Notruf: Rettung naht dank Whatsapp

Von Sarah Bernhard

Die Technik entwickelt sich immer schneller – und macht auch vor dem Notruf nicht halt. Weil die Gesetzgebung nicht ganz so schnell ist, müssen die Leitstellen ab und zu improvisieren, um Menschenleben zu retten. Denn manchmal hilft nur noch Whatsapp.

 
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Hörer abnehmen, 112 wählen, sprechen. So war das vor 25 Jahren gedacht, als der EU-Ministerrat am 29. Juli 1991 eine gemeinsame europäische Notrufnummer beschloss. Mittlerweile ist das Ganze ein bisschen komplizierter: Autos senden bei einem Unfall automatisch Daten, Handys wissen, wo sich ihr Träger befindet, und manchmal kann nur noch Whatsapp helfen. Für Menschen in Not ist das gut. Doch die Mitarbeiter der Leitstellen müssen manchmal ganz schön kreativ werden.

Online-Ortung

Der Mountainbiker hätte an diesem Sonntagmorgen Mitte August keine Chance gehabt. Er ist mit seinem Rad bei Pottenstein unterwegs, als er plötzlich furchtbare Herzschmerzen bekommt. Er stürzt, irgendwo, mitten im Wald. „Da kannst du eigentlich nichts machen“, sagt Markus Ruckdeschel, Leiter der Integrierten Leitstelle (ILS) Bayreuth-Kulmbach. Denn wo genau er sich befindet, das kann der Mountainbiker dem ILS-Mitarbeiter am anderen Ende der Leitung nicht sagen.

Doch der ist vorbereitet: Er öffnet eine Online-Ortungsplattform, die in der ILS gerade im Testbetrieb läuft, schickt dem Mountainbiker eine SMS, der öffnet den angehängten Link – und der ILS-Mitarbeiter sieht genau, wo er den Rettungshubschrauber hinschicken muss. Der Mountainbiker wird gerettet.

Whatsapp

Für rund 100 der 40 000 Notrufe, die im Jahr bei der ILS eingehen, brauche es „ein bisschen Improvisation“, sagt Ruckdeschel. Manchmal reiche es, wenn man ortsunkundige Autofahrer ihr Navi anschalten lässt, um herauszufinden, wo sie sich befinden. Oder Whatsapp. Denn auch der Nachrichtendienst weiß , wo genau sich das Handy befindet – und kann die Standortdaten an die ILS weiterleiten. Bis vor einiger Zeit hätten die Mitarbeiter dazu ihren privaten Account nutzen müssen. Mittlerweile hat die Leitstelle dafür ein Smartphone-Tischtelefon angeschafft.

So geht's: Funktioniert nur, wenn man über die 112 telefonischen Kontakt mit der Bayreuther Leitstelle hatte und sich die Nummer des Tischtelefons hat geben lassen. Mit dem Befehl „Ort senden“ schickt man seine Standortdaten ans Gegenüber.

Notruf-Apps

Auf diesem Telefon gehen auch die Anfragen der sogenannten Notruf-Apps ein. Diese Apps senden zum Beispiel direkt die Standortkoordinaten. In der App des BRK kann man außerdem ankreuzen, was passiert ist, und ob man Polizei oder Rettungswagen braucht. Das hilft insbesondere Menschen, die nicht so einfach telefonieren können, etwa Gehörlosen, einen Notruf abzusetzen. Die App schickt die Informationen per Fax und per SMS in die ILS, ab Mitte September ruft sie auch gleichzeitig noch an und liest den Text vor.

Doch all diese Techniken haben ein gemeinsames Problem: Sie sind noch nicht in der technischen Richtlinie für Notrufverbindungen (TR Notruf) verankert. Das heißt im Grunde, dass jeder Anbieter machen kann, was er will. Die Ortungsplattform etwa funktioniert nur für Android-Handys richtig. Und während man den Notruf auch wählen kann, wenn man kein Netz hat, bleibt Whatsapp ohne Internetverbindung einfach stumm. „Die Nutzung moderner Kommunikationsmedien verändert sich schneller, als technische Standards angepasst und die Leitstellen entsprechend ertüchtigt werden können“, sagt Ruckdeschel.

So geht's: Die App, auch die des BRK, gibt es in Appstores kostenlos zum Herunterladen.

 

Mobilfunkortung

Immerhin: Bei zwei weiteren Techniken haben die Behörden dieses Problem bereits erkannt. Wenn Ende dieses Jahres eine neue Fassung der TR Notruf herauskommt, wird sie neue Vorschriften für die Mobilfunkortung enthalten. Denn im Moment hängt es vom Netz des Notrufers ab, welche Daten in der Leitstelle ankommen. Die Telekom ist am weitesten: Bei Anrufen aus dem D1-Netz kann sich Ruckdeschel auf einem Bildschirm automatisch anzeigen lassen, in welchen Funkmast das Handy eingeloggt ist und sogar, in welchem Teilstück. E-Plus hingegen sendet gar keine Daten mit. „Es braucht einen Standard, damit die Koordinaten in einem einheitlichen Format bei uns ankommen“, sagt Ruckdeschel.

So geht's: Wenn das eigene Netz zu schwach für ein Telefonat ist, darf das Handy für einen Notruf automatisch auch Fremdnetze nutzen. Mindestvoraussetzung: eine SIM-Karte.

E-Call

Die zweite Neuerung betrifft den E-Call. So nennt man es, wenn ein Auto automatisch Daten sendet, wenn der Airbag ausgelöst wird, oder wahlweise der Autofahrer auf einen Notfall-Knopf im Auto drückt. „Im Moment bekommen wir die Koordinaten und die Anzahl der geklickten Gurtschlösser“, sagt Ruckdeschel. Außerdem wird versucht, eine Sprachverbindung aufzubauen. Allerdings nicht zur ILS, sondern zu einer konzerneigenen Servicestelle, die dann wiederum die Leitstelle alarmiert. „Wenn jemand bewusstlos ist, ist aber jede Minute eine zu viel“, sagt Ruckdeschel. Deshalb müssen laut einer EU-Verordnung E-Calls ab März 2018 direkt in der Leitstelle herauskommen.

So geht's: Ab 2018 müssen alle Neuwagen mit E-Call ausgerüstet sein. Man kann sein Auto aber auch mit einem Stecker nachrüsten, den man in den Zigarettenanzünder steckt. Man bekommt ihn über viele Autoversicherungen, allerdings oft nur in Verbindung mit einem Schutzbrief.

Hörer abnehmen, 112 wählen, sprechen: Das funktioniert auch heute noch. Aber 25 Jahre nach Einführung der Notrufnummer kann ein Notruf auch völlig anders laufen.

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