Der Islam-Popanz
War das rührend, heute, im postfaktischen Zeitalter? Oder doch nur mal wieder notwendig? Wulff jedenfalls bemühte sich, Fakten gegen die Islamfurcht zu setzen. Indem er den geschätzten Anteil von Moslems der tatsächlichen Zahl entgegenstellte. Auf sechs Prozent schätzen die Polen den Anteil an Muslimen an der polnischen Bevölkerung. Tatsächlich liegt der Anteil bei einem Zehntelpromille. So einfach blasen Populisten einen Popanz auf. Wulff bemühte sich, dem Popanz die Luft auszulassen. Kann man wohl nicht oft genug tun, in Zeiten wie diesen.
Die Pflicht des Volkes
Über manch brüchige Brücke wandelte Wulff, etwa mit seiner Begründung des Mangels an deutscher Identifikationsfähigkeit, die mit den Befreiungskriegen gegen Napoleon so nun wirklich nicht zu begründen ist. Aber er hat unbedingt Recht mit seinem Appell an die vor ihm versammelte Jugend: Demokratie leite sich her von Demos, dem griechischen Wort für Volk. Und dessen Pflicht sei es, sich zu kümmern und zu engagieren. Eine Pflicht gerade der jungen Generation. Dass die in England versagt hatte, bei der Abstimmung über den Brexit, und zwar indem sie einfach nicht wählte – das hatten bereits die Vorredner Wulffs unterstrichen, die Studenten Laura Veigl und Niklas Wenzel.
Anstand im Internet?
Wulff forderte Anstand ein, Fairness auch in den sozialen Netzwerken, eine faire, aber auch von Verlegerseite verantwortungsvoll gepflegte Presse, die der Lügenflut im Internet entgegenwirke könne; er sprach sich aus für weniger Selbstmitleid, mehr Stolz, Verantwortungsbewusstsein und Kümmern um das – er gebrauchte wirklich dieses schöne wahre Wort – Gemeinwesen. Ein großes Fass hat er aufgemacht, er hat in hektischem Tempo ein weites Feld übergeflogen.
Was wirklich teuer kommt
Kann vielleicht auch nicht anders sein, da alles zusammenhängt und doch erst wieder neu geordnet werden müsste. Insgesamt: Nicht die schlechteste Rede, die man heuer gehört hat. Zumindest mal eine Anregung, darüber nachzudenken, was man selber für die kränkelnde Ordnungskraft namens Demokratie tun könnte. Die Form an sich wäre bewährt, sie ist nicht mehr bewehrt. Es fehlt mal wieder an Demokraten. Despotie sei billig, sagte der Bundespräsident a.D. mit Blick auf die Türkei: Man müsse ja nur einen Mann zahlen. Wulff setzt darauf eine gar nicht mal so billige Pointe: „Das kommt einen nachher teuer zu stehen.“