirn des Patienten. Und da sieht man sehr schnell, dass da gar nichts mehr geht. Dann erkläre ich die besondere Situation, wie es sein kann, dass das Gehirn tot ist, aber der Körper noch lebt. Das geht nur auf einer Intensivstation mit den Beatmungsgeräten und den Infusionen. Wäre der Patient nicht in einer Klinik, wäre auch der Körper tot. Das ist der Moment, in dem wir auch die Erlaubnis haben, die Apparate abzustellen. Egal ob der Patient Organspender ist oder nicht.

 

Kommen wir zurück zu den Angehörigen.

Weiß-Köhler: Ich frage die Angehörigen, was für ein Mensch der Patient war und ob sie sich vorstellen können, wie er sich in der Situation verhalten würde. Viele sagen dann, dass der Patient immer für andere da war und dass sie sich gut vorstellen können, dass er anderen Menschen auch in dieser Situation hätte helfen wollen. Wenn Kinder sterben, ist es für manche Eltern ein Trost, wenn sie wenigstens anderen helfen können, auch wenn es für sie eine ganz schwierige Situation ist.

 

Gibt es auch den Fall, dass der Patient einen Organspende-Ausweis hat, aber sich die Angehörigen dagegen entscheiden?

Weiß-Köhler: Ja, den gab es. Da hatten die Angehörigen Sorgen und Bedenken. Dann reden wir nicht auf sie ein und sagen, aber der Patient wollte es so. Dann respektieren wir die Entscheidung. Denn die Angehörigen haben ihre Gründe. Es geht auch um ihre Zufriedenheit und sie müssen sich danach im Spiegel anschauen können. Wir können dem nicht widersprechen und sagen, nein, der Patient gehört uns.

 

Womit tun sich Angehörige oft am schwersten?

Weiß-Köhler: Damit, ob der Patient wirklich tot ist und nicht doch noch zurückkommt. Da haben viele mal etwas gelesen oder gehört, nach der Art: „Bild“ sprach mit den Toten. Das schwerste ist in diesem Moment, dass die Angehörigen wirklich verstehen, dass der Patient tot ist. Und auch, falls noch ein ganz kleines Fünkchen Leben in ihm wäre, dieses Fünkchen nicht für ein Leben reichen würde. Seit zwei Jahren spricht man deshalb nicht  mehr vom Hirntod, sondern vom irreversiblen Ausfall aller Hirnfunktionen. Das müssen zwei Mediziner unabhängig voneinander feststellen und die Apparate müssen das ebenfalls zweifelsfrei zeigen. Das unterstreicht: dieser Mensch kann nicht mehr leben. Das, was das Leben ausmacht, ist nicht mehr gegeben.

 

Wie reagieren Angehörige auf den Vorschlag der Organspende?

Weiß-Köhler: In der Regel sind sie offen. Häufig sind mehrere Angehörige anwesend, dann sage ich: Lassen Sie das setzen und bereden das miteinander. Dann unterhalten sie sich ein paar Stunden und nehmen sich die Zeit, die sie brauchen. Die muss man ihnen auch lassen. Ich versetze mich dann immer in die Lage der Menschen und dann versteht man: Das geht nicht im Hauruck, sondern sie müssen sich erstmal mit der Situation auseinandersetzen. Oft haben sie noch Fragen und die muss man offen und ehrlich beantworten oder sie stören sich an irgendwas.

 

Zum Beispiel?

Weiß-Köhler: Wir hatten einen Fall, da war ein Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Organspende auf der Station, der dort Fragen beantwortet hat und der hat – da gibt es auch Anfänger – den Angehörigen sein herzliches Beileid ausgesprochen. Das hat die Angehörigen gestört und das haben wir auch gemeldet. Kommunikation mit Empathie ist in dieser Situation alles.

 

Wie sorgen Sie dafür, dass die Angehörigen nicht unter Druck geraten, obwohl die Zeit für die Organspende begrenzt ist?

Weiß-Köhler: Wir haben schon ein paar Stunden Zeit. Ich bin einfach ganz offen. Wenn ich das ausgesprochen habe, ziehe ich mich zurück und kopple in mir zurück: Egal welchen Weg die Angehörigen wählen, es ist der richtige. Und so denke ich. Wir haben in Deutschland und Europa den Luxus, dass es Organspende gibt. Jeden Tag sterben weltweit aber so viele Menschen, die diese Möglichkeit nicht haben. Also muss man auch hierzulande akzeptieren, wenn es die Möglichkeit der Rettung mittels eines Spenderorgans im Einzelfall nicht gibt.

 

Haben Sie selbst einen Organspendeausweis?

Weiß-Köhler: Ja. Seit 20 Jahren.

 

Was hat Sie damals zu bewogen?

Weiß-Köhler: Mein Beruf. Ich hab erst Anästhesie gemacht, dann Neurologie, jetzt Intensivmedizin. Und da habe ich 27 Jahre lang gesehen, wie es den Menschen geht, die Organempfänger sind und welche Lebensqualität sie haben. Bei mir steht gar nicht im Vordergrund, dass ich helfen will, sondern es ist einfach mein Job alles zu tun, damit es den Menschen besser geht. Das ist ein ganz rationaler Grund. Jeder Dialysepatient, der eine Spenderniere erhalten kann, führt ein besseres Leben und entlastet das Gesundheitssystem.

 

Im Klinikum Bayreuth spenden im Schnitt pro Jahr zwei bis sechs Menschen Organe. Ist die Zahl niedrig oder hoch?

Weiß-Köhler: Die Zahl ist zurückzuführen auf die gute Arbeit der Intensivmedizin. Der Fall, dass ein Patient auf der Intensivstation an irreversiblen Hirnschäden stirbt, kommt nicht häufig vor. Außerdem ist es darauf zurückzuführen, dass nicht alle Patienten Organspendeausweise haben oder die Angehörigen zustimmen. In Deutschland gilt, dass man dem aktiv zustimmen muss, Organspender zu sein. Auch deshalb sind wir Schlusslicht in Europa in dieser Sache. In anderen europäischen Ländern, wie in Spanien, müssen Sie widersprechen, wenn Sie kein Organspender sein wollen.

 

Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Organspende?

Weiß-Köhler: Die Auszeichnung freut mich, weil es eine große Anerkennung für die Arbeit unseres Teams ist. Diese Arbeit läuft nebenher mit und geht oft unter und deshalb ist es schön, wenn sie gesehen wird. Es gibt seit Anfang dieses Jahres die Neuerung, dass sich die Transplantationsbeauftragten jeder Klinik in Bayern freistellen lassen können, abhängig von der Bettenanzahl der Intensivstationen.

 

Werden Sie das tun?

Weiß-Köhler: Wir sind dabei, das zu entscheiden.  

 

Info

Im Klinikum Bayreuth gibt es vier Transplantationsbeauftragte. Neben Angelika Weiß-Köhler sind das Dr. Wolfgang Pohl, Leitender Oberarzt der Kinderklinik, Dr. Michael Burger, Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, und Dr. Rainer Kraus, Leitender Oberarzt der Herzchirurgie.

 

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