Keine Hinweise auf Täter - Asylbewerber sollen kommen Nach dem Brandanschlag: Ratlosigkeit in Vorra

Von Sarah Ritschel
 Foto: red

Am 11. Dezember 2014 brannten in Vorra in Mittelfranken drei Asylunterkünfte. Eine menschenverachtende Tat, sagen die meisten Menschen dort. Seither sucht die Polizei nach Spuren und Tätern – und das ganze Dorf nach den Gründen.

 
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Der Raum ist lang und schmal. Zwei Gänge, knapp einen halben Meter breit, laufen zwischen hohen Aktenschränken hindurch auf das Fenster am anderen Ende des Zimmers zu. An einem kleinen Schreibtisch sortiert Kriminalhauptkommissar Bruno Meixner seine Unterlagen. Einfache Holzplatte, Computer, etwas zum Schreiben: Seit sechs Wochen ist das provisorische Büro im Obergeschoss des Vorraer Rathauses Meixners Arbeitsplatz. Keine zweihundert Meter davon entfernt brannten am Abend des 11. Dezember drei Asylbewerberunterkünfte. Sie standen noch leer, ein Glück. Der oder die Täter hatten Brandbeschleuniger verwendet, Hakenkreuze an eine der Hauswände geschmiert. Bis heute hat die Kriminalpolizei keine heiße Spur, wer hinter den Anschlägen steckt. Erst vergangene Woche wurde die Belohnung für den entscheidenden Hinweis von 5000 auf 20 000 Euro erhöht.

Sonst ist es wieder ruhig geworden in Vorra. An den drei ausgebrannten Häusern flattert das Absperrband der Kripo. Ab und zu bleibt ein Kind auf dem Heimweg vom Bus stehen, bestaunt die Polizeisiegel an der Eingangstür.

Bisher war der Briefkasten der Polizei immer leer

Die Reporter der Zeitungen und vom Fernsehen sind längst abgezogen, die Polizei arbeitet im Stillen. So wie Bruno Meixner. Eine Woche nach den Taten hat die Kripo in Vorra eine Sprechstunde eingerichtet. Die Leute kennen Meixner inzwischen gut. Beim Stammtisch im Wirtshaus war er auch schon dabei. Als Ermittler natürlich. Fast jeden Tag kommt der 53-Jährige für ein paar Stunden ins Rathaus.

„Falls noch jemand was erzählen will“, sagt er. Sein Tonfall klingt optimistisch, entschlossen klopft er mit dem Stift auf seinen Block. Doch die Hinweise werden immer weniger. An einem Baum vor dem Rathaus hängt ein silberner Briefkasten mit Polizei-Emblem. Meixner sieht jeden Tag nach, ob jemand anonym einen Zettel eingeworfen hat. Bisher war der Briefkasten immer leer.

Einige Schritte vom Rathaus entfernt, gleich neben der evangelischen Marienkirche, liegt der Gasthof „Zur Goldenen Krone“. 46 Asylbewerber sollten schon längst hier wohnen. So war der Plan. Stattdessen stützt ein Gerüst das beige getünchte Haus, das riesige Loch im Dach haben Bauarbeiter notdürftig mit einer Plane bedeckt. Über dem Hintereingang zieht sich eine schwarze Rußspur bis ins erste Stockwerk hinauf. Nur die Wand vom Anbau der Scheune strahlt weiß. „Kein Asylat in Vorra“ hatten der oder die Täter mit roter Farbe dort hingekritzelt, außerdem zwei Hakenkreuze. Sobald die Polizei es erlaubte, hat ein Maler aus Vorra die Schmierereien überstrichen.

Was da stand, kriegen viele Menschen in dem kleinen mittelfränkischen Dorf trotzdem nicht aus ihrem Kopf. Beim Bäcker hängt das Fahndungsplakat der Soko „Vorra“ gleich neben dem Angebot für drei Kornbrötchen nach Wahl. In wenigen Sätzen erklärt die Polizei darauf, was in der Nacht Mitte Dezember geschah. In Vorra kennt die Fakten jeder in- und auswendig. Viele waren schließlich selbst dabei, als 150 Feuerwehrleute aus dem ganzen Landkreis Nürnberger Land stundenlang versuchten, die Feuer zu löschen. Als Polizisten gleich in den Morgenstunden die Vorgärten durchkämmten. Als Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit dem Hubschrauber landete, um sich vor Ort zu informieren. Als er sich weigerte, Flüchtlinge hinter großen Zäunen zu verstecken.

200 Spuren ist die Soko „Vorra“ seitdem nachgegangen, 65 Hinweise aus der Bevölkerung haben die Beamten überprüft. Sie durchsuchten ein Wochenendhaus am Waldrand, in dem sich nach Zeugenaussagen immer wieder eine Clique getroffen hatte, die rechte Lieder sang und Nazi-Parolen grölte. Sie schickten Taucher in die Pegnitz und vernahmen mehr als 500 Personen. Die entscheidende Spur aber fehlt. „Branddelikte sind sehr schwierige Delikte“, sagt Polizeisprecherin Elke Schönwald vom Präsidium in Mittelfranken. Das Feuer habe nicht nur viele Spuren vernichtet, durch den Großeinsatz seien auch unzählige neue dazugekommen. Jetzt müsse man klären, wer sicht berechtigt am Tatort aufgehalten habe – und wer nicht. Viel Arbeit für die Ermittler. „Den Fachleuten von der Sonderkommission war von Anfang an klar“, sagt Schönwald, „dass das kein Fall ist, der schnell gelöst sein wird.“ Seit den Bränden sind mehr als sechs Wochen vergangen. „Die Leute sind immer noch erschüttert“, sagt Wilhelmine Müller. Die Frau aus dem Nachbardorf arbeitet in Vorra in der Metzgerei. Es ist früher Nachmittag, für heute hat sie Feierabend. Auf dem Weg zu ihrem Auto muss die Verkäuferin jeden Tag an dem frisch renovierten Wohnhaus vorbei, in das ebenfalls Asylbewerber einziehen sollten. An den neuen Fensterrahmen kleben Aschereste. Mehr als 20 Jahre lang sei das Gebäude in sich zusammengefallen – und das direkt an der Hauptstraße. Ein Schandfleck.

Seit etwa einem Jahr hatte der neue Investor, ein Nürnberger Immobilienunternehmer, das Haus renovieren lassen. Als alles fertig war, servierte Wilhelmine Müller beim Tag der offenen Tür belegte Brötchen. „Das Haus war richtig schön geworden“, erinnert sich die Metzgereiverkäuferin.

„Die haben es komplett ausgeräumt, die neuen Fenster und neue Leitungen eingebaut.“ Noch immer liegen verkohlte Holzbalken neben der weinrot gestrichenen Eingangstür. „In der Metzgerei fragen uns viele, wie es jetzt weitergeht“, erzählt Müller. Eine Frage interessiere die Leute im Moment ganz besonders: die, ob trotzdem Flüchtlinge kämen. Dass jemand aus dem Ort deren Einzug verhindern wollte – „ich hoffe nicht“, sagt Müller. „Und ich glaube es auch nicht“, schiebt sie entschieden hinterher. Ja, manche Kunden würden schimpfen, das schon. 70 Asylbewerber auf knapp 1000 Einwohner, dazu die Flüchtlingsunterkünfte in mehreren benachbarten Orten – das müsse manch einer „erst einmal verkraften“. Aber deswegen Brandsätze legen? Wilhelmine Müller kann es sich nicht vorstellen. Eine Gruppe Ehrenamtlicher habe sich ja sogar zusammengetan, um den Flüchtlingen die Ankunft zu erleichtern.

„Wir hatten uns doch längst darauf eingestellt.“ Vorra, das Dorf mit den hübschen Fachwerkhäusern und dem idyllischen Flusstal, ist in seiner Chronik um ein Kapitel reicher. Es ist eins der düstersten in der mehr als 1000-jährigen Geschichte der Gemeinde. „Ihr seid ja richtig berühmt.“ Das hätten seine Verwandten aus Dresden ihm nach den Anschlägen am Telefon gesagt, erzählt ein Mann aus Vorra, der anonym bleiben will. Auf dem Weg zum Friedhof muss er jeden Tag an dem ausgebrannten Gasthof vorbei.

„Ihr seid ja richtig berühmt.“ Dem Rentner wäre es lieber, wenn nicht ganz Deutschland den Namen seines Dorfes kennen würde. Gerade jetzt, wo er sich „wegen der ganzen Diskussionen im Fernsehen und im Radio ohnehin schon Sorgen“ macht. Jetzt, wo in der Heimat seiner Verwandten jede Woche Menschen gegen „Islamisierung“ auf die Straße gehen.

Was in seinem Dorf passiert ist, findet er, „menschenverachtend“. Am Wochenende nach der Tat war er einer der mehr als 300 Bürger, die mit einer Menschenkette durch das Dorf gegen Fremdenfeindlichkeit protestierten. Zwei große Banner über die Pegnitzbrücke erinnern daran. „Flüchtlinge brauchen Freunde“, ist da zu lesen.

Vor 25 Jahren hätten schon einmal Flüchtlinge in Vorra gelebt, erzählt der Mittsechziger und zeigt auf ein Fachwerkhaus die Straße hinunter. „Und es hat gut funktioniert.“ Er erinnert sich auch noch an die Zeit, als die Leute den Namen des Dorfes aus einem ganz anderen Grund kannten. In seiner Jugend sei Vorra ein Urlaubsort gewesen, in fast jedem Haus habe es damals eine Ferienwohnung gegeben. „Die Krone war das beste Hotel im Ort.“ Heute flögen die Leute weit weg in den Urlaub. Heute zerfallen angekokelte Gummi-Fußabstreifer vor der Tür zum Gasthof.

Am Plan des Hausbesitzers hat sich nichts geändert

„Natürlich wäre es erfreulich gewesen, wenn wieder ein Gasthaus hineingekommen wäre“, sagt Volker Herzog über das Haus neben der Kirche. Seit 1996 ist der SPD-Mann Bürgermeister von Vorra. Fast genauso lang standen die geplanten Asylunterkünfte leer. „Der Großteil der Bevölkerung war froh, dass es überhaupt wieder eine Nutzung dafür gab.“ Wie geht es jetzt mit den Häusern weiter?

Der Bürgermeister kann die Frage beantworten, die so viele in Vorra bewegt. Am Plan des Hausbesitzers habe der Brand nichts geändert. „Er will die Schäden beseitigen.“ So bald wie möglich sollen Asylbewerber einziehen. Volker Herzog freut das sehr. „Ich hoffe, dass die Gebäude restauriert werden können“, sagt er. „Und dass wir die Flüchtlinge dann ganz entspannt willkommen heißen.“ Wieder so ein kleines rechtes Dörfchen – niemand solle Vorra auf diese negative Liste setzen.

Dafür kämpft Herzog.

Ein paar Türen weiter wartet Polizeihauptkommissar Bruno Meixner weiter jeden Tag auf Menschen, die der Soko neue Hinweise auf die Brandstifter geben. Für den Tag, an dem sie überführt werden, hat Meixner schon einen Plan. „Dann will ich alle Soko-Mitglieder hier in Vorra beim Wirt sehen und wir feiern den Erfolg.“ Er ist überzeugt davon, dass dieser Tag kommen wird.

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