Erfolgreiche Festivalleiterin, ein kritisches Mitglied der Dynastie Nike Wagner feiert 70. Geburtstag

Von Michael Weiser
Eine Feier für den Avantgardisten Beethoven: Nike Wagner ist Leiterin des Beethovenfestes. Und feiert 70. Geburtstag. Foto: Monika Nonnenmacher/red Foto: red

Nike Wagner bringt als erfolgreiche Festivalchefin Wagner, Liszt und Beethoven zusammen, drängt auf Offenheit und Neuerung. Am heutigen  Dienstag feiert sie ihren 70. Geburtstag. Und äußert sich kritisch auch zur Lage in Bayreuth.

 
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Es war Zeit für einen Neuanfang, unübersehbar, unleugbar: Wahnfried war, von amerikanischen Fliegerbomben getroffen, unbewohnbar geworden. Und so wurde Nike Wagner heute vor 70 Jahren, am 9. Juni 1945, fern von Bayreuth geboren, genauer: am Bodensee, wo ihr Vater Wieland versuchte, aus den Trümmern etwas Neues zu bauen: Neue Festspiele, unbelastet von Winifreds Kungelei mit Hitler.

Neuanfang und Abkehr nach der schlimmsten Katastrophe, am moralischen Tiefpunkt der Deutschen. Vielleicht sind es diese frühen Erfahrungen, die Nike Wagners Konsequenz erklären, diese Beharrlichkeit, mit der sie ihrer eigenen Familie gegenüber kritische Distanz wahrt. Und mit der sie sich für Neues offenhält.

Fingerspitzengefühl für Weimars Lage

Nike Wagner, die Franz Liszts Tochter Cosima wie aus dem schmalen, feinen Gesicht geschnitten ist, kann schon wegen ihrer Ähnlichkeit mit ihrer Urgroßmutter ihre Zugehörigkeit zur Wagner-Dynastie nicht verleugnen, gilt aber gleichzeitig als Gegenentwurf zum Clan. Als höchst erfolgreiche Intendantin, die in Bayreuths Sichtweite – in Weimar – dem etwas vernachlässigten Wagner-Schwiegervater Franz Liszt mit dem Kunstfest ein Denkmal setzte: „Pèlerinages“ nannte sie das Kunstfest. Dabei hatte sie auch noch das Fingerspitzengefühl, auch die Nachbarschaft zu einem deutschen Mahnort nicht zu übersehen. Mit dem „Gedächtnis Buchenwald“ begannen die Kunstwochen unter Nike Wagner. Fast schon schmerzhaft hielt sie ihrem Publikum da immer wieder die Pflicht zum Gedenken vor. Und nicht nur ihrem Publikum in Weimar, sondern vielleicht auch dem anderen Zweig der Familie in Bayreuth, wo man sich schwer tat mit dem Gedenken, bis man mit der Ausstellung „Verstummte Stimmen“ endlich das Schweigen über die Wagners im Dritten Reich brach.

Seit etwas über einem Jahr pflegt Nike Wagner das Andenken eines anderen Großen der Musikgeschichte, als Leiterin des Beethoven-Festivals. Und sie pflegt es nicht in einem musealen Sinne, sondern versteht das Festival als Aufforderung zur Lebendigkeit. Den Avantgardisten Beethoven bewundert sie, den Revolutionär. Und zu seinem 250. Geburtstag im Jahre 2020 will sie ihm ein Festival in „widerwillig-eigenwillig-kreativen Geist“ ausrichten. Es klingt ein bisschen, als habe sie sich in diesem Begriffsdreiklang selbst beschreiben wollen. Für heuer trägt ihr Beethovenfest das Motto „Veränderungen“.

"Hat ja Komik"

Was wiederum klingt, als habe sie’s auf Bayreuth gemünzt. Veränderung? Mit dem Status quo jedenfalls ist sie nicht einverstanden. In der Süddeutschen Zeitung hat sie sich zur Hügelverbotskrise geäußert, in Worten allerdings, die der ganzen Affäre gleich wieder viel Luft rauslassen: „Die Tradition der Haus- und Hügelverbote hat in Bayreuth ja ihre Komik.“

Zweimal versuchte sie, Herrin des Hügels zu werden, 1966, nach dem Tode Wielands und 2008, nach dem Rücktritt Wolfgangs. Der Härte der Auseinandersetzung zeigte sich die filigrane und intellektuell breit aufgestellte Nike Wagner durchaus gewachsen. Zum Zuge kam sie dennoch nicht. Ein Gegenentwurf eben, einer hinter dem sich bis heute viele Hügelkritiker verschanzen: Nicht wenige Experten, Beobachter etc. seien der Meinung, sie sei die geeignetste unter allen Kandidaten, heißt es dann regelmäßig.

Sie selber hat Bayreuth mittlerweile „künstlerisch“ abgehakt, nicht aber „politisch“, wie sie schon or geraumer Zeit sagte: „Es ist ungeheuerlich, wie derzeit die Rechte der Richard-Wagner-Stiftung von den Machenschaften der Betreiber-GmbH – das sind die öffentlichen und privaten Zuwendungsgeber – ausgehöhlt und die Stifter-Familie enteignet wird“, sagte sie einmal der „Welt“.

Was sie sicher ist: eine große Vernetzerin, eine, die sich des geistigen Familienerbes mit aller Freiheit bedient. „Bei Beethoven hat Wagner das Komponieren gelernt und auch Liszt war bedingungsloser Beethoven-Fan“, sagte sie kürzlich.

Und sie wird weiter den Finger in die Wunden Bayreuths legen. Im Interview mit der dpa beklagte sie die „nahezu unendlichen bayerisch-oberfränkisch-mäzenatischen Kungeleien“. Und ergänzte mit feiner Ironie und Gefühl für die Nachrichtenlage: „Fifa ist überall.“ Ihren 70. Geburtstag will sie, so stand da zu lesen, irgendwann mit „Lust und Liszt“ nach feiern, mit „Posaunen und Klavier“.

Was sich vielleicht nur zufällig wie „Pauken und Trompeten“ anhört. „Bayreuth dagegen ist tief in der Krise“, sagte sie noch. „Leider nicht in einer besonders fruchtbaren.“

Mit Material der dpa