Namibias vergessene Pop-Helden

Von Michael Weiser
So etwas wie musikalische Archäologie: Aino Moongon vor Bildern der Ausstellung Stolen Moments. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Es war Pop, der nicht populär werden durfte: Weil eine eigene selbstbewusste schwarze Kultur in Zeiten der Apartheid nicht sein durfte, sank Namibias goldene Zeit der Popmusik in Vergessenheit. Jetzt entreißt die Ausstellung Stolen Moments im Iwalewahaus diese Zeit und ihre Helden den Tiefen des Archivs.

 
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Im gigantischen Geschäft der globalisierten Popszene gibt es immer noch die kleinen und irgendwie doch ganz großen Geschichten. Etwa die vom Sugar Man, dem vergessenen Popstar; Sixto Rodriguez heißt er, er verschwand Ende der 70er Jahre von der Bildfläche und versank in der Vergessenheit. Und verpasste so, wie seine Musik im Apartheid-Land Südafrika als Symbol der Freiheit zum absoluten Kult wurde.

Bis ein Filmemacher auf dieses Geheimnis stieß, Rodriguez ausfindig machte und einen Dokumentarstreifen drehte. Der Filmemacher gewann den Oscar.

Ben Molatzis Reise

Und es gibt Geschichten wie die von Ben Molatzi. Der machte in Namibia Musik, verdammt gute Musik sogar. Auch er wurde vergessen. Weil Namibia zwar zwischen den 50er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine lebendige Pop-Szene entwickelte, diese Musikkultur in Zeiten der Apartheid aber unterdrückt und ins Abseits gedrängt wurde.

Auch er wurde jetzt wieder entdeckt, zusammen mit vielen Kollegen, zusammen auch mit ihrem Publikum. Durch die Stolen Moments Research Group aus Windhoek, die nach Spuren jener Musikkultur Namibias fahndet. In den Archiven des Rundfunks, der Zeitungen und andere Einrichtungen suchten nach Aufnahmen, nach Berichten und Fotos. In Zusammenarbeit mit dem Iwalewahaus in Bayreuth digitalisierten die Forscher rund 1800 Songs, bereiteten Fotos auf, werteten Zeitungsberichte aus. Und machten daraus eine Ausstellung für das Iwalewahaus, die zugleich hörens- und sehenswert ist.

Ausgräber der Musikgeschichte

Es ist eine fast schon archäologische Arbeit, die Kuratorin Aino Moongo und ihre Mitstreiter vollbracht haben. „Wir haben einen Topf voll Gold an die Oberfläche geholt, und was wir angegraben haben, war vermutlich nur die oberste Schicht“, sagt sie. „Da ist noch mehr zu finden.“

Was sie bislang zu Tage gefördert und aufbereitet haben, ist faszinierend. Man sieht Szenen, in deren Lebendigkeit man fast schon unmittelbar eintaucht. Um so mehr, da man sich gleich im nächsten Raum Kopfhörer überstülpen kann: Da sprudelt sie, die Quelle, die so lange verschüttet war. Man sieht Fotos von Bands mit abenteuerlichen Namen und Musikern mit noch abenteuerlicheren Frisuren – ganz wie zu Glamrock-Zeiten im Westen. Und: So etwas ähnliches wie Krautrock gab es dort offenbar auch schon, in der früheren deutschen Kolonie, deren problematische Geschichte diesmal allerdings außen vor bleibt. Man sieht aber auch tanzende, feiernde Menschen, aufgemacht wie für einen Ball. „Ja, die Menschen haben sich herausgeputzt, wenn sie ausgehen wollten“, sagt Aino Moongon. Männer mit Smoking und Fliege in der Disco – unvorstellbar fast im rebellischen Europa der 60er Jahre.

Welche Spuren blieben?

Die Musikausgräber bemühten sich darum, das Erbe mit der Gegenwart zu verknüpfen. Sie mussten es auch tun: Viele Fotos waren nicht einem konkreten Ort noch einer Zeit zuzuordnen. Über Zeitungen und soziale Netzwerke suchten sie nach Verknüpfungen – und erhielten viele Tipps. Die Forscher luden auch zur großen Revivalparty. „Ein ziemlicher Erfolg“, sagt Moongon, „wir hatten einen großen Saal für vielleicht 300 Leute angemietet und mussten die Menschen schließlich fast schon reinpferchen.“ Wie tanzte man eigentlich damals? Die Ausstellungsmacher filmten mit – die Dokumentation auch von der Begegnung verschiedener Generationen kann man im Kinosaal des Iwalewahauses sehen. Und sie luden Graphiker ein, Plattencovers zu gestalten – Verpackung für Musik, die allzu lange schon im Archiv geschlummert hat. Und sie ließen Fotografen auf Spurensuche gehen: Wie sehen sie heute aus, die Musikpaläste von damals?

Den Menschen in Namibia wurde ihr Augenblick in der Musikgeschichte gestohlen, daz ihre Erinnerung, den Musikern selbst die Chance auf Anerkennung. 26 Jahre, nachdem Namibia die Unabhängigkeit erlangte, drängt die Zeit, will man noch Zeugen der goldenen Ära erleben. Einige der ergrauten Helden von damals hat das Iwalewahaus daher eingeladen.

Auch Ben Molatzi. Der Musiker machte sich auf den Weg nach Windhoek, kaufte einen Koffer für die Reise ins herbstliche Bayreuth. Und starb kurz darauf. Es wird keinen Oscar für Film über diesen vergessenen Popstar geben. Seine Musik aber – sie darf man im Iwalewahaus nun kennenzulernen. Großartig, nicht nur für Fans von Indie-Pop.

INFO: Stolen Moments, bis 30. April im Iwalewahaus. Danach in den Afrika Bibliographien, Basel, und dann im Kunstraum Bethanien, Berlin. Morgen stehen passend zur Ausstellung um 19 Uhr ein Konzert und ein Tanzabend mit Kakuja Kembale & Jackson Wahengo auf dem Programm.

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