Frank Castorf, Regisseur des Bayreuther „Rings“, aus Sicht seiner Kollegen Mit einem Rest von Trotz

 Foto: red

Frank Castorf verstehen, Teil 3: Nach der Premiere seiner „Ring“-Inszenierung ist Frank Castorf 
wieder einmal in aller Munde. Bei seinen Kollegen, Freunden und Feinden war er das schon immer. 
Ein Blick auf den Theatermann mit den Augen seiner Kollegen.

 
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„Mein Freund Uwe-Dag Berlin und ich, wir bekamen ein Telegramm aus Gera, ob einer von uns einspringen könne, weil der Schauspieler, der in Castorfs Inszenierung den Carlos spielen sollte, sich mit seinem Trabbi überschlagen hatte. Wir sind dann hingefahren, haben ewig lange in der Kantine auf Castorf gewartet, uns langsam betrunken und dabei den Entschluss gefasst, dass wir beide absagen würden, weil ja nur einer von uns genommen werden könnte. Dann kam der Castorf, hat lange rumgedruckst, weil er das Problem genau begriff, und hat uns schließlich beide als Doppel-Carlos engagiert. Die Fähigkeit, menschlich zu denken – da sind zwei Freunde, da kann ich nicht einfach einen nach Hause schicken, dann spielen sie eben zusammen, das wird schon irgendwie gehen – diese Fähigkeit war für mich ein Schlüssel. Auch die Art, sich nicht so wichtig zu nehmen. Das Spielerische am Inszenieren.“
Schauspieler Leander Haußmann in Theater heute, Jahrbuch 1991

„Ich bin irritiert, nicht nur von den jungen Regisseuren, sondern auch von Leuten wie Frank Castorf, Michael Talheimer oder Christoph Marthaler und wie sie alle heißen. Natürlich schaue ich mir das an, und ich bin dann immer irritiert, dass der Stil größer ist als die Einlassung auf das jeweilige Stück oder den Autor.“
Regisseur Hans Neuenfels in 
Stuttgarter Zeitung, 2004

„Das ist ein genialer Regisseur.“
Regisseur Jürgen Flimm 
in Weltwoche, 2002

„Für mich ist Theater Theater, und für ihn wird es langsam immer ernsthafter. Das hat sicher mit dem Alter zu tun. Oder mit dem Erfolg. Wenn einen die Welt zu wichtig nimmt, fängt man vielleicht an, sich auch selber wichtig zu nehmen. Theater ist für mich eine Nebensache, und es ist schön, dass wir dafür so viel Geld kriegen.“
Schauspieler Leander Haußmann in Theater heute, Jahrbuch 1991

„Neben Christoph Marthaler und seinem musikalischen Theater hat es in den vergangenen 15 Jahren nur einen Neuerer am Theater gegeben, das ist Frank Castorf. Er inszeniert keine Stücke, sondern Projekte.“
Regisseur Jürgen Flimm im 
Hamburger Abendblatt, 2004

„Als ich in die Hauptstadt kam, war ich die erste Zeit ganz schön erschlagen und auch ganz schön einsam. Doch an der Volksbühne bei ,Mr. Regisseur des Jahrtausends‘, Frank Castorf, fühlte ich mich von Anfang an ziemlich wohl. [...] Herrlich größenwahnsinnig auch sein ,Ring‘-Unternehmen in Bayreuth. Ein scharfer, schneller, witziger, kluger, schöner Kopf, der Herr Frank Castorf! War gut, ihm in München wieder begegnet zu sein. Der hat sich nicht gekümmert um Auslastungszahlen und all den Quatsch, mit dem wir Theaterleute uns nur selber abschaffen. Nicht falsch verstehen, ich liebe es, wenn das Haus voll ist. Aber diese Quotenjagd an anderen Häusern hat nichts mit einer Qualitätsbesiegelung zu tun, sondern mit großer Gefallsucht. Das finde ich immer schlecht für die Kunst. Das ist und war aber an der Volksbühne nie so.“
Schauspielerin Birgit Minichmayr
 im Tagesspiegel, 2012

„Einige Regisseure haben schon früh Videos auf der Bühne eingesetzt. Das war rein dekorativ. Erst Frank Castorf hat mit Videos so gearbeitet, dass man die Schauspieler nach ihrem Abgang von der Bühne per Kamera weiter beobachten kann. Also hinter der Bühne, in anderen Räumen. Das ist eine neue szenische Erfindung.“
Regisseur Jürgen Flimm
 im Hamburger Abendblatt, 2004

„Bei Castorf tut das Theater so, als sei es ein Überbleibsel der Avantgarde der DDR.“
Regisseur Jürgen Gosch
 in Die Welt, 2004

„Wir müssen uns auf die eigene Kraft des Theaters konzentrieren und auf den großen Schatz der Weltdramatik. Und was passiert stattdessen? Es werden Romane und Filmdrehbücher adaptiert. Castorf gelingt das ab und zu, weil er ein wirklich großer Mann ist.“
Claus Peymann in 
Berliner Zeitung, 2007

„Castorf zu folgen, ist leicht, er hat sein Theater leer gespielt, das wieder aufzubauen, ist eine schöne Aufgabe. Das Berliner Ensemble ist eine Zauberinsel am dunklen Ufer der Spree – Geschichte und Gegenwart – von zu vielen geliebt. Dafür den richtigen Kapitän zu finden, ist schwer!“
Claus Peymann, Intendant des 
Berliner Ensembles, 
in der Berliner Zeitung, 2012

„Ich sage ja nicht, man darf das nicht machen! Man sollte es nur können! Frank Castorf ist da natürlich der Urvater alles Bösen, was man heute epigonal rundherum so sieht. Er ist aber ein immens kluger und guter Regisseur mit einer klaren Haltung und einem enormen ideologischen Background.“
Regisseur Martin Kusej, Intendant 
des Münchner Residenztheaters,
in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, 2011

„Als ich nach Berlin kam, sagte ich dem Kultursenator: Ich möchte 10 000 Mark im Jahr mehr verdienen als der bestbezahlte Intendant. Das war damals Frank Castorf von der Volksbühne. Die Gage wurde genehmigt. Nachher stellte ich fest, dass ich 150 000 Mark im Jahr weniger verdiente als vorher in Wien. Ich hab’ mich in den Hintern gebissen. [...] Der Castorf hat schon zweimal den Vertrag verlängert und kriegt jetzt bestimmt mehr als ich. Leider sagen mir die Senatoren nicht, wie viel.“ (lacht)
Claus Peymann in 
Süddeutsche Zeitung, 2008

„Das große Talent von Castorf etwa ist, dass er an der Volksbühne einen Rahmen für seine Inszenierungen schafft, innerhalb dessen ganz unterschiedliche Spieler auftauchen können. Abgesehen davon, dass er ein großartiger Dramaturg ist.“
Schauspieler Martin Wuttke in 
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2009

„Wenn ich aber sehe, dass etwa Frank Castorf ,Meistersinger‘ inszeniert und dabei Wagner auf Ernst Tollers ,Masse Mensch‘ prallen lässt, dann kann ich nur sagen: Ich kenne keinen Regisseur in Deutschland, der so etwas machen kann oder auch nur denken würde.“
Schauspieler Martin Wuttke in 
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2009

„Der frühe Castorf hatte noch so einen Rest von Trotz, dafür habe ich ihn geliebt. Eine lange Sekunde war er wirklich der Beste in Deutschland. Das ist leider vorbei. Aber Castorf war für mich eine Herausforderung, nach Berlin zu kommen, ein echter Konkurrent. Dass er inzwischen im schicken Jäckchen in Bayreuth herumläuft und sich wiederholt, das ist seine Tragik. Meine ist wahrscheinlich ganz ähnlich – nur ohne Bayreuth.“
Claus Peymann in 
Berliner Zeitung, 2012

„Die politische Polemik kam stark von Castorf. Die Unverschämtheit zu sagen: Die Wiedervereinigung war nichts anderes als ein Bürgerkrieg, West gegen Ost. Der Satz ist ja objektiv gesehen Quatsch – und doch war er damals vollkommen richtig. Er bedeutet beispielsweise, dass nach der Wende viele Ostberliner vom Theaterleben ausgeschlossen waren, weil sie sich die Eintrittspreise nicht mehr leisten konnten. Es war nicht das gleichberechtigte Zusammenfummeln zweier Modelle, sondern eine 98-prozentige Übernahme westdeutscher Normen. Die DDR-Bürger hatten die Revolution gemacht, sie standen großartig da – und plötzlich wurden sie vollständig entmündigt, wenn auch auf mehrheitlichen Wunsch. Unsere Identitätsbehauptung, dass wir an der Volksbühne mit Ost-Materialien arbeiteten und Ost-Themen auf die Bühne brachten, war wichtig, um eine emotionale Annäherung der Landeshälften überhaupt zustande zu bringen.“
Intendant Matthias Lilienthal in der Neuen Zürcher Zeitung, 2012

„Mein Mann war Regieassistent, über ihn habe ich die Volksbühne kennengelernt. Sie war mehr als ein Theater, sie hatte mit Castorf einen Intendanten, der zu DDR-Zeiten kritisch gewesen war und nun, ohne sich vom Westen vereinnahmen zu lassen, Regisseure wie Christoph Marthaler und Christoph Schlingensief einlud, mit ihm im Teutonischen zu wühlen.“
Theatermacherin Shermin Langhoff 
im Tagesspiegel, 2012

„Man kann nicht über die Ästhetik der Castorf-Volksbühne richten wollen, ohne über Vereinigungsgeschichte zu sprechen: geglückte und (häufiger noch) missglückte, deutsch-deutsche und europäische. Da ist ebenso viel Melancholie wie Revolte im Spiel.“
Theater der Zeit zum 20-jährigen 
Jubiläum der Volksbühne, 2012

„Ich bin in dem Sinne kein Auftragsspieler. Darauf muss ich mir natürlich nichts einbilden, und ich frage mich auch manchmal: Kann ich’s nicht, weil ich es nicht will, oder will ich’s nicht, weil ich es nicht kann? Es interessiert mich jedenfalls nicht. Ich sehe die Psychologie einer Figur einfach nicht. Damit kann und will ich auch nichts anfangen. Deshalb hat mich ein Schutzengel mit Leuten wie Frank Castorf zusammengebracht. Der ist ja kein liberaler Hippie, aber sein Ziel ist es immer, Räume zu schaffen, in denen sich die Leute, für die er sich entschieden hat, bewegen können. Er braucht oft so lange für die Besetzung, weil die für ihn schon fast die Inszenierung ist. Er fordert dann eine Schauspielerpersönlichkeit nicht auf, sich in jemand anderen zu verwandeln, sondern versucht, das blühen zu lassen, was diese Schauspielerpersönlichkeit zu schenken, zu leben, zu bieten hat. Man soll bei ihm nicht man selbst, aber auch nicht jemand anderes sein. Weil die Aufführungen so ein starkes Eigenleben bekommen, erkennt man bei Castorf oft nicht mehr, was inszeniert ist und was nicht. Ich finde es toll, wenn man am Schluss nicht urteilt: Der war gut, und die war schlechter. Denn für gutes Theater muss sich eine Truppe finden, die zusammen spielt.“
Schauspielerin Sophie Rois in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 2010

„Castorf, der Anti-Ideologe, sah in den Versprechungen der ,blühenden Landschaften‘ von Helmut Kohl nicht mehr als einen der üblichen Versprecher, wie sie auf der Bühne der Weltgeschichte üblich sind. Castorfs Haus gehörte zu den wenigen Orten der Realsetzung des überhitzten Nachwendebewusstseins, mitunter auf brachiale Weise.“
Theater der Zeit zum 20-jährigen 
Jubiläum der Volksbühne, 2012

„Ich schätze den frühen Castorf sehr, aber ich konstatiere mit Entsetzen seinen Stillstand."
Claus Peymann im Spiegel, 2004

„Wenn es Frank Castorf nicht gäbe, man hätte ihn erfinden müssen. Das sehe selbst ich heute ein. (Lacht.) Sein Theater ist zwar noch immer nicht so wirklich my cup of tea, aber es war wichtig. Diese andere Form der Schauspielerei, dieses gnadenlose Durch-die-vierte-Wand- und An-die-Zuschauer-Ranwollen. Vor Castorf wurde getrennt: Was man spielt, soll persönlich sein, aber nicht privat. Diese Grenze hat Castorf überhaupt nicht interessiert, die wollte er einreißen und hat sich dazu die passenden Spieler gesucht.“
Schauspieler Ulrich Matthes 
in der Frankfurter Allgemeinen 
Sonntagszeitung, 2013

Zusammengestellt von Christina Fleischmann.

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