Als Statist am Set von Aktenzeichen XY in Trockau Mit der Reise nach Jerusalem auf den Spuren von Anton Krügel

Von Eyke Swarovsky
 Foto: red

Es ist ein Fall, der ganz Deutschland seit Monaten beschäftigt. Am 4. Dezember verschwand Anton Krügel aus Grafenwöhr spurlos aus dem Music Center Trockau. Seine Jacke blieb in der Disko, seine Brille wurde auf dem Parkplatz gefunden, doch wo Anton sein könnte, bleibt bis heute ein Rätsel. Aus diesem Grund nahm sich die populäre Fernsehsendung Aktenzeichen XY ungelöst jetzt dem Fall an und stellte das Szenario am Montag und Dienstag so originalgetreu wie möglich nach. Kurier-Volontär Eyke Swarovsky war als Statist mit am Set und berichtet von den Aufnahmen.

 
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Montagmittag 11.45 Uhr. Auf dem leeren Parkplatz vor dem Music Center Trockau versammeln sich zunehmend junge Menschen, die aus ihren Autos steigen. Über dem Eingang hängt ein Schild „Internationales VW Treffen“. Doch das ist nicht der Grund für die Zusammenkunft der 26 Leute. Heute und morgen soll gedreht werden.

Alle begrüßen sich vorerst noch zurückhaltend, dann ist das erste Mal warten angesagt. Aktenzeichen XY in Trockau, aber bislang nur eine Großraumdisko bei strahlendem Sonnenschein und ein mit wenigen Autos gefüllter Parkplatz. Wo ist denn jetzt das Fernsehteam?

Um kurz nach Zwölf rollen dann ein Bulli, ein Audi und ein Mini mit heran. Die Türen gehen auf und aus dem Mini hört man: "„Ihr seid ja viel zu pünktlich!“" Dazu ein breites Grinsen und das Eis ist schnell gebrochen. Unsere Ansprechpartnerin stellt sich als Vroni vor, das Mädchen für alles.

Erst der Papierkram, dann das Vergnügen

Dann also alle rein in die Disko. Es riecht nach verschüttetem Alkohol und kaltem Schweiß, den die feiernde Meute am Wochenende ausgetanzt hat. Alle warten gespannt, was nun passiert, da kommt auch schon das erste Kommando: „Vorn stehen Getränke, Butterbrez'n und Wurschtsemmeln. Greift zu!“

Dann der ganze Papierkram. Jeder Komparse muss einen zweiseitigen Bogen ausfüllen. Name, Anschrift, Sozialversicherungsnummer, das ganze Programm. Ohne diese Zettel gibt es nachher nämlich keine Gage, die für die Statisten pro Drehtag pauschal bei 50 Euro liegt.

Das Filmteam hatte die Disko schon am Wochenende besucht um zu schauen, wo sie was drehen und was sich damals mit Anton Krügel wohl wo und wie abgespielt haben muss. Die Techniker bauen schnell auf und so dauert es nicht lange, bis alle an das Set gerufen werden. „"Verteilt euch mal bitte alle an die Tresen. Wir müssen den ganzen Bereich hier irgendwie ausfüllen"“, klingt es aus dem Mund des Regisseurs, der gleichzeitig auch Aufnahmeleiter zu sein scheint.

Grölen ist Silber, Flüstern ist Gold„

"Verhaltet euch mal ganz normal wie ihr es in einer Disko tun würdet, wir machen dann gleich mal 'ne Probe"“, spricht der Regisseur. Dann geht es los, man spürt die Anspannung bei einigen, sie wissen noch nicht wirklich, wie sie sich verhalten sollen, damit sie möglichst authentisch aussehen. Insgesamt ist es wohl sehr schwierig, so zu spielen, dass man es nicht erkennt.

Alle unterhalten sich. Wären die Getränkedosen und Flaschen vor uns nicht leer und würde man Musik hören, man könnte tatsächlich denken, wir wären in einer äußerst schlecht besuchten Diskothek am feiern. Das Music Center Trockau ist natürlich alles andere als schlecht besucht. Wenn man jedoch mit 26 Menschen eine Großraumdisko ausfüllen soll, in der sich Woche für Woche Tausende Jugendliche tummeln, muss man als Regisseur erfinderisch werden.

Gedreht wird die Szene, in der Anton Krügel zusammen mit zwei Kumpels an den Tresen kommt. Die beiden Freunde entdecken auf der Tanzfläche eine Bekannte und lassen Anton kurz alleine. Später findet Anton die beiden nicht mehr wieder.

Dann meldet sich der Mann mit der Tonangel zu Wort. „"Wir müssen hier vorn das Gespräch zwischen Anton und seinen Freunden aufnehmen. Ihr wart da gerade zu laut. Natürlich versteht man hier normalerweise sein eigenes Wort nicht, aber ihr müsst dann so tun, als ob ihr euch anschreien würdet, dürft dabei aber nur flüstern. Den Ton nehmen wir dann später nochmal ohne das Bild separat auf.“"

Was so einfach klingt ist schwerer als gedacht. Betrachtet man die Szene von außen, dürfte sich ein komisches Bild bieten. 26 Menschen brüllen sich ins Ohr, zu hören ist aber nichts. Der nächste Durchlauf, alle wieder auf die Anfangspositionen, dem Regisseur war das Bild zu statisch. „"Bitte spielt mal alle Reise nach Jerusalem." Jeder wechselt die Plätze mit einem anderen. Keiner darf sich am Ende der Szene am gleichen Platz wie am Anfang befinden.“

Dann zeigt er auf mich: "„Du da vorne, ich weiß deinen Namen gerade nicht. Geh' du mal bitte, wenn der Anton da vorne steht, an ihm und der Kamera vorbei, das dürfte dann noch mehr Bewegung bringen.“" Zwei Durchläufe und 25 Minuten später ist die Szene im Kasten. Wir dürfen uns aufwärmen, zehn Minuten Umbaupause!.

"Wie sollen wir denn jetzt ohne Musik tanzen?"

Vroni bittet alle Statisten wieder ans Set, das jetzt auf die Tanzfläche verlegt wurde. Die Laserstrahlen schießen durch den Saal, der Diskonebel füllt den Raum und wieder raucht der Kopf des Regisseurs, wie man die riesige Tanzfläche mit 26 Leuten voll aussehen lässt.

Die Lösung ist am Ende doch recht einfach. Alle stehen in einer Reihe und die Kamera dreht von vorn in die Reihe hinein. Es sieht auf dem Bildschirm tatsächlich aus, als wäre die Disko gut gefüllt. Alle tanzen ausgelassen, jeder hat ein Lächeln auf dem Gesicht. Das einzige was fehlt, ist die Musik. Außer der tapsenden Füße hört man nur den Dialog zwischen Anton und einem Grüppchen, zu dem er sich dazugesellt. Es war mit Abstand die witzigste Szene des Tages für die Komparsen, weil sich jeder ein bisschen blöd vorkam, ohne Musik vor der Kamera zu tanzen.

Danach dann wieder warten. Die Crew richtet das Licht auf der Männertoilette ein, wo die nächste Szene gedreht werden soll. Auch hier soll ich wieder durch das Bild laufen, so tun, als würde ich mich erleichtern und den gleichen Weg zurück gehen. Doch erstmal heißt es „Essen fassen,“ das Catering wurde angeliefert. Zwei bis oben gefüllte Behälter mit überbackenen Nudeln. Auch an die Vegetarier wurde gedacht.

"Da stellen sich einem dann auf einmal seltsame Fragen"

Nun dann die Szene auf dem Herrenklo. Der Regisseur gibt die Szene frei, ich laufe an der Kamera vorbei durch das Bild und stehe vor dem Pissoir. Zum ersten Mal in meinem Leben stelle ich mir die Frage: Wie lange pinkelt man denn normalerweise? Schließlich muss ich irgendwann ja auch wieder raus gehen.

Ich bin nicht der einzige, der sich diese Frage stellt. Nachdem die Szene abgebrochen wurde, fragen auch zwei andere nach, wie lange sie denn pinkeln sollen. Wir einigen uns darauf, dass wir grob bis 10 zählen, bevor wir die Toilette wieder verlassen. Der Geruch fängt langsam an, in der Nase zu brennen, da ist auch diese Szene im Kasten.

Und wieder ist Warten angesagt. Diesmal dauert es länger. Jetzt, wo es draußen dunkel ist, wird Antons Ankunft in Trockau mit dem Diskobus gedreht. Da die Beleuchtung im Bus nicht ausreicht, sind die Techniker wieder gefordert und bauen die Scheinwerfer an die Haltestangen im Bus.

Einige Statisten dürfen bereits nach Hause fahren, die anderen setzen sich nach über einer Stunde Wartezeit in den Bus, ohne genau zu wissen, was jetzt passiert. Der Regisseur setzt die Personen so um, bis ihm das Bild gefällt, dann fährt der Busfahrer los. Die Gruppe mit der ich hinten sitze hat keine Ahnung, wo es jetzt hingeht. Plötzlich sind wir auf der Autobahn Richtung Nürnberg. Dann auf einmal am Bahnhof in Pegnitz, auf einem Supermarktparkplatz, wieder am Bahnhof und schließlich wieder in Trockau.

Die Kamera hat vorn im Bus gefilmt, wie Anton und seine Kumpels sich auf den Abend einstimmen und sich mit ihren Handys fotografieren. Wir im hinteren Abteil sollten einfach authentisch sein. Wir haben geredet, herumgealbert und so war die Stunde Busfahrt schnell vorbei. Als wir um 20.45 Uhr dann noch das Aussteigen aus dem Bus gedreht haben, ruft Vroni: "„Drehschluss! Wir haben alles. Wir sehen uns dann morgen Mittag wieder. Vielen Dank an euch alle. Ihr habt echt gut mitgemacht“."

Warten bis es dunkel wird

Am nächsten Tag dann ein ähnliches Szenario. Alle Statisten warten vor der Disko, ein paar Minuten später kommt auch die Crew. Einer schüttelt mit dem Kopf. „Das ist wirklich unglaublich, wie pünktlich ihr seid.“ Was uns am zweiten Tag erwarten würde, weiß niemand so richtig. Dass wir stundenlang warten müssen und irgendwann gar nicht mehr wir, sondern nur noch unsere Autos gebraucht werden, hätten wir nicht gedacht.

Zwei Stunden nachdem wir ankamen war die erste Szene eingerichtet. Im Prinzip das gleiche wie am Vortag. Anton kommt zu einer Gruppe an die Bar, die Statisten sitzen im Hintergrund am Tresen und spielen wieder Reise nach Jerusalem. Dabei wieder laute Gespräche bei vollkommener Stille. Wieder darf ich aus drei Richtungen an der Kamera vorbei laufen, diesmal aber in einem anderen Hemd.

Nach etwa einer Stunde heißt es dann wieder warten. Aber worauf warteten wir eigentlich? Als wir nachfragten kam die Antwort: "„Wir warten darauf, dass es draußen dunkel wird, um die Nachtszenen auf dem Parkplatz drehen zu können." Ein Blick nach draußen verrät, dass es frühestens in zwei bis drei Stunden wirklich dunkel sein wird. Dazwischen wieder Essen. Wir Männer vertreiben uns draußen die Langeweile mit einem Hacky Sack.

"Macht euch mal die Zigaretten wieder an!"

Stück für Stück wird es dunkler. Jetzt soll die Szene gedreht werden, wie ein Mädchen die Brille von Anton am Raucherpavillon findet und schließlich abgibt. Alle Raucher,– darunter auch ich,– werden positioniert und gebeten zu rauchen. Dann wieder die Probe, ein erster Durchlauf, ein zweiter Durchlauf, ein Versprecher.

Nach der vierten Zigarette treten langsam Schwindelgefühle ein. Aber der Anschluss muss ja stimmen, deshalb mach ich den fünften Glimmstängel an. Etwa eine Viertelstunde später werden wir wieder nach drinnen geschickt. Was noch kommt, weiß wieder keiner. Die Smartphones werden gezückt, es wird gespielt. Ein paar lernen für die Uni, einer liest sein Buch und andere albern herum.

Eine Stunde später kommt Vroni herein. "„Leute, sorry, dass ihr so lange warten müsst, aber wir brauchen eure Autos noch für die letzten drei Szenen draußen. Es muss ja so aussehen, als wäre hier was los. Danke für eure Geduld."“ Die Zeit zieht sich. Mittlerweile ist es etwa 21 Uhr. Man sieht in müde Gesichter. Dass Nichtstun und warten so anstrengend sein kann, hätten die Wenigsten gedacht.

Um Kurz nach Zehn dann das Ende des Wartens. „"Wir sind abgedreht!",“ klingt es über den Parkplatz. Alle lachen, einige applaudieren. Vroni ruft die Komparsen zu sich und drückt jedem einen 50-Euro-Schein in die Hand. "„Danke, dass ihr mitgemacht habt. Ihr habt das echt super gemacht"“, sagt sie.

Knapp fünf Euro Stundenlohn für das Nichtstun

Alle verabschieden sich voneinander, einige treffen in Bayreuth am Treffpunkt wieder aufeinander, gehen noch einen Absacker zusammen trinken und die letzten beiden Tage Revue passieren lassen. Der Grundtenor ist klar. Einerseits ist das warten nervig, andererseits wird man für das Nichtstun bezahlt. Und irgendwie ist es dann ja doch auch spannend zu sehen, wie das Ganze dann am Ende im ZDF aussehen wird.

  • Die Sondersendung mit dem Thema „"Wo ist mein Kind?"“ wird am Mittwoch, 30. März 2011 um 20.15 Uhr im ZDF ausgestrahlt.

Fotos: Swarovsky

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