Opernhaus: "Gekonnt hingeschmiert"

Von Michael Weiser

Noch acht Wochen, dann öffnet Bayreuths spektakulärstes Denkmal seine Pforten - das Markgräfliche Opernhaus. Mathias Pfeil, heute Bayerns oberster Denkmalschützer, war entscheidend daran beteiligt, dass das Opernhaus in den Rang des Weltkulturerbes erhoben wurde. Mit ihm sprachen wir über Politik als Kunstform, Theater als Weltbühne, das Jahrhunderttalent der Wilhelmine und geniale Schnellstrichler.

 
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Sie haben mal geschrieben, Bayreuth habe zwei bedeutende Opernhäuser, und das bedeutendere der beiden stehe nicht unbedingt auf dem Grünen Hügel. Da werden Ihnen Wagnerianer möglicherweise widersprechen.

Mathias Pfeil: Selbstverständlich. Aber wer sagt denn, dass Bayreuth nur durch Wagnerianer lebt?

 

Aber genau wegen Wagner strömen immerhin Tausende jedes Jahr auf den Grünen Hügel, darunter auch viele Prominente. Wie kann man das ältere Opernhaus Besuchern der Gegenwart schmackhaft machen, was macht es so besonders?

Pfeil: Zunächst ist da Wilhelmine von Bayreuth, die als Schwester von Friedrich dem Großen versucht hat, sich in Bayreuth, nun, nicht zu langweilen. Und das markgräfliche Opernhaus ist natürlich völlig überdimensioniert, wenn man sich vorstellt, wie viele Einwohner Bayreuth damals gehabt haben mag. Sie hat mit Giuseppe Galli da Bibiena einen der überragenden Künstler jener Zeit zur Planung des Baus gewonnen, sie hat ein Opernhaus in einer Größenordnung geschaffen, wie es einmalig war und ist. Das war schon ein Zeichen, das diese Frau da gesetzt hat. Ohne das Markgräfliche Opernhaus wäre, so sage ich mal, niemand auf die Idee gekommen, das Wagnersche Festspielhaus da oben auf den Grünen Hügel zu stellen.

 

Wagner kam incognito nach Bayreuth, zusammen mit Cosima, um sich das Markgräfliche Opernhaus anzuschauen. Er fand es aber zu klein für seine Zwecke.

Pfeil: Das war damals ja auch nicht mehr gut, es war nicht mehr in Schuss. Es war auch längst aus der Mode gekommen. Dass das Markgräfliche Opernhaus wieder in Mode ist, das ist auch eine Angelegenheit der letzten Jahrzehnte, vielleicht sogar erst der letzten Jahre. Wagner wollte sein Festspielhaus eigentlich in München bauen, und Bayreuth war der zweitbeste Ort.

 

Was weiß man denn überhaupt über das Leben des Opernhauses nach Wilhelmine?

Pfeil: Darüber weiß man eigentlich relativ gut Bescheid. Es wurde zum Beispiel mal als Lager genutzt. Es hatte nur wenige Jahre der Blüte; nachdem Wilhelmine gestorben war, ist der Betrieb relativ schnell zurückgegangen. Es ist das eigentlich Erstaunliche, dass dieses Gebäude, obwohl es nicht mehr kontinuierlich genutzt wurde, in so gutem Zustande überlebt hat. Das ist mit ein Grund, warum es überhaupt zum Weltkulturerbe wurde.

 

Segensreicher Dornröschenschlaf

Vielleicht hätte es ohne seinen Vorruhestand auch gar nicht überlebt – die meisten Theater sind doch irgendwann abgebrannt.

Pfeil: Es wäre vielleicht nicht unbedingt abgebrannt, aber sicherlich so überformt worden, dass es eben nicht mehr diese herausragende Sicht auf den Barock zuließe. Wenn sie einen Funktionsbau, wie es ein Theater nun einmal ist, ständig bespielen, dann ändern sie ihn nach den unterschiedlichen Geschmacksrichtungen und den Gepflogenheiten jeder Zeit. Und da wäre wahrscheinlich nicht nur an der Bühnentechnik sehr viel verändert worden – wie es ja gemacht wurde -, sondern ich glaube, dass auch das Gebäude selbst stark verändert worden wäre. Durch diesen Dornröschenschlaf hatte es eine Chance, so unverfälscht zu bleiben.

 

Ein bisschen hat man ja angepasst, man hat versucht, es „in Schuss“ zu halten. Was sind denn aus der Sicht eines Denkmalschützers die größten Probleme, die durch diese Nachbesserungen der Vergangenheit entstanden sind?

Pfeil: Die größte Herausforderung war sicher, die ursprüngliche Farbfassung zu erhalten. Die ist in den 30er Jahren übermalt worden, und diese Übermalungen haben sich mit den noch erhaltenen Farbschicht verbacken. Und wenn die nicht abgenommen worden wären, dann wäre die ursprüngliche Farbe wirklich weg gewesen. Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen, und die deutlich teurere war, die Farbschicht aus den 30er Jahren wegzunehmen, um die ursprüngliche Substanz zu sichern. Die andere Herausforderung ist die Frage, lässt man Ganzjahresbespielung zu oder beschränkt man die Bespielun? Wenn Sie eine Ganzjahresbespielung machen wollen, dann brauchen Sie eine ganz andere Klimaanlage. Das wäre erstens mal teurer geworden, hätte außerdem aber zu deutlicheren Eingriffen in die originale Substanz geführt. Wenn die dann einmal ausfällt, führt das zu einem Klimaschock für die Oberflächen führen und die innerhalb von Stunden kaputt machen.

 

"Das ist Bühnenarchitektur"

Sie sprechen vom Winter ...

Pfeil: Ja. Wenn Sie im Winter viele Menschen drin haben, die Luft von Feuchtigkeit gesättigt ist, weil Sie das Innere ja klimatisiert haben, und die Klimaanlage ausfällt, dann fällt die Feuchtigkeit an den originalen Fassungen aus und macht sie kaputt.

 

Bis vor gut zwei Jahren konnte man auf dem Gerüst der Restauratoren den Deckengemälden sehr nahe kommen und die Schönheit der Ausstattung bewundern, aber auch etwas Überraschendes entdecken: Die Bilder sind sehr leicht hingeworfen, die gesamte Ausstattung ist nicht so massiv, wie sie aussieht, sondern fast schon windig. Da ist viel Schein und gar nicht mal so viel Sein.

Pfeil: Das ist Bühnenarchitektur, da haben Bühnenbildner gearbeitet. Wenn Sie das von der Besucherperspektive aus ansehen, dann sieht es perfekt aus. Wenn Sie aber nah rangehen, dann sehen Sie, wie expressiv, wie schnell die gearbeitet haben. Wenn man weiß, dass die ja innerhalb einer Warmperiode innerhalb eines Jahres fertig werden mussten, dann kann man sich ausrechnen, wie schnell die sein mussten. Man hat vorne, an der Front des Gebäudes, einen Teil offengelassen, um mit Tageslicht arbeiten zu können. Und das hat natürlich nur für ein paar Monate funktioniert. Die Leute waren wirklich grandios. Die haben da hingeschmiert, aber so gekonnt, dass es von der Entfernung ein wirklich überragendes Bild ergibt.

 

"Auf Effekt hingearbeitet"

Was waren das für Leute?

Pfeil: Künstler eben. Wenn wir uns heute Maler anschauen, die expressiv malen, dann staunen wir, mit welcher Fertigkeit man in einem Strich Emotionen unterbringen kann. Und das haben die auch gekonnt. Das waren Künstler, sicher auch gute Handwerker, aber das war nicht das Besondere. Die haben einfach mit einem schnellen Strich gesetzt, was nötig war. Und sie haben genau gewusst, wie sie ihn setzen mussten, um auch von unten den richtigen Eindruck zu erwecken. Die hätten anders gearbeitet, wenn der Abstand des Betrachters ein geringerer gewesen wäre. Aber bei der Größe und Höhe des Gebäudes war das genau das, was man wollte. Die haben einfach einen Bühnenraum geschaffen. Das waren Bühnenarchitekten, Maler, die auf Effekt hingearbeitet haben.

 

Ich habe gelesen, dass es sich beim Markgräflichen Opernhaus eigentlich um zwei Häuser handelt.

Pfeil: Ein Steinhaus und ein Holzhaus, ja.

 

Wie genau muss man sich das vorstellen?

Pfeil: Sie müssen sich das so vorstellen, dass die Hülle des Gebäudes aus Stein ist (entworfen vom Bayreuther Hofarchitekten Joseph Saint-Pierre), in die hinein eine Holzarchitektur gestellt worden ist, das Logenhaus mit den Treppenhäusern. Das ist im Prinzip ein Haus im Haus, und die beiden sind im Grunde statisch kaum miteinander verbunden. Das Holzhaus könnte man im Prinzip auch freistellen, aber natürlich brauchen Sie die Steinhülle.

 

"Eine lebenslustige Kultur"

Ein Theater, gebaut von zwei Architekten.

Pfeil: Ja, also wirklich ganz modern. Was mich wirklich fasziniert, ist, dass das Markgräfliche Opernhaus von Bayreuth, das im Inneren ja aus Holz und Leinwand zusammengezimmert wurde, quasi wie eine Galeone – dass dieses Gebäude im Prinzip der letzte Festraum des Barock ist, in dem Sie Musik des Barock authentisch erleben können. Das gibt es weltweit nicht mehr.

 

Auch nicht in Drottningholm, Schweden?

Pfeil: Ach, das ist viel kleiner.

 Sie haben vorhin etwas erwähnt, das zur Einzigartigkeit des Gebäudes beiträgt: Es ist ein Zeugnis der barocken Festkultur, wie es kaum ein zweites gibt. Was macht denn diese Festkultur aus?

 

Pfeil: Sie war lebenslustig. Es ging sicher nicht so diszipliniert zu wie heute. Die barocke Festkultur war zunächst natürlich auch hierarchisch, ganz klar. Da war die Kurfürstenloge, und dann standen die Chargen in den verschiedenen Etagen. Aber man dort gelebt, gegessen, getrunken, sich unterhalten. Das ganze war im Prinzip ein Event, nicht wie heute ein Kulturgenuss, bei dem man sehr genau zuhört; dort hat man auch verhandelt und Politik getrieben. Diesen Raum kann man heute noch erleben, und was ich besonders schön finde: dass man im Zuge der Sanierungsarbeiten das ursprüngliche Bühnenportal wieder auf die ursprüngliche Größe erweitert hat, so dass man die Durchlässigkeit zwischen Akteuren und Publikum wieder viel besser spüren kann.

 

Ein Spielfeld für Events, sagen Sie, Verhandlungsort – war das ein politisches Gebäude, oder galt’s dort doch eher der Kunst?

Pfeil: Es war sicher nicht demokratisch. Es war ein politisches Gebäude, schon wegen Wilhelmine von Bayreuth, die ihren Anspruch als aus königlichem Blut stammend deutlich machen wollte, und das in dem relativ kleinen Bayreuth. Natürlich ist das eine Herrschaftsarchitektur, und natürlich sind die Leute , die dorthin eingeladen wurden, kein Spiegelbild der damaligen Gesellschaft. Das war ganz klar hierarchisch.

 

"Konkurrenz der Fürstentümer"

Wenn man sich anschaut, wie viele Dramen auf den Fürsten zugeschnitten waren, wie oft der Fürst auch selber mitwirkte oder – wie Wilhelmine – als Autor tätig war, gewinnt man schon den Eindruck, dass im Barock, im Ancien Régime, der Politiker unbedingt auch Künstler sein musste.

Pfeil: Er musste ja zeigen, dass er etwas Besonderes ist. Es ist ja auch so, dass die Politiker damals verantwortlich dafür waren, die besten Künstler herzuholen. Sie mussten sich also damit beschäftigen. Galli Bibiena war nun einmal der führende Architekt für solche Gebäude in Europa, der konnte sich seine Auftraggeber aussuchen, und den musste man erst einmal gewinnen. Man musste also auf einer gewissen Klaviatur spielen können, und Wilhelmine hat sie exzellent gespielt, nicht nur mit dem Markgräflichen Opernhaus, sondern auch der Eremitage und solchen Dingen. Das sind Orte, die heute noch faszinieren. Damals gab es da eine richtige Konkurrenz der Fürstentümer untereinander: Wer ist bedeutend, wer kann seine Bedeutung auch richtig in Szene setzen. Und das hat Wilhelmine hervorragend beherrscht.

 

Und so entstand in einer Stadt mit vielleicht 7000 Einwohnern eines der schönsten Ensembles des Barock in Deutschland…

Pfeil: Das ist faszinierend. Und wenn man sich nie überlegt, dass die Wagner-Festspiele, zu denen auch höchstrangige Gäste kommen, ohne Wilhelmine nie nach Bayreuth gekommen wären – dann weiß man, wie bedeutend dieses Markgräfliche Opernhaus für Bayreuth war und sein wird.

 

 

 

 

 

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