Bereits im Oktober sei Netzsch aus dem Branchenverband VBM ausgetreten. Der Geschäftsführung warf sie deshalb taktisches Kalkül vor: „Man hat das gut vorbereitet. Wir sind sehr enttäuscht, dass nicht mehr gegenseitiges Vertrauen herrscht.“
Auch die Gewerkschaft kritisierte den Beschluss der Firmenleitung. Volker Seidel, erster Bevollmächtigter der IG Metall Ostoberfranken, sagte unserer Zeitung, er halte diesen für problematisch. „Wenn Netzsch sein Heil in der Tarifflucht sieht, dann müssen die Beschäftigten ein Zeichen setzen.“ Die Möglichkeit zur Arbeitszeitreduzierung gebe den Mitarbeitern mehr Selbstbestimmung. Flexiblere Arbeitszeiten seien kein Nachteil, sondern ein Pluspunkt – gerade im Kampf um die begehrten Fachkräfte.
Die Gewerkschaft und die Betriebsräte wollen zunächst mit den Beschäftigten an den betroffenen Standorten beraten, wie sie weiter vorgehen wollen, wie Christine Feig-Kirschneck und Volker Seidel ankündigten.
Befürchtet die Arbeitgeberseite Gegenreaktionen? Hanns-Peter Ohl, Geschäftsführer der Netzsch-Holding, zeigte sich zurückhaltend. Er wolle keine „Emotionalisierung“, sagte er. Mit dem eigenständigen Weg außerhalb des Flächentarifvertrages sei Netzsch besser in der Lage, unkomplizierte Regelungen auf betrieblicher Ebene und nahe am Marktgeschehen zu treffen, hieß es in einer Mitteilung.
Unbürokratische Flexibilität
Geschäftsführer Ohl: „Wir sind der festen Überzeugung, dass wir auf betrieblicher Ebene und in enger Abstimmung mit unserem Betriebsrat am besten die nötige unbürokratische Flexibilität entwickeln können – zum Wohle des Unternehmens und seiner Mitarbeiter gleichermaßen.“ Die IG Metall habe durch ihre Kündigung des Manteltarifvertrages „die Tür für ein Überdenken unserer Position geöffnet“.
Ohl sagte im Gespräch mit unserer Zeitung, man sei im Oktober aus dem Branchenverband VBM vorsorglich ausgetreten. Wäre jedoch eine bessere Tarifvereinbarung zustande gekommen, dann wäre es denkbar gewesen, diesen Schritt wieder rückgängig zu machen.
Die Tarifeinigung in der M+E-Branche sieht unter anderem 4,3 Prozent mehr Geld und jährliche Einmalzahlungen vor. Die Beschäftigten können für bis zu zwei Jahre ihre Wochenarbeitszeit auf 28 Stunden absenken. Es gehe Netzsch „nicht primär“ um die Höhe der im Flächentarifvertrag vereinbarten Entgelte, hieß es in der Mitteilung.
Am Geld soll's nicht liegen
Bei Netzsch gelte das Motto „Guter Lohn für gute Arbeit“, so Ohl: „Wir sichern deshalb schon heute zu, dass wir selbst nach zwei für uns wirtschaftlich schwierigen Jahren – und trotz der hohen Lohnerhöhungen im Flächentarif – den auf das Entgelt bezogenen Teil der Tarifvereinbarungen übernehmen werden.“
Die Mitarbeiter sollen nach den Worten des Geschäftsführers auch in Zukunft finanziell genauso gut gestellt werden wie ihre Kollegen in tarifgebundenen Unternehmen. Betriebsratsvorsitzende Christine Feig-Kirschneck sagte hingegen, es sei zu befürchten, dass die Löhne bei Netzsch langfristig unter das Niveau von tarifgebundenen Betrieben sinken könnten.