NSU-Prozess: Wie lange noch?

Von Christoph Lemmer,

Im Mai 2017 wird sich der Beginn des NSU-Prozesses zum vierten Mal jähren, falls bis dahin nicht das Urteil gegen Beate Zschäpe gesprochen ist. Das ist wahrscheinlich, könnte aber auch anders kommen. Denn das Gericht fordert überraschend brisante neue Beweise.

 
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Eigentlich könnte der NSU-Prozess zum Ende kommen, da sind sich viele Beteiligte einig. Das Verfahren gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Terrorhelfer des «Nationalsozialistischen Untergrunds» zieht sich seit mehr als dreieinhalb Jahren und über mehr als 330 Verhandlungstage hin. Sogar aus der Bundesanwaltschaft ist zum Jahreswechsel erstmals eine Prognose zu hören. «Man braucht einige Fantasie, sich vorzustellen, dass der Prozess noch länger als sechs Monate dauert», heißt es bei der Karlsruher Anklagebehörde.

Zeitplan ist gescheitert

Tatsächlich hatte der 6. Strafsenat des Münchner Oberlandesgerichts (OLG) schon signalisiert, dass er die Beweisaufnahme abschließen möchte, und für den Dezember das psychiatrische Gutachten über Zschäpe terminiert. Solche Gutachten gibt es in Strafprozessen praktisch immer erst am Ende. Der Zeitplan scheiterte aber an juristischen Finten und einem Befangenheitsantrag. Das Gutachten dürfte nun im Januar erneut auf der Tagesordnung stehen.

Überraschung: Gericht fordert neue Beweise

Gleichzeitig und durchaus überraschend fordert das Gericht jetzt aber neue Beweise zum Geschehen um Zschäpe an einem ganz bestimmten Tag, dem 7. Mai 2000. An diesem Tag meldete ein Berliner Wachpolizist, er habe Zschäpe mit Uwe Mundlos und zwei weiteren Personen - einem Mann und einer Frau - in einem Café im Stadtbezirk Prenzlauer Berg gesehen, gelegen unmittelbar neben der größten Synagoge Deutschlands.

Datum kam zufällig heraus

Zschäpe lebte mit Mundlos und Uwe Böhnhardt da schon seit zwei Jahren im Untergrund. Ihren ersten Mord sollen Mundlos und Böhnhardt ein halbes Jahr später verübt haben, am 9. September 2000 an dem türkischen Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg.

Auf den 7. Mai 2000 und das Treffen im Café war das Gericht im Grunde nur zufällig gestoßen, dank eines Beweisantrags des Nebenklageanwalts Yavuz Narin. Es könnte helfen, den Vorwurf der Mittäterschaft Zschäpes an den NSU-Verbrechen zu begründen. Den Wachmann hatte der OLG-Senat zwei Mal als Zeugen geladen und ist offenbar von seiner Glaubwürdigkeit überzeugt. Der Mann bestätigte, Zschäpe und Mundlos erkannt zu haben. Zu den beiden anderen konnte er nichts beitragen. Dazu fand das Gericht aber Hinweise in den Prozessakten und forderte die Bundesanwaltschaft schriftlich auf, weiteres Material vorzulegen. Das Schreiben liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.

Jetzt geht es um Jan W.

Richter Manfred Götzl verlangt darin vor allem Informationen über einen Mann namens Jan W., der bei dem Treffen mit Zschäpe und Mundlos dabeigewesen sein könnte. Er war einer der Anführer der Chemnitzer «Blood & Honour»-Gruppierung und galt Anfang der Jahrtausendwende als eine der einflussreichsten Figuren in der Neonaziszene. Sein Einfluss erstreckte sich sowohl auf das lukrative Geschäft mit rechtsradikaler Musik als auch auf politische Untergrundarbeit. Seit Jahren ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen W., teilt aber keine Einzelheiten mit.

Wo war er?

Götzl fragt in seinem Brief gezielt nach W.s Aufenthalt am 7. Mai 2000. Er zitiert dabei ein Schriftstück des sächsischen Verfassungsschutzes über eine Observation W.s, das zehn Tage später verfasst wurde. So sei W. um 12.00 Uhr am Flughafen Berlin-Tempelhof gewesen und gegen 14.15 Uhr an der Siegessäule im Bezirk Tiergarten. Zwischendurch scheinen die Beobachter seine Spur verloren zu haben.

In dem Bericht des Verfassungsschutzes ist auch vermerkt, dass W. an diesem Tag eine «in Berlin wohnhafte persönliche Bekannte» mehrfach «kontaktiert» habe - möglicherweise die Frau, die in dem Café an der Synagoge mit am Tisch saß. Jetzt will Götzl wissen, was «kontaktieren» konkret bedeute. Anruf? SMS? Wie oft? Mit welchem Inhalt? Außerdem will er den Namen der «Bekannten» wissen und warum die Behörden glauben, auch sie gehöre zur «einschlägigen Szene».

Die Hinweise passen zusammen

In einer «Bewertung» halten die Verfassungsschützer fest, dass W. Zschäpe und Mundlos am Abend auch nach Chemnitz mitgenommen haben könnte. Es gebe «nicht bestätigte Hinweise», dass sich das Trio «im Raum Chemnitz» aufhalte. Das passt zu den Ergebnissen der Beweisaufnahme im NSU-Prozess. Mitglieder der Chemnitzer «Blood & Honour»-Gruppe hatten schon vor Jahren als Zeugen eingeräumt, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt bei sich versteckt zu haben. Wie viel Zeit dieser Komplex den Prozess kostet, ist noch nicht absehbar.

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