Mittelpunkte: Aus den USA nach Mehlmeisel

Von Andreas Gewinner

Als Marc und Sigrid Söllner nach elf Jahren in den USA mit ihren beiden Kindern nach Deutschland zurückkamen, suchten sie ein Haus, wo auch Pferde unterkommen. Fündig wurden sie in Mehlmeisel. Nun wohnen sie auf einer der interessantesten und geschichtsträchtigsten Baustellen weit und breit. Aber das ist nur das jüngste Kapitel in einem abenteuerlichen Leben. Ein gemeinsames Leben, das wie in einem Hollywoodfilm begann.

 
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Sigrid Söllner stammt aus dem benachbarten Fichtelberg, wo ihre Eltern eine Tankstelle betreiben. Marc ist aus Bayreuth. Die beiden haben sich bei einer amerikanischen Sportart kennengelernt. Marc, der noch heute wie ein „Quarterback“ gebaut ist, spielte American Football bei den damaligen Bayreuth Broncos. Und Sigrid war bei der gleichen Mannschaft Cheerleader. Eben wie in einem Hollywoodfilm.

Ihr nächstes Lebenskapitel begann mit einem Lotteriespiel. Der „Green Card Lottery“. Alljährlich verlost (!) die US-Einwanderungsbehörde weltweit genau 55 000 Green Cards, also eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in den USA. Marc und Sigrid Söllner zogen das große Los: eine von 55 000 Green Cards unter sechs Millionen Teilnehmern.

Im Dezember 1999 ging es in die USA, zunächst nach Florida, wo Marcs Vater ein Ferienhaus hatte, zweieinhalb Jahre später zogen sie in die Nähe von Denver (Colorado). Beide Kinder wurden in den USA geboren. Marc, der diplomierter Chemiker und Umweltwissenschaftler ist, arbeitete für eine große Umweltfirma, Sigrid als Übersetzerin. „Life was good“, wie die Amerikaner sagen: Das Leben war gut.

Doch etwas fehlte. Sigrid ist ein Familienmensch. Wenn es in Fichtelberg bei den Kellners ein Familienfest gab, kam immer die erweiterte Großfamilie zusammen, „mindestens 30 Leute“. Und wenn in den USA beispielsweise an der Schule die Kinder Aufführungen haben, schauen außer den Eltern auch Großeltern, Tanten, Onkels – eben die ganze Großfamilie – voller Stolz zu. Sigrid Söllner dagegen saß meist allein im Publikum, wenn eines ihrer Kinder auf der Bühne stand, da Marc berufshalber oft unterwegs war. Und musste den anderen Eltern erklären, warum ihre Eltern, Großeltern, Onkeln und Tanten nicht kamen. Sie bedauerte, dass ihren eigenen Kindern die Erfahrung einer großen Familie verwehrt blieb. Und als kurz hintereinander zwei Großeltern starben, reifte der Entschluss: Zurück in die alte Heimat. Das war 2010.

Zwei Jahre später wurden sie auf der Suche nach einer pferdetauglichen Unterkunft im benachbarten Mehlmeisel im Ortsteil Unterlind fündig. Dort steht seit 1583 das Hammerwerk am nördlichen Ortseingang unweit des Hammerkirchleins, direkt an der Fichtelnaab. Ein imposanter Kasten mit Weiher, vier Hektar Grund und Ställen. „Das Haus ist riesig, eine Nummer kleiner hätte es auch getan“, sagt Sigrid Söllner, „aber es war halt dabei.“ Dabei bei dem vielen Grund und den Pferdeställen.

An dem riesigen Haus sind die mehr als 400 Jahre nicht spurlos vorübergegangen. Deswegen leben Marc und Sigrid Söllner mit ihren Kindern (14 und 15 Jahre) seit ihrem Einzug im August 2013 auf einer Baustelle. Einer durchaus gemütlichen Baustelle. Wer aktuell zu den Söllners will, der muss erst ein Tor auf einer Brücke durchfahren und dann auf einer hühnerleiterähnlichen schmalen Metalltreppe außen zum ersten Stock hoch. Bis ihre eigentliche künftige Wohnung im Erdgeschoss fertig wird – in einem ehemaligen Nähsaal – wohnen sie im Obergeschoss in einem riesigen Raum direkt unter dem Dach (inzwischen gedämmt und neu mit Alu gedeckt), Studenten-WG-Atmosphäre inklusive.

Doch bis das Provisorium so weit war, gab es auch Momente der Verzweiflung. Etwa als das Dach und der Boden des ersten Stocks offen waren und ein Gewittersturm aufzog. Und Sigrid Söllner in ihrem künftigem Wohnzimmer (dem im Erdgeschoss) in strömendem Regen stand. Wie bei einem so alten Haus unvermeidbar, gab und gibt es immer wieder böse Überraschungen, wie zum Beispiel abgefaulte Holzbackenköpfe. Inzwischen sind mehrere Eisenträger im Haus eingezogen, teils sogar senkrecht als Stützen.

Und im Keller ist neben der alten eine ultramoderne Technik eingezogen. Die alte Technik ist ein Wasserkraftwerk, das immer noch funktioniert und Strom produziert (seit 1924 als damals erster Strom in Mehlmeisel überhaupt), das sind Porzellanisolatoren mit freien Kupferleitungen an den Balkendecken. Die neue Technik, das ist Solarthermie, eine Luftwärmepumpe (sozusagen eine umgekehrte Klimaanlage) und die Regeltechnik für die Holzofenwarmwasserheizung. Dies alles, kombiniert mit der Einspeisevergütung aus der Wasserkraft, könnte dazu führen, dass das Haus energietechnisch mit einer schwarzen Null bewohnt werden kann, hofft Marc Söllner.

Die historische Perspektive auf ihr Haus haben sie dank der Häuserchronik von Josef Wiche. Einheimische wie Urlauber nehmen regen Anteil an dem Projekt: Leute, die als Kinder hier gespielt hatten, die mal in der früher hier befindlichen Pension gewohnt hatten oder die sonstige Erinnerungen mit dem Haus verbanden. Wann soll die Fertigstellung sein? Marc Söllner sagt trocken: „In ein, zwei, drei Jahren.“ Und Sigrid ergänzt: „Wir hoffen immer auf Weihnachten.“

Und trotz allem, der Mühe, Arbeit und Geld, die hier schon eingeflossen sind, wollen sie sich nicht festlegen, dass das Hammerwerk Unterlind für alle Zukunft Mittelpunkt ihres Lebens sein wird. Sie sprechen von einem „Lebensabschnittsprojekt. „Alles ist möglich, wer weiß was passiert. Trotz des großen Hauses haben wir unsere Wanderlust nicht verloren“, sagt Marc. „Unser Lebensweg zeigt, dass wir den geraden Weg verlassen und das Abenteuer suchen.“ Und Sigrid ergänzt: „Uns wird nicht langweilig.“

Daten aus Mehlmeisel: Einwohner: Einwohner:1321, Fläche: 13,23 km²; höchster Punkt: 827 Meter im Ahornberger Forst, niedrigster Punkt: 580 Meter am südlichen Ortsausgang.
 

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